“Die Krankenkasse wird ihre Mastektomie nicht zahlen.” der Arzt sitzt an seinem Schreibtisch, lehnt sich mit verschränkten Armen zurück und schaut zu mir “Bei Trans*Personen würden sie das, aber nicht bei nicht-binären Personen.” Das ist das erste Mal, dass ich davon höre. Meine Atmung wird kürzer und die Gedanken prasseln auf mich ein “Wie kann ich das finanzieren? Wie bekomme ich möglichst schnell das Geld zusammen? Was kann ich verkaufen? Was ist, wenn mein Chirurg mir den Eingriff ebenso verwehrt? Werde ich jemals diesen Eingriff machen lassen können?“ Seit drei Jahren denke ich über die Mastektomie nach, um meine weibliche Brust entfernen zu lassen, und in dem Moment schien es so weit weg wie noch nie.
Was ist eine Mastektomie?
Zuerst einmal zu dem spezifischen Eingriff: eine Mastektomie ist ein operativer Eingriff, der die weibliche Brust der männlichen angleicht. Bei Trans*Männern oder Nicht-Binären Personen führt eine weibliche Brust manchmal zu einem großen Unwohlsein, auch Dysphorie genannt, da die Person sich nicht mit den bei der Geburt gegebenen Merkmalen identifizieren kann. Man fühlt sich, als wäre man ungefragt in ein Kostüm gesteckt worden, das man nicht ablegen kann. Der eigene Körper ist einem fremd. Diese Diskrepanz zwischen der Identität und dem physischen Körper kann zu Angststörungen, Depressionen und Verdrängung führen. Bei einer Studie zur Entwicklung der Diagnose und Therapie von Trans*Personen und Geschlechtsdysphorie treten bei 57% der Probanden mit bereits diagnostizierter Geschlechtsdysphorie, depressiven Störungen auf. Bei etwa 60% bestehen Angststörungen. Neben dem Tragen eines Binders oder dem Abbinden der Brust, kann eine Mastektomie die Lebensqualität erheblich steigern. Beim täglichen Abbinden der Brust können körperliche Schäden wie Blutergüsse, Verspannungen und in extremen Fällen sogar Quetschungen an der brust entstehen. Durch die Kompression fällt das Atmen schwerer. Nach einer Brustentfernung fallen alle diese Risiken ab und helfen dem:der Betroffenen normales Leben zu führen, ohne sich über den eigenen Körper den Kopf zerbrechen zu müssen.
Bürokratie der Geschlechtsangleichung
So einfach wie ins Krankenhaus laufen und sagen: “Einmal Brust ab, bitte“, ist es allerdings nicht. Das Stereotyp, dass Deutschland Bürokratie liebt, wird hier gut gefüttert. Trans*Männer müssen eine ordentliche Liste abarbeiten, um überhaupt einen Termin für die OP zu bekommen. Hormone, Indikationsschreiben, Alltagstest und Therapie stehen auf dem Programm. Die Therapie kann man bei Ärzten:innen machen, die entsprechende Fortbildungen gemacht haben um Trans*Menschen zu therapieren. Nach einer sechsmonatigen Therapie kann man dann von diesem:dieser Therapeuten:in eine Stellungnahme verlangen, die klar macht, dass der:die Patient:in unter einem Leidensdruck steht und eine Mastektomie diesen lindert. Auch der Alltagstest wird über einen längeren Zeitraum von einem:r Therapeuten:in gemacht. Absolviert wird der Test, in dem die betroffene Person für mindestens ein Jahr mit der gewünschten Identität lebt. Für ein Jahr wird man mit den bevorzugten Pronomen und Namen angesprochen und testet, ob diese Identität tatsächlich längerfristig Teil von einem ist. Das Indikationsschreiben ist ebenfalls eine Art Stellungnahme eines:einer Therapeuten:in. Dieses Schreiben muss aber so objektiv wie nur möglich gemacht werden. Wie eine Art Zweitmeinung. Deshalb kann das Indikationsschreiben nur von einem:r zweiten Therapeut:in ausgestellt werden, bei dem:der die betroffene Person nicht in längerer Behandlung ist. Die Hormontherapie kann beantragt werden, mit einer Überweisung an den Endokrinologen, einem Facharzt für den Hormonhaushalt. Für mindestens 6 Monate muss man dann Testosteron nehmen, um die Kostenübernahme der Mastektomie gewährleistet zu bekommen. Durch das Testosteron verändert sich die Fettverteilung am Körper, was einen geringeren chirurgischen Aufwand bedeutet. Am Schluss sitzt man auf mindestens sechs Formularen, Berichten und Überweisungen- und das gilt für gesetzliche wie auch private Kassenpatienten:innen.
Suche nach einem Therapieplatz
Mein persönlicher Weg begann bei der Suche nach einem:r Therapeuten:in. Aber natürlich kann es nicht irgendein Therapeut:in sein, sondern es muss eine spezielle Qualifikation bestehen, um Geschlechtsdysphorie zu diagnostizieren. Bei der Recherche bin ich auf den Qualitätszirkel Transsexualität München gestoßen, “ein Netzwerk von Behandler:innen, das sich auf die medizinische und psychotherapeutische Versorgung von transsexuellen, transidenten, transgeschlechtlichen, trans* und TransGender Personen spezialisiert hat.” Dort wird ein Überblick über die behandelnden Ärzte:innen geboten, die sich mit Trans*Personen auseinandersetzen. Viele psychologische Einrichtungen sind überarbeitet, weil die Anfrage hoch, aber das Angebot niedrig ist. Die Praxen, die sich auf Trans*Personen spezifizieren, sind noch limitierter und demnach noch mehr überarbeitet. Mit Hilfe des Qualitätszirkels telefonierte ich mich durch die Praxen. “Tut mir leid, wir nehmen keine Kassenpatienten:innen”, nächste Praxis. “Aktuell sind wir komplett ausgebucht.”, nächste Praxis. “Ich kann Sie auf die Warteliste schreiben. Wir werden uns in einem halben Jahr melden”, nächste Praxis. Nirgendwo kam ich unter. Auf der Suche nach einem Therapieplatz war kein Ende in Sicht und ich entschloss mich dazu, zumindest die Therapie selber zu bezahlen, um endlich näher Richtung Mastektomie zu kommen. Kaum sucht man nach privaten Therapeuten geht alles viel schneller. Ein kurzes Telefonat und zwei Wochen später hatte ich dann den ersten Termin bei meinem Therapeuten. Jeden Monat hatte ich eine Sitzung und zahlte um die 130€. Auch wenn ich das Geld natürlich lieber direkt in die Mastektomie gesteckt hätte, war mir klar dass es das wert sein würde. Zwar halfen mir die nächsten monatlichen Sitzungen persönlich weiter, aber mehr wegen meiner mentalen Gesundheit und weniger wegen meiner Geschlechtsidentität. Mein Therapeut merkte direkt in der ersten Sitzung, dass ich nach 2 Jahren als Nicht-Binäre Person lebend, so sicher in meiner Identität war und die Notwendigkeit der Mastektomie unumstößlich war. Wir waren uns sehr schnell einig, dass Probleme wie Angstzustände oder Selbstzweifel von meiner Geschlechtsdysphorie kommen. Die Dysphorie äußert sich vor allem im Unwohlsein im eigenen Körper und emotionalem Abstand zu der eigenen Brust. Eine Mastektomie wird diese Symptome lindern. Die Stellungnahme bekam ich problemlos von meinem Therapeuten.
Diese Sache mit dem Testosteron
Dann ging es für die Indikation weiter zum nächsten Therapeuten. Dieser Therapeut konnte sowohl das Indikationsschreiben ausstellen, das ich für die Mastektomie brauche, wie auch eine Überweisung zum Endokrinologen.. Mit dessen Begleitung hätte ich eine Testosteroneinnahme starten können. Allerdings war ich mir noch nicht ganz sicher, ob Testosteron eine geschlechtsangleichende Maßnahme ist, mit der ich mich wohlfühle. Nach einem Gespräch mit einem Freund, der es seit mehreren Monaten nimmt, habe ich erst gemerkt, wie viel ich nicht von den Nebenwirkungen wusste. Zum Beispiel wusste ich nicht, dass wenn man Testo nimmt und ab irgendeinem Punkt wieder absetzt, die Fettverteilung sich wieder zurückentwickelt. Das Risiko, Haarausfall zu haben, ist deutlich höher. Zum aktuellen Zeitpunkt möchte ich nicht damit Anfangen, Hormone einzunehmen aber trotzdem habe ich die Überweisung für die Hormontherapie in der Hand. Die Indikation für die Mastektomie blieb aus. Und das nur weil ich mich nicht als Trans* sondern als Nicht-Binär identifziere.
Kostenübernahme der Krankenkassen
Der Therapeut, der mich zum Endokrinologen schicken wollte, hat mir folgendes erklärt: Zwar werden bei Transmenschen die Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen übernommen,bei Nicht-Binären Personen allerdings nicht. Die Krankenkassen, beziehungsweise der MdK (“medizinischer Dienst der Krankversicherung”), der das Schlusswort bei Anträgen zur Kostenübernahme hat, unterscheidet zwischen den Diagnosen “Transsexualismus” und “Sonstige Störung der Geschlechtsidentität, nicht weiter bezeichnet” also Nicht-Binär laut dem ICD-10, dem Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen. Geschlechtsdysphorie ist laut Krankenkassen und MdK vorrangig ein Trans-Problem. Bei Nicht-Binären Personen seien geschlechtsangleichende Operationen, Wunsch-Operationen. Eine befreundete Person von mir identifiziert sich als Nicht-Binär, möchte aber maskulin aussehen. Um die Mastektomie bezahlt zu bekommen, hat dey die Wahrheit ein bisschen verdrehen müssen und behauptete, ein Trans*Mann zu sein. Irgendwie verständlich, wenn man bedenkt, dass die OP über 5.000€ kosten kann. Aber meine Moral hat da nicht mitgemacht, den Therapeuten anzulügen, da man bei einer Therapie ehrlich sein sollte, damit sie auch was bringt. Mir bleibt nichts anderes übrig als alles aus eigener Tasche zu zahlen.
Mein Besprechungstermin beim Chirurgen war äußerst positiv. Alles, was ich brauchte, war eine Stellungnahme meines Therapeuten, um zu versichern, dass ein Leidensdruck herrscht, der mit diesem Eingriff gemildert werden kann. Keine sechs Monate Hormone, kein Alltagstest- nur eine professionelle Meinung und ein gutes Gespräch mit der behandelnden Person. Jede Frage, die ich hatte, wurde gut beantwortet und ein Operationstermin wurde festgelegt. Am 23. März ist es bei mir endlich so weit. Bis dahin heißt es für mich nur noch abwarten und Geld sparen. Neben einem Minijob, den ich neben meiner Ausbildung habe und Eltern, die mich zu einem gewissen Teil finanziell unterstützen können, habe ich ebenfalls einen GoFundMe gestartet.
Lebensqualität sollte selbstverständlich sein
Es ist traurig, dass geschlechtsangleichende Maßnahmen automatisch einfacher werden, sobald man die finanziellen Mittel dazu hat. Der Staat und die dafür vorgesehenen Institutionen sollten alle Identitäten unterstützen. Ich bin nur eine Person von Vielen, bei denen es sich um mehr als eine Wunsch-Operation handelt. Ich bin nur eine Person von vielen, denen es schwerfällt. Alle Personen, die sich nicht mal mehr outen können und schon gar nicht erst um Hilfe bitten können. Alle Personen, denen es nicht möglich ist, nebenher Geld zu verdienen. Alle Personen, deren Identität im ersten Moment mehr wie ein Stolperstein wirkt. Und dann kommt noch dazu, dass Institutionen wie die Krankenkassen die Lebensqualität extrem einschränken können, nur weil es dem System an Kommunikation und Verständnis fehlt. Sollte es nicht langsam Zeit sein solche Themen ernst zu nehmen und ihnen Raum zu geben? Bitte lasst keinen Rat an alten Cis-Männern über die Körper von diversen Trans* Personen entscheiden. Es ist schon schwer genug in einer binären, cis-normativen Welt seinen Weg zu finden, da braucht man nicht auch noch Geldsorgen nur um einen Körper zu bekommen, in dem man sich richtig fühlt.