Es ist Freitagnachmittag, ich lege nach mehreren Stunden endlich den Stift weg und schmeiße die Bücher in die Ecke. Genug gelernt für heute, die Uni muss jetzt erstmal warten. Bin eh schon spät dran, also schnell aus der Jogginghose raus und los geht’s: Auf ein Konzert! Okay, es ist Open-Air und mit dem ganzen Abstand kann man auch nicht wirklich Moshpits bilden, aber hey, wir machen einfach unseren eigenen kleinen auf der Decke. Als dann der erste Ton gespielt wird, fühle ich wieder all die Emotionen, die ich die letzten eineinhalb Jahre vermisst habe.
Nach dem Konzert geht es direkt weiter: WG-Party bei einer Freundin. Zugegeben: Ein bisschen komisch fühlt sich das schon an, mit fünfzig Menschen in einer kleinen Wohnung Schulter an Schulter Rage-Cage zu spielen. Aber dann denke ich mir: Inzidenzstufe null, alle getestet – lasst uns doch endlich mal wieder das Studierendenleben genießen, wie es sich gehört.
In den ganzen Freizeitstress stürze ich mich gerade unheimlich gerne rein. Und ganz ehrlich: Niemand von uns weiß, wie lange diese Freiheit noch anhalten wird. Also nutze ich jede Möglichkeit aus, solange es geht – erholen kann ich mich ja dann im Herbst, wenn der nächste Lockdown droht. Und bis dahin: Schlaf ich erstmal aus, mach dann mit meiner WG Katerwaffeln und schau später noch im Hofgarten vorbei. Und die Uni: quetsch ich irgendwo noch zwischen rein.
– Moni
Mittlerweile gehts voll. Ich genieße es jetzt sogar. Mit Freundinnen auf ein Konzert, am nächsten Tag brunchen gehen und Abends noch in eine Bar – als wäre die Zeit im März 2020 stehen geblieben. Klingt nach Spaß. Aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nach dem Lockdown keine Startschwierigkeiten hatte.
Ich hatte mein Leben perfekt auf den Lockdown angepasst. Der Lockdown und ich: Arsch auf Eimer. Ich war ausgeruht. Ich hatte neben Uni und Arbeit noch Zeit für Sport, Meditation und drei gesunde Mahlzeiten am Tag.
Natürlich war es auch belastend. Ich habe mich auf den Moment gefreut, an dem alles aufhört und wir endlich wieder leben können. Ich habe mich in meine hohen Erwartungen an die Zeit danach voll und ganz reingesteigert. Ich würde nach dem Lockdown jedes Wochenende auf die coolsten Partys gehen, reisen, endlich einen Malkurs machen und wieder neue Leute kennenlernen. Hot Girl Summer, ich bin bereit! Die Messlatte an das Postlockdown-Leben war hoch, der Druck, diesen Erwartungen gerecht zu werden, noch höher. Als es dann aber soweit war, war ich einfach nur müde.
Nach 2 Stunden in einer Bar war ich ausgelaugt. Wie geht das nochmal? Mit Leuten reden? Lust auf menschliche Interaktion haben? Ich hatte das Gefühl ich musste das neu lernen. Und um das wieder zu lernen, habe ich diese sozialen Situationen, die Müdigkeit, die Überforderung, einfach ausgehalten. War das meine FOMO, die da gesprochen hat? Höchstwahrscheinlich. Ob das der allerbeste Weg ist, nach einem Lockdown wieder ins Leben zurückzufinden? Fragwürdig. Ich glaube aber, dass es für mich funktioniert hat. Und mittlerweile geht’s voll. Ich genieße es jetzt sogar.
– Nicole
Meine FOMO kickt, aber rückwärts. Dass sie nach den pandemischen Monaten wieder auftauchen würde, darauf hätte ich viel gewettet. Zu sehr bin ich davon geprägt, dass ich jede Woche das Beste vom Besten aus meinem Freitagabend rausholen möchte und bloß nicht die Party des Jahres verpassen will. Aber meine Angst, Dinge zu verpassen, hat sich verändert.
Statt meiner FOMO Raum zu geben, gehe ich einfach raus, treffe Freund:innen und neue Menschen und denke am Ende jedes Abends, wenn ich eigentlich zufrieden auf dem Rad durch dunkle Straßen fahre: Was haben wir nicht alles verpasst. Etliche Monate mit unerlebten Momenten und Erfahrungen, die uns hätten prägen sollen. Meine FOMO ist keine Fear Of Missing Out mehr, viel mehr eine Fear That I Missed Out. Vielleicht ist das ein ähnliches Gefühl, was Menschen in ihren Vierzigern verspüren, wenn sie nochmal spontan eine Weltreise oder einen Bootsführerschein machen, weil sie Angst haben, etwas in ihren jungen Jahren verpasst zu haben. Einziges Problem: Wir sind noch jung und haben jetzt schon Panik, dass wir zu viel Zeit auf irgendeinem Wartegleis verbracht haben.
Also stürze ich mich erst recht in jedes Event. Jede Gelegenheit wird wie ein Schwamm aufgesogen, bis mir vor Reizüberflutungen schwindelig wird. Wie ich’s vermisst habe. Vielleicht schwingt da zwar immer noch ein wenig Wut auf Alles mit, einfach weil ich merke, dass ich was verpasst habe, was ich nicht zurückbekomme. Aber auch das wird vergehen. Und solang meine Rückwärts-FOMO noch manchmal kickt, fahr ich weiter nachts durch die Straßen und überleg mir den Namen für mein erstes Boot.
– Antje