Ich erinnere mich noch gut an den 24. Februar. Als der Krieg ausbrach, lag ich mit Corona im Bett und habe den ganzen Tag lang Nachrichten geschaut. Überwiegend liefen mehrere Nachrichtensender gleichzeitig. Auf dem Laptop wechselte ich zwischen verschiedenen Livestreams, mit dem Handy war ich gleichzeitig bei Twitter oder Instagram unterwegs. Ich verfolgte Regierungserklärungen, schaute Berichte von internationalen Journalist:innen und übersetzte mir einzelne Blogbeiträge aus dem Ukrainischen oder Russischen von Menschen vor Ort. Immer von dem Drang geleitet, möglichst alles mitzubekommen. Begriffe wie „Zeitenwende” schwirrten mir im Kopf umher. Zu versuchen, alles zu verstehen und mitzubekommen, hat mir das Gefühl gegeben, Teil dieser Zeitenwende zu sein. Ähnlich war das im ersten Lockdown, oder als das Ahrtal überflutet wurde, die Taliban in Afghanistan die Macht ergriffen haben oder nach dem Tod von Masha Amini im Iran. Wenn eine große Krise ausbricht, die meine eigene Vorstellungskraft übersteigt, versuche ich zunächst alles Mögliche dazu herauszufinden, um die Ereignisse besser zu verstehen.
Die Dosis macht das Gift
Dabei hat sich auch über die vergangenen zwei Jahre hinweg mein Nachrichtenkonsum im Allgemeinen verändert. Früher habe ich mich vielleicht ein bis zweimal am Tag über die neuesten Meldungen informiert. Mittlerweile habe ich fünf verschiedene Nachrichten-Apps auf dem Handy, starte den Tag in der Regel mit zwei Nachrichtenpodcasts und verfolge tagsüber Pushnachricht für Pushnachricht, um möglichst nichts zu verpassen. Es ist fast zu einer Art Pflichtbewusstsein geworden, das mich dabei leitet. Als sei meine Aufgabe in dieser Zeit der multiplen Krisen, so informiert wie möglich zu sein.
Damit bin ich nicht alleine. Blicken wir auf menschliches Verhalten in Krisenzeiten, lässt sich erkennen: Die Unstetigkeit unserer Zeit weckt in uns das Bedürfnis, so informiert wie möglich sein zu wollen, auch um dem Gefühl des Kontrollverlustes entgegenwirken zu können. Es ist wie ein Reflex auf die vielen ungewissen Gefühle, die Katastrophen in uns auslösen. Schließlich sind Krisen Zeiten, die vom geordneten und bekannten Alltag abrücken und viele ungewisse Komponenten mit sich bringen. Doch auf Dauer funktioniert diese Art dem Kontrollverlust entgegenzuwirken, aber nicht. Das schlussfolgern auch Forschende der Universität Utrecht. In einer Studie haben sie sich mit “Information Overload” und dem jeweiligen menschlichen Verhalten, besonders in Krisensituationen, beschäftigt. Sie kommen zu dem Schluss, dass sich das Vermeiden von neuen Nachrichten positiv auf unsere mentale Gesundheit auswirkt. Hören wir also auf, uns ständig über alles zu informieren, jede Krise der Welt verstehen zu wollen, geht es uns durchschnittlich besser, als wenn wir uns den ganzen Tag mit den neuesten weltweiten Krisenentwicklungen beschäftigen.
Alles, immer und grenzenlos
Teil des Problems ist also auch, dass die neuesten Nachrichten grenzenlos und immer und überall konsumierbar sind. Nachrichten kennen keinen Redaktionsschluss mehr. Nur wenige Minuten nach den Geschehnissen erreichen die Neuigkeiten unsere Smartphones und wir können per Newsticker oft beinahe live dabei sein. Und da jederzeit immer so viel auf der Welt passiert, hinterlässt die Nachrichtenflut dauerhaft das Gefühl, der gesamten Nachrichtenlage nie gerecht werden zu können. Dabei kann sich das übermäßige Informieren über psychische Auswirkungen hinaus auch körperlich äußern. Forschende der Texas Tech University haben herausgefunden, dass Menschen, die zu übermäßigem Nachrichtenkonsum neigen, in einen konstanten Alarmzustand verfallen. Setzen wir uns also selbst keine Grenzen und verbringen stundenlang damit, Weltnachrichten zu konsumieren, versetzen wir unseren Körper in einen Zustand des Dauerstresses.
Ist also die Lösung: Unpolitisch werden?
Das Handy beiseite zu legen und die Welt Welt sein zu lassen, erscheint dabei manchmal als die einfachste Option. Aber so eine richtige Alternative ist das auch nicht. Schließlich wollen und sollten wir auch im digitalen Zeitalter nicht mit verschlossenen Augen durch die Welt laufen. Und gehört es in einem funktionierenden Gesellschaftssystem nicht auch dazu, mitzubekommen, was passiert? Stattdessen müssen wir, wie bei so vielen Dingen in dieser grenzenlosen Welt lernen, uns selbst Limits und Grenzen zu setzen. Grenzen, die politisch nicht gesetzt werden und die wir uns selbst vorgeben müssen. Und das ist anstrengend, denn es bedeutet, dass das richtige Maß von Konsum stets in unserem eigenen Ermessen liegt. Mit Bezug auf Nachrichten könnten uns feste Zeiten des bewussten Informierens helfen. Die gute alte Viertelstunde Tagesschau am Abend oder der eine Nachrichtenpodcast am morgen. Denn auch in all diesen Krisen ist niemandem geholfen, wenn wir uns selbst in ihnen verlieren.