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In der Schwebe

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Es sucht sich durch die Luft
Mit einer Wucht
Wie auf der Flucht
Mit Brücken über Kluft und Schlucht
Sie stöhnen Uf, uf, uf unter dem Gewicht
Und es zischt
In neuen Buchten
Es ruft Tuf, Tuf, Tuf beim Aufbruch
Vielleicht nur ein Spruch oder ein Fluch
Ich sitze in einem Zug

Nächster Halt: Dort
Ausstieg in Fahrtrichtung rechts

Dort hat nur einen Gleis
Dort ist ein Vorort
Aber es gab eigentlich nie ein vor
Es lag schon immer genauso vor
Ich war klein und dort war groß
Ich war nicht allein, ich saß auf ihrem Schoß
Dort ist gut zum Kind sein
Um sich bei den Eltern aus zu wein´
Dort war mein daheim
In Dort
Gaben wir uns einst das Freundschafts-Ehrenwort
In den endlosen Wäldern und Feldern, die vor uns lagen
Auf das Unendliche erstreckt
Mit den Sonnenuntergängen, die von nichts verdeckt waren
Doch irgendwann kam die Frage:
Bin ich in diesem Haus zuhaus?
Denn ich war mittlerweile zu groß und der Schoß der Stadt war zu klein
Wenn dich jede Ecke an etwas Schönes und Schlechtes erinnert
Dann wird die Kunst, überhaupt neue Erinnerungen zu machen, verringert
Dort ist ein schicker Wohnort mit tollem Angebot im Sport und ganz viel Komfort
Aber komm fort, lass uns sofort einfach so fortgehen
Ich kann hier nicht länger leben

Nächster Halt: Die Stadt, die keinen Namen hat
Die Stadt von der Dort der Vorort ist

Und wo du bist
Tuff, Tuff, Tuff die Eisenbahn, wer will mit nach in die Stadt, die keinen Namen hat, fahren
Allein fahren mag ich nicht, dann nehme ich mir dich mit
Denn mit einer anderen Person ist Zug fahren so wunderschön
Ich hatte eine Reise mit dir geplant
Eine Zukunft mit dir entworfen
Doch ungeahnt
Hast du mich aus der Bahn geworfen
Und ich fand mich vor dem Zug wieder
Ich wurde niedergefahren in der Stadt ohne Namen
Nun ist die Erinnerung daran verblichen
Und mittlerweile habe ich dich aus jeder Landkarte gestrichen
Die namenlose Stadt sollte nicht mehr existieren
Eigentlich sollte die Bahn sie gar nicht mehr passieren
Aber es bleibt trotzdem eine Haltestelle
Wobei ich es mir schon ziemlich schwierig vorstelle
Eine Stadt ohne Namen die auf keiner Landkarte zu finden ist anzufahren, aber gut
Ich setzte mich wieder in den Zug
Setzte an aber jeder Spielzug ist ungewiss
Denn ich bin in einem Spielzug in einer Teppich-Stadt
Die einen Riss in der Mitte hat

Und gleich bin ich da
Eins, zwei, drei, vier
Nächster Halt: Hier
Bitte entschuldigen sie die Verzögerung durch den längeren Aufenthalt in ´der Stadt ohne Namen
Ausstieg in Fahrtrichtung: links

Hier gibt es mehr als einen Gleis
Hier ist die Stadt so groß und ich bin so klein
Aber ich muss die Erwachsene sein
Aber ich will nicht erwachsen sein
Denn die Antwort eines jeden Erwachsenen auf Leid und Pein ist
Tja so ist das. So ist was? Ist was? Nein
Dort, wo ich jetzt lebe
Kann ich keine Sonnenuntergänge mehr sehen
Neue Freunde fragen: „Wie komme ich zu dir?“
Aber manchmal stehe ich selbst vor der falschen Tür
Und dann Überraschung beim Auspacken des letzten Gepäcks
Es hatte sich ein Mitreisender in meinem Koffer versteckt und getarnt
Ich hatte das vielleicht alles ganz ausgeklügelt geplant
Ich packe meinen Koffer und nehme mit
Mein Leben von dort nach hier
Doch beim Transport gab es ein Geheimimport
Mit einem illegalen Passagier
Denn ich hatte unabsichtlich mich selbst eingepackt
Vor mir weglaufen war doch nicht so einfach wie gedacht

Nächster Halt:
Ich komme eigentlich von dort
Aber jetzt lebe ich hier
Es ist anscheinend klar definiert

Es muss ein Dort und ein Hier geben
Aber ich führe ein Doppelleben
Bin ich dann überhaupt noch authentisch 
Wenn sich alles vermischt
Wenn es ein „Hort“ oder ein „Dier“ ist
Und ich weiß nicht bin ich jetzt dort oder hier
Kann ich es wählen, wie es mir gefällt?
Habe ich überhaupt einen Platz in dieser Welt?
Ich bin so verwirrt
Ich fühle mich als wäre ich gar nicht hier
Und hinterlasse eine Lücke
Mein Herz ist zerteilt in drei Stücke
Eins ist dort
Eins ist bei meinem Freundschaftsehrenwort
Eins ist in der Stadt, die eigentlich einen Namen hat
Es fällt mir nur immer noch schwer es zu wagen, den Namen laut zu sagen
Ich schätze ein Teil ist auch hier
Bei mir
Dann wären es keine drei Teile, sondern vier
Ich bin entzweit oder entviert, weit auseinander und trotzdem nah
Aber das Herz ist doch gar nicht zum Verschenken da?

Wenn sie fragen; wie ich heiße, wo ich lebe
Dann antworte ich: Ich bin die Schwebe
Ich lebe zwischen dem Dort und dem Hier
Ich lebe in den falschen Daten, die ich oben rechts in die Ecke schreibe
Ich bin die Stille in der ich vergessen habe, wie viele Jahre ich schon auf dieser Welt verweile
Ich bin der Moment, in dem du erkennst,
Dass du etwas vergessen hast
Aber nicht weißt was
Ich bin der Koffer, auf den du dich setzen musst, damit dein ganzes Leben reinpasst
Ich bin die fünf Minuten Überbrückungszeit,
Die du am Bahnhof verweilst
Ich bin das kleine Kind auf der Reise, was die ganze Zeit fragt: „Wann sind wir endlich da?“
Ich bin die Frau, die ihr Herz verschenkt, aber nie ihrer selbst gedenkt
Menschen bewegen sich im Zug nicht
Nur die Welt um sie herum
Wenn der Zug beginnt
Dann bleiben sie die ganze Zeit sitzen
Und auch ich reise in Kreise, die auf ihre Weise so furchtbar klein sind

Es sucht sich durch die Luft mit einer Wucht
Wie auf der Flucht
Mit Brücken über Kluft und Schlucht
Sie stöhnen Uf, uf, uf unter dem Gewicht und es zischt
In neuen Buchten
Es ruft Tuf, Tuf, Tuf beim Aufbruch
Vielleicht nur ein Spruch oder ein Fluch
Ich sitze in einem Zug.