I just want to run – vom olympischen Dorf ins politische Asyl

Äußerungen im Internet können Konsequenzen haben. Das musste auch Kristina Timanowskaja vergangene Woche feststellen. Dabei hatte sie nichts Fragwürdiges oder Illegales gepostet, bloß Kritik – die allerdings nicht gerne gesehen wird. Nicht, wenn es um die offiziellen Entscheidungen über Sportler:innen von belarussischer Seite geht. Dabei wollte sie nur bei Olympia für ihr Team laufen.

Die olympische Athletin hatte für den 200m Lauf trainiert, sollte dann aber im 4x400m Staffel-Lauf antreten, den sie jedoch zuvor noch nie gelaufen ist. In einem Instagrampost kritisierte sie öffentlich diese Entscheidung der Trainer, die über ihren Kopf hinweg gefällt wurde. Sie sagte später der “Bild” in einem Interview, dass sie nie damit gerechnet habe, dass dieser Post solche Wellen schlagen und sie in eine solche Situation bringen würde.

Ihre Trainer hätten sie im Anschluss in ihrem Hotelzimmer aufgesucht und sie bedrängt, ein Psychologe habe ihr eingeredet, sie sei psychisch krank. Auch im offiziellen Statement des belarussischen Olympischen Komitees (NOK) war ihre angeblich schlechte psychische Verfassung der Grund dafür, dass sie am Sonntag die Heimreise antreten sollte. Das geschah gegen ihren Willen, die Fahrt zum Flughafen und den geplanten Flug nach Belarus kann man durchaus als Entführung bezeichnen. Am Flughafen wendete sich Timanowskaja an die japanische Polizei und schaffte es, einen Rückflug zu verhindern und ihre Freiheit zu bewahren.

Gleich drei Länder, Polen, Tschechien und die Slowakei, boten ihr Asyl an, und auch Frankreichs Europaminister sprach sich, Berichten des ZDF zufolge, dafür aus, ihr ein Asyl in der EU zu gewähren. Die 24-Jährige nahm das Angebot aus Polen an und verbrachte die letzten Tage in Japan in der polnischen Botschaft, also in Sicherheit. Der geplante Direktflug nach Warschau am Mittwoch letzter Woche wurde umgebucht, stattdessen gab es einen Zwischenstopp in Wien, wie die Tagesschau berichtet. Grund dafür war ein Zwischenfall im Mai. Dabei wurde ein Flugzeug über Belarus zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen, um den regierungskritischen Journalisten Raman Pratassewitsch und seine Lebensgefährtin festzunehmen. Das Risiko, dass sowas noch einmal passiert, wollte hier niemand eingehen.

Mittlerweile ist Kristina Timanowskaja sicher in Warschau angekommen und besitzt ein Visum für das Land. Auch ihr Ehemann ist bereits seit Bekanntwerdung der versuchten Entführung aus Belarus ausgereist und hat sich ihr in Warschau angeschlossen. Ihm wurde ebenfalls ein Visum dort angeboten. Die Sportlerin plant, in Polen ihre sportliche Karriere weiterzuführen. Zurück nach Belarus geht es für die beiden erstmal nicht. Das Narrativ von Timanowskaja als psychisch Kranke ist in den dortigen Medien weit verbreitet, eine Einreise würde für die Läuferin entweder in einer Psychiatrie oder einem Gefängnis enden. Diese Befürchtung teilte sie in einem Interview mit der ARD mit. Auch gehört sie zu mehr als 2000 Sportler:innen des Landes, die sich in einem offenen Brief für Neuwahlen und die Freilassung politischer Gefangener aussprechen, was ihre Situation zusätzlich erschwert.

Bereits im Vorfeld der Spiele war der Belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, der auch Vorsitzender des NOK ist, als Zuschauer ausgeschlossen worden, da er die belarussischen Sportler*innen nicht genug vor politischer Verfolgung schütze. Zudem habe er sie bedroht und ihnen mitgeteilt, dass sie nicht ins Land zurückkommen bräuchten, wenn sie keine Medaillen gewinnen. Mittlerweile hat das International Olympic Committee zwei belarussischen Trainern die Akkreditierung entzogen. Diese mussten das olympische Dorf verlassen. Weitere Konsequenzen für das NOK gebe es vorerst nicht, schreibt die Sportschau. Wie ein solcher Fall in Peking ausgegangen wäre, wo im Februar 2022 die Olympischen Winterspiele stattfinden werden, kann man nur mutmaßen – ein solch glimpfliches Ende für betroffene Sportler:innen hätte es im autoritären China wohl nicht gegeben.

Kristina Timanowskaja ist weiterhin aktiv. Die „Belarusian Sport Solidarity Foundation“ rief zu einem Benefizlauf auf, um Spenden zur Unterstützung von Journalist:innen, Studierenden, Ärzt:innen und all jenen, die durch das belarussische Regime betroffen sind und sich in Gefahr politischer Verfolgung befinden, zu sammeln. Timanowskaja selbst lief diesen Montag, am 09.08. – und damit ein Jahr nach der Neuwahl Lukaschenkos und dem Beginn zahlreicher Proteste – ihre 2334 Meter für den “MarathonForFreedom”. Auf Instagram verkündete sie zudem, dass sie ihre Silbermedaille der Europaspiele 2019 in Minsk zugunsten der Sportler:innen ihrer Heimat versteigert. Und somit bleibt sie dem Statement auf ihrem T-Shirt treu – I just want to run, ich möchte einfach nur laufen.