Performativer Aktivismus – Wenn Solidarität zum Statussymbol wird

Aktivismus, das ist, wenn jemand mit informellen Mitteln für ein Ziel kämpft – oft, um damit für marginalisierte Gruppen einzustehen. Aktivismus heißt Verantwortung übernehmen, Selbstreflexion betreiben und verstehen: Wer etwas ändern will, der muss das System ändern. Aber stehen wir eigentlich wirklich jemals für etwas anderes ein als für unser eigenes Ego?

Social Media Plattformen sind in einem hohen Maße politisch. Vielleicht wäre es einigen lieber, wenn dem nicht so wäre, aber es lässt sich nicht leugnen: Twitter, Instagram und Co. sind Orte, an denen politische Meinungen gebildet, geteilt und propagiert werden – und das ist auch sehr wichtig. Schließlich finden gesellschaftliche Veränderungen nicht nur in Parlamenten und Ministerien statt, sondern immer auch da, wo die breite Masse ist.

Wenn man über Online-Aktivismus nachdenkt, fällt einem wahrscheinlich relativ schnell ein bestimmtes Beispiel ein: Die Black Lives Matter Bewegung, die im Sommer 2020 nach der Ermordung von George Floyd auch online gewaltige Ausmaße annahm. Doch während der Versuch, ein rassistisches System in seinen Grundzügen zu verändern, für People of Color weltweit mit viel Leid und realer Gefahr verbunden war und ist, nahm die Anteilnahme in den sozialen Medien schnell performative Züge an. Weiße Influencer:innen ließen sich auf Demonstrationen in Kampfpose ablichten und der #BlackLivesMatter auf Instagram, der zum Verbreiten von Nachrichten und Informationen gedacht war, wurde von schwarzen Quadraten überflutet: Symbole der Anteilnahme, die sicherlich nett gemeint waren, der Sache aber leider mehr schadeten, als ihr zu nutzen.

Ein Jahr später sind die schwarzen Quadrate bei fast allen aus dem Feed verschwunden – der Rassismus ist aber natürlich immer noch da. Heißt das jetzt, dass es grundsätzlich falsch oder unehrlich ist, sich an symbolischen Aktionen wie dem Blackout Tuesday zu beteiligen? Eigentlich nicht. Im Gegenteil ist es eine tolle Sache, dass die sozialen Medien es so einfach machen, sich über Geschehnisse zu informieren, seine Verbundenheit zu zeigen und Aufmerksamkeit für wichtige Themen zu generieren. Selbst wenn die Motivation dahinter ist, das eigene Ego zu pushen oder auf einen Trend aufzuspringen, um die eigene moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen – es kommt immer ungefähr dasselbe dabei heraus. Nämlich mediale Aufmerksamkeit und eine Sensibilisierung für Debatten, an denen sich zu prä-Internet-Zeiten wahrscheinlich nur wenige Menschen beteiligt hätten.

Schwierig wird es allerdings, wenn die Beteiligten vergessen, dass sich Internet-Aktivismus und ,,tatsächlicher“ Aktivismus ziemlich stark unterscheiden. Aktivismus, der auf der Straße stattfindet, nämlich in Form von Demonstrationen, Sitzblockaden und so weiter, wird dann häufig als ,,zu extrem“ wahrgenommen. Einen bunten Info-Post über Rassismus auf Instagram zu reposten, ist halt einfach viel bequemer. Das heißt natürlich nicht, dass sich jede:r mit Sturmhaube auf den Weg zur nächsten Demo machen muss – für manche ist das einfach nichts, und das ist auch vollkommen in Ordnung so. Allerdings sollte man auch in Zeiten von Twitter-Threads nicht vergessen, dass tatsächliche gesellschaftliche Veränderung mehr braucht, als nur das vage Gefühl, sich ein bisschen informiert zu haben. Veränderung braucht häufig auch Menschen, die bereit sind, einiges für ihre Überzeugung zu tun oder sogar aufs Spiel zu setzen. Natürlich kann Online-Aktivismus ein wichtiger Teil davon sein. Zum Beispiel gibt es Aktivist:innen, die ihre Arbeit fast ausschließlich online machen: Aufklären, Unterstützer:innen anwerben, Spendenaufrufe teilen. Die Arbeit dieser Menschen ist nicht weniger effektiv, nur weil sie online stattfindet.

Gegen das Teilen von Infoposts spricht also prinzipiell nichts – außer (und das ist ein großes außer) man hat sich den Post nicht richtig durchgelesen oder keine weiteren Informationen eingeholt. Mit Vorsicht zu genießen sind außerdem Posts, die keine oder lediglich unseriöse Quellen angeben. Da passiert es nämlich leicht, dass man falsche oder ungenaue Informationen weitergibt, die sich dann wie ein Lauffeuer verbreiten können. Man sollte allerdings auch nicht glauben, dass das allein reicht. Eine change.org-Petition mit dem Ziel #freepalestine wird die israelische Regierung wohl kaum beeindrucken, und davon abgesehen ist es auch sehr optimistisch davon auszugehen, dass man den seit Jahrzehnten andauernden und hochkomplizierten Nahostkonflikt in einer Insta-Story erklären kann, ohne dabei irgendwelche wichtigen Details zu unterschlagen. Auch hier sollte man also auf Genauigkeit achten und das eigene Bedürfnis, besonders informiert oder ,,woke“ zu erscheinen, ein wenig zurückstellen. Das, was man liest und verbreitet, zu hinterfragen, ist besonders im digitalen Zeitalter unheimlich wichtig.

Von dieser Selbstreflexion könnten sich viele Firmen übrigens auch eine Scheibe abschneiden. Online-Aktivismus hat nämlich auch den Nachteil, dass viele Konzerne nur allzu gut verstanden haben, wie sie davon profitieren können. Besonders im Juni – also im Pride Month – merkt man immer wieder, wie die Marketingabteilungen dieser Welt auf Hochtouren arbeiten. Auf Social Media Kanälen und in Schaufenstern ist die Regenbogen-Flagge der LGBTQ+-Community plötzlich allgegenwärtig – und das nicht etwa, weil die Rechte queerer Menschen den Firmen besonders am Herzen liegen, sondern weil es sich gut verkauft und das Image poliert. Genauso die herzerwärmenden Sprüche und Rabatte auf alles, was pink ist, am Internationalen Frauentag – wohlgemerkt von Konzernen, in deren Vorständen Frauen in der deutlichen Minderheit sind.

All diese Dinge suggerieren Verbraucher:innen, sie würden Unternehmen unterstützen, die sich besonders für marginalisierte Gruppen einsetzen. Bei genauerem Nachdenken fällt natürlich auf, dass hier Marketing-Strategien am Werk sind, die den Konzernen dabei helfen, Profit aus dem Zeitgeist schlagen, ohne tatsächlich etwas an ihrer Unternehmensführung zu ändern. Das ist in einem kapitalistischen System, in dem sich alles um Gewinnoptimierung dreht, nicht wirklich überraschend. Trotzdem verschleiert es die Tatsachen – Verbraucher:innen sollen sich wohlfühlen und ihren Konsum nicht weiter hinterfragen. Und genau darin liegt das Problem.

Wenn Aktivismus performativ wird, kann das also auch negative Folgen haben – vor allem für diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass jemand für ihre Freiheit und Sicherheit einsteht. Es führt häufig dazu, dass politische Forderungen einfach nur als Trend wahrgenommen werden. Und vor allem trägt es dazu bei, dass die Außenwirkung immer mehr zählt als die intrinsische Motivation. So erscheinen etwa Prominente, die sich öffentlich positionieren, in einem durchweg positiveren Licht als Prominente, die so etwas nicht tun, sich aber möglicherweise im Privaten für die Rechte marginalisierter Gruppen einsetzen.

Wer häufig auf Social Media unterwegs ist, hat sich wegen dieser Entwicklung vielleicht schon einmal selbst unter Druck gesetzt gefühlt, sich zu einem bestimmten Thema zu äußern oder Stellung zu beziehen. In den letzten Wochen und Monaten ist dieses Phänomen besonders allgegenwärtig geworden: Es ist unmöglich, sich in den sozialen Medien zu bewegen, ohne politischen Themen zu begegnen. Damit geht manchmal eine ziemliche psychische Belastung einher, genau wie der Druck von außen, Teil der Debatte zu werden. Natürlich ist es schade, wenn Menschen mit großer Reichweite diese nicht nutzen, um Aufmerksamkeit für wichtige Themen zu generieren – schlussendlich liegt die Entscheidung, ob man sich öffentlich äußern möchte, jedoch immer bei einem selbst. Sich allerdings nur zu Selbstdarstellungszwecken solidarisch zu zeigen, ist inauthentisch und hilft niemandem weiter.

Natürlich ist den wenigsten Menschen ihre Außenwirkung komplett egal – und die politischen Ansichten auf Social Media zu teilen, ist nur ein weiterer Weg, um die eigene Persönlichkeit auszudrücken. Um allerdings herauszufinden, ob man selbst in die Falle des performativen Aktivismus getappt ist, könnte man sich vor dem Posten mal die folgenden Fragen stellen: Ist das hier ein Thema, das mir am Herzen liegt? Würde ich mich auch dafür einsetzen, wenn mir keiner dabei zusähe? Und: Nützt das irgendwem, außer meinem eigenen Ego?