Blut an den Händen

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Ich esse gerne Fleisch. Ein Radl Wurst auf die Semmel, ein paar Schinkenwürfel in die Nudelsoße und ab und zu ein Weißwurstfrühstück zählen für mich ganz selbstverständlich zu meinem alltäglichen Essverhalten. Weil es schmeckt. Und weil ich das schon immer so gemacht habe.

Jetzt gibt es seit ein paar Jahren Leute, die ohne Fleisch, ja sogar ganz ohne tierische Produkte auskommen. Und plötzlich füllen sich die Supermarktregale mit veganem Brotaufstrich, Veggie-Burgerpattys und Milchersatz. Das findet man als Fleischesser natürlich befremdlich, und die ersten schlechten Witze auf Kosten dieser kruden neuen Spezies der Veganer sind schon bald ausformuliert. Es ist ein tolles Gefühl, noch einmal mit seinen Freunden über diese gemeinsamen Feinde zu lachen, sich über deren „Überheblichkeit“ und „moralische Überlegenheit“ zu beklagen, bevor man einen großen Bissen aus seiner 250g-Leberkassemmel nimmt. Humoristische Meisterwerke wie: „Was wollen die Veganer eigentlich, die trinken Wasser! Damit rauben sie den Fischen den Lebensraum!“, geben einem das wohlige Gefühl, das eigene Verhalten nicht überdenken zu müssen. Die anderen kochen ja auch nur mit ganz lauwarmem Wasser.

Mit der Zeit werden diese Veganer aber immer mehr, sie werden präsenter in den Medien, in der Politik und sogar im eigenen Freundeskreis. Immer öfter sieht man sich in Diskussionen verfangen, in denen man sich für den eigenen Fleischkonsum rechtfertigen und mit lästigen Sachargumenten herumschlagen muss. Darauf ist man natürlich überhaupt nicht vorbereitet. Bislang konnte man die Bedenken der Veganismusbewegung im Bezug auf Ökologie, Ethik und Gesundheitsrisiken bequem unter den Tisch lachen. Fundierte Gegenrede gestaltet sich demnach also schwierig und man versucht sich mit Ausreden wie: „Ich hab ja nichts gegen Veganer, aber die reden immer so von oben herab“ oder „vegane Ernährung ist doch total unnatürlich“ am Ende des Gesprächs zu retten und den Rest des Tages möglichst wenig über das Thema nachzudenken.

Damit hat man das Stadium der Verdrängung erreicht. Unterbewusst merkt man vielleicht sogar schon, eigentlich keine schlüssigen Argumente für den eigenen Fleischkonsum zu haben. Und in kurzen Phasen der nüchternen Betrachtung fällt einem auf, dass Fleischkonsum tatsächlich eine der Hauptursachen für die erhöhte Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre ist, das Millionenfache vergasen von männlichen Küken ethisch eigentlich unentschuldbar ist und Volkskrankheiten wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Beschwerden primär mit unserem übermäßigen Fleischkonsum zusammenhängen. Aber es ist einfach so viel bequemer, das Thema unter den Tisch zu schweigen und wenn man darauf angesprochen wird, Sachen zu sagen wie: „Ich esse ja auch nur das gute Fleisch vom Metzger“, oder: „Eigentlich esse ich auch total wenig Fleisch“. Wenn keiner hinschaut, kauft man sich dann aber doch wieder eine Schnitzelsemmel und wieselt sich vor seiner Verantwortung sich selbst, den Tieren und seinen Mitmenschen gegenüber, davon. Irgendwann holt einen die Realität aber unweigerlich ein und aus der Verdrängung wird eine lupenreine kognitive Dissonanz: man ist sich seines Fehlverhaltens bewusst, ändern tut man aber wenig bis gar nichts.

Es ist ein Schema, das momentan wahrscheinlich bundesweit millionenfach abläuft. Und während es auch im Jahr 2021 immer noch ewiggestrige SUV-Fahrer gibt, die auf Amazon 2€ für einen „Who The Fuck Is Greta“-Sticker für den After ihres viel zu breiten Autos ausgeben, um ihre besonders männliche Männlichkeit für Jedermann sichtbar zu machen, richtet sich der Zeitgeist in die andere Richtung. Ich glaube, dass Menschen, die bereit sind, astronomische Summen für industrieanlagenähnliche Umluft-Grills und panzerartig anmutende Familienkutschen auszugeben, während sie einen angemessenen Preis für Fleisch und Benzin als untragbar empfinden, ein absolutes Auslaufmodell sind. Die letzten ihrer Sorte sind wahrscheinlich schon vom Band gelaufen, und recyclen kann man sie sowieso nicht. Aber ihr erbärmlicher Widerstand, ihre Anti-Greta-Facebookgruppen sind das letzte Zucken einer aussterbenden Lebensart: der des ungebändigten Konsums und der vollkommenen Achtlosigkeit gegenüber allem, was um einen herum noch auf dieser schönen Erde kreucht und fleucht. Es fällt schwer, sich aus dieser Lebensart zu lösen, weil sie unser aller Denken und Handeln so lange dominiert und diktiert hat. Aber spätestens seit Fridays For Future ist Verdrängen keine Option mehr. Ich denke, tief im Inneren wissen wir alle, dass wir in 50 Jahren von der nächsten Generation gefragt werden, wo wir waren, als Ferkel vom Gewicht ihrer bis zum Anschlag gemästeten Muttersäue erdrückt wurden, und was wir eigentlich gegen den selbstverständlichen und massenhaften Einsatz von Antibiotika als Präventivmittel in Hühnermastbetrieben getan haben.

Gesellschaften wandeln sich. Ihr moralisches Bewusstsein erweitert sich mit der Zeit und Erwägungen, die zuerst lachhaft erscheinen, setzen sich auf lange Sicht allzu häufig durch. So war es mit der Abschaffung der Sklaverei, mit der Nichtverwendung von Kokain als Zutat in zuckerhaltigen Softdrinks und mit den Anschnallgurten in Autos. Und so wird es wohl auch mit dem bedenkenlosen Fleischkonsum sein, der heutzutage noch Gang und Gäbe ist, schon bald aber, das wage ich zu behaupten, auf dem Müllhaufen der Geschichte landen wird. Die Zukunft ist ziemlich sicher vegan.

Man fühlt sich ziemlich schnell dumm bei diesem Gedanken, mir geht es jedenfalls so. Aber eigentlich ist es nichts Besonderes, es ist einfach nur eine Illustration menschlichen Fortschritts. Man möge sich nun die Frage stellen, ob es angesichts dessen sinnvoll ist, sich dem Fortschritt bis zum Ende entgegenzustellen, noch einen Schwung Anti-Greta-Thunberg-Sticker zu bestellen oder ob man nicht vielleicht lieber in der unvermeidbaren Wandlung der Gesellschaft gestaltend mitwirken will. Weil, wenn man sich mal dran gewöhnt hat, schmecken veganer Brotaufstrich, Burgerpattys und Milchersatz gar nicht so grausam. Und man hat hinterher halt kein Blut an den Händen.