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‘Wo geht’s hiernach für dich hin?’ – Hostels als Bühne für Abenteuersuchende

Bildquelle: unsplash

Trotz der späten Stunde wuseln immer noch ein paar Spätankommer*innen durch die farbenfrohe Gemeinschaftsküche des Hostels. Der Rezeptionist kommt von seinem mitternächtlichen Nap runter in das Foyer und beginnt seine Schicht mit einem Kaffee. Anders als in den Hotels, in denen ich bisher übernachtet habe, kenne ich hier die Namen des Mitarbeiters und der meisten anderen Gäste.

Die Hostel-Übernachtungserfahrung ist eine andere als die eines Einzelbettes mit Schokolade auf dem Kopfkissen. Hier findet man eher ein paar Haare der vorangegangenen Gäste und eine weitaus gelöstere Stimmung. Eben ganz casual. Die Freundschaft Plus unter den Unterkünften. Inklusive des Surfer Boys, der einen beim Eintreten Gitarre spielend empfängt.

Eben dies möchten Hostels ja auch vermitteln; sie verkaufen einem ein Gefühl von Ungezwungenheit, jung sein, auf dem Sprung sein und natürlich die Präsenz von Gleichgesinnten in einem coolen Setting. Hier entsteht innerhalb von kürzester Zeit eine kleine Gemeinschaft aus Leuten, die sich normalerweise niemals treffen würden. Allerdings muss es ja auch schnell gehen bei der begrenzten Zeit, die man dort verbringt. Denn seien wir mal ehrlich, der Charme an Hostels ist unter anderem, wie temporär sie sind, oder etwa nicht?

Die neuen Statussymbole

Während meines verlängerten Aufenthalts sah ich Menschen kommen und gehen und bemerkte, dass das Thema Reisen fast jedes Gespräch beherrschte, das wir führten. Ab einem gewissen Punkt fühlten sich Reiseanekdoten fast wie Kitt an, der in jeder Situation sofort weiterhilft. Das abgelegene Dorf auf einem anderen Kontinent, das sonst nie jemand besucht hat, oder die supergünstige Unterkunft, die aussah wie ein Fünf-Sterne-Ressort. 

Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es nicht mehr unbedingt um die Erfahrung selbst ging. Es war eher wie ein Wettbewerb, wer die obskurste Geschichte oder das „untouristischste“ Reiseziel hatte. Um es klar zu sagen: Ich finde es gut, dass sich die Menschen heute auf ihren Reisen mehr mit der eigentlichen Kultur des Landes oder den Bräuchen der Menschen auseinandersetzen wollen. Dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass sich auch hier langsam Extreme durchsetzen.

Manche Rucksackreisende scheinen auf ihren Trips an den Einheimischen vorbeizuziehen, um Interaktionen, Jobs oder materielle Besitztümer zu sammeln, als wären sie Tokens in einem Videospiel. Ist das eine moderne Art des Reisens? Sich dann in einer Herberge zu treffen und einen Charakter und einen Status um die Erfahrungen herum zu entwickeln, die man sich „verdient“ hat? Nach kurzer Zeit war ich dem Gesprächsthema Reisen etwas überdrüssig und habe den geteilten Space mehr und mehr als eine Art Bühne wahrgenommen. 

Dr. Michael O’Regan, Professor an der Bournemouth University, hat spezifisch über das „Backpacker-Hostel“ geschrieben als „ein Ort des Konsums und der Performance […], der Suche nach Erfahrungen, der Performance und der Identität.“ Performance und Identität beschreiben genau das Phänomen, das sich in Hostels finden lässt. Alle Menschen, die mir begegnet sind, waren Studierende, Graduierte oder Weltenbummler*innen, die extra ihren Job gekündigt haben, um zu reisen.

Es scheint, als wären die Hostels ein Ort, an dem Menschen sich bereit machen aufzubrechen, wie Läufer an ihrem Startblock. Dieser Schwebezustand führt dazu, dass sich eine soziale Arena entwickelt, in der es temporär neue Regeln gibt. Hier ist es wichtig, wie viele Länder du schon bereist hast, wie gut dein Schuhwerk ist und das natürlich wichtigste Statussymbol überhaupt, wie praktikabel dein Rucksack ist.

Anti-touristisch? 

Peter Welk, Autor des Buches „The Global Nomad“, beschreibt den Shift, der in Hostels unter Backpackern stattfindet, als „Anti-Tourismus“. Das imaginäre Lagerfeuer ist im Fall des Hostels eher die Küche, in der abenteuerliche Geschichten ausgetauscht werden und eine Gemeinschaft geschaffen wird, die sich von den „(stereo-)typischen konventionellen Touristen“ unterscheiden soll. Diese „Performance“ kann alle möglichen Vorteile haben, wie zum Beispiel eine Identität, die man probeweise überziehen kann, und die der alten bei weitem überlegen ist.

Die eigene Identität auszuprobieren und zu schmücken, während man durch die Hostels zieht, ist nicht unbedingt eine schlechte Sache. Es kann aufregend sein und einen aus seiner Komfortzone holen. Aber die Versammlung der Backpacker-Community würde ich mir nach dieser Erfahrung wahrscheinlich ein wenig nachdenklicher wünschen. Mit ein wenig mehr Bewusstsein und Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die wir alle heute haben. Dass wir die Freiheit, die uns die globalisierte Welt bietet, nicht als selbstverständlich ansehen. Genauso wie die Exotisierung von allem, was wir bereisen, aber nicht wirklich verstehen.

Das sage ich mit Blick auf die Begegnung mit jemandem, der auf dem Weg nach Sri Lanka war, um den dortigen Mönchen Englisch beizubringen. Und das, ohne viel über das Land, die Mönche oder die Unterrichtssprache zu wissen. Aber im Kontext der Hostel-Atmosphäre geht das alles irgendwie verloren. Die Tatsache, dass es selbst in einem Raum wie einem Hostel imaginäre Orden und Statussymbole gibt, spricht für mich sehr dagegen, dass es wirklich so „anti-touristisch“ ist, wie behauptet wird. 

Clara Schulz

Clara macht ihren Bachelor in Literatur und Politik, moderiert nebenbei im Radio und arbeitet bei Engagement Global in der Online Redaktion. Bei Canapé widmet sie sich allem was sich auch auf deiner Twitter Timeline finden lässt: von Pop Kulturellem Wirr-Warr bis zu Gedanken über Musik und Politik.

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