Der meist jährliche Kontrolltermin bei einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen gehört für die meisten Menschen, die eine Gebärmutter haben, einfach dazu. Einmal die aktuelle Situation besprechen, eventuell über langfristige Verhütung reden, ab auf den Untersuchungsstuhl und dann wieder nach Hause. Auch wenn dieser Termin wohl für die wenigsten Menschen zu den angenehmsten Besuchen bei Ärzten und Ärztinnen zählt, ist er unheimlich wichtig, um Früherkrankungen zu erkennen oder einfach, um Probleme und Beschwerden anzusprechen. Und meistens ist er dann doch einfacher hinter sich gebracht, als man denkt.
So nicht für Aiden. Aiden ist 19 Jahre alt und ein trans*Mann mit intakter Gebärmutter und Eierstöcken. Eine gynäkologische Praxis hat er noch nie besucht. Dass gynäkologische Untersuchungen wichtig sind und regelmäßig durchgeführt werden sollten, ist ihm bewusst, erzählt er. Trotzdem hat er sich bis jetzt nicht dazu durchringen können, einen Termin zu vereinbaren – vor allem, weil es ihm schwer fällt, sich mit seinem biologischen Geschlecht auseinanderzusetzen: “Es ist schwer, akzeptieren zu müssen, dass man in einem Körper geboren ist, der nicht mit der eigenen Identität übereinstimmt. Für mich ist es schwer, beispielsweise beim Umziehen an mir herunter zu sehen und nicht das Körperteil vorzufinden, was ich gerne hätte oder haben sollte.” Aiden berichtet weiter, dass er deswegen versucht, sein biologisches Geschlecht zu verdrängen. “Und deswegen ist es eine noch größere Herausforderung, zum:zur Gynäkolog:in zu gehen. Ich müsste mir eingestehen, dass ich diesen Körper, den ich ablehne, habe, und dass er zu mir gehört.”
“Transsensibel” – mehr Verständnis für Patient:innen
Auf der Suche nach Gynäkologinnen oder Gynäkologen, die auf die Behandlung von trans*Männern spezialisiert sind, stößt man häufig auf den Begriff “transsensibel”. Transsensible Gynäkolog:innen sind sich bewusst, dass ihre Patient:innen das ihnen bei der Geburt zugewiesene Geschlecht ablehnen und der Arztbesuch eine sehr große Überwindung für sie darstellt. Sie gehen mit besonders viel Empathie und Feingefühl auf die zu behandelnden Personen ein und sind sich auch im Klaren darüber, welche Veränderungen ein Körper während der Transition mit einhergehender Hormontherapie durchlebt. Im Fall von trans*Männern heißt das: die Vagina wird trockener und bildet sich zurück, während die Klitoris wächst und empfindlicher wird. Dadurch werden gynäkologische Untersuchungen für die Patienten deutlich unangenehmer. Wichtig ist also, die Untersuchung mit Vorsicht und immer in durchgängiger Absprache mit dem Patienten durchzuführen. Denn nicht nur die rein körperlichen Gegebenheiten erschweren den Arztbesuch, es lastet vor allem ein starker psychischer Druck auf trans*Männern: “Wir müssen uns in diesem Moment eingestehen, dass wir im falschen Körper geboren sind”, sagt Aiden. Was er sich von einer:m transsensiblen Gynäkolog:in wünscht? Mit seinen richtigen Pronomen und nicht als “Frau X” angesprochen zu werden und vor allem, wie er selbst sagt, “normal behandelt zu werden.”
Was heißt eigentlich “normal”? In den meisten Köpfen hat sich festgesetzt, dass nur cis-Frauen Gynäkolog:innen besuchen – gerade auch, weil sich die Bezeichnung “Frauenarzt” in der Bevölkerung durchgesetzt hat. Insgesamt gehören aber alle Menschen mit Uterus und Eierstöcken zu den Patient:innen gynäkologischer Praxen – und das schließt eben auch nichtbinäre und trans*Personen ein.
Auch für trans*Frauen ist eine regelmäßige gynäkologische Untersuchung wichtig, besonders Beratungsgespräche und Vorsorgeuntersuchungen. Während bei trans*Männern der Fokus auf den inneren Organen liegt, wird trans*Frauen nach ihrer Geschlechtsangleichung empfohlen, die äußeren Organe regelmäßig kontrollieren zu lassen. Dazu gehören das Abtasten der Brust und die Untersuchung mit dem Spekulum, um Infektionen der Neovagina zu verhindern oder zu behandeln. Doch auch hier trifft man wieder auf das gleiche Problem: Nicht alle Gynäkolog:innen sind gleich gut informiert, die Wenigsten transsensibel. Neben dem Austausch auf Online-Plattform können Internetseiten wie “Gynformation” eine gute Anlaufstelle sein, um transsensible Gynäkolg:innen zu finden, sowohl für transidente als auch nichtbinäre Personen. Mitglieder der Community können dort Adresslisten von transsensible Gynäkolog:innen und andere Ärzt*innen finden oder hinzufügen. Für transidente Personen sind Seiten wie diese eine erste Hilfe und vielleicht sogar ein Hürdenüberbrücker, wenn es darum geht, das erste Mal zu einer gynäkoligischen Untersuchung zu gehen. Gleichzeitig spricht es aber auch für sich, dass in einer scheinbar offenen und aufgeklärten Gesellschaft transidente Personen gezielt nach Gynäkolog:innen suchen müssen, die sie respektvoll behandeln.
Mehr Awareness kann helfen
Meist sind die Betroffenen mit dem, was sie bedrückt, allein. Allein mit der Angst, im Wartezimmer fragenden Blicken ausgesetzt zu sein; allein mit der Angst, Schmerzen bei der Untersuchung zu haben und vor allem allein mit Angst, sich mit einem Körper und Geschlecht auseinanderzusetzen, das man ablehnt und mit dem man sich nicht wohlfühlt.
Umso wichtiger ist es also, etwas dafür zu tun, dass sich die Situation von trans*Männern in gynäkologischen Praxen verbessert. Ein erster Schritt wäre, die Behandlung von trans*Patient:innen als verpflichtenden Teil der Facharztausbildung einzuführen. Denn zu oft berichten trans*Männer, Ärztinnen und Ärzten gegenüberzusitzen, die unsensibel oder sogar grob an die Untersuchung heran- und nicht auf ihre Patienten eingehen. “Der Arzt war schnell und ist nicht wirklich auf mich eingegangen. Zu Hause bin ich in Tränen ausgebrochen”, erzählt Markus (Name geändert) in einem Interview mit “Vice”. Trans*Mann Alex berichtet: “Einmal wurden mir viele intime Fragen während eines Termins zu meiner Familie gestellt. ‚Du hast bestimmt ein schlechtes Verhältnis zu deinem Vater‘, sagte der Arzt, während er seine Hand in mir hatte. Er ging wohl davon aus, dass trans*Menschen immer eine schlechte Beziehung zur Familie haben. Außerdem wurde ich bisher immer nach meinem Sexualverhalten gefragt, und alle gingen davon aus, dass ich Sex mit Männern habe – vermutlich weil ich eine Vagina habe.”
Neben der Weiterbildung von Gynäkolog:innen kann eine öffentliche Debatte für mehr Aufmerksamkeit und Awareness sorgen, vor allem bei der übrigen Gesellschaft. Zu viele (cis-)Menschen können den Leidensdruck von trans*Männern nicht nachvollziehen und dementsprechend weniger Verständnis mitbringen. Durch mehr Aufklärung könnten sich zudem auch mehr trans*Männer ermutigt fühlen, sich dem Termin bei der:dem Gynäkolog:in zu stellen. Aiden sieht das ganze kritisch: “Das ist nur durch sehr, sehr gute Recherche möglich. Sonst gehen Aufklärungskampagnen nach hinten los.” Damit spielt er auf ein kürzlich erschienenes Video des Creators Leeroy Matata an, in dem eine trans*Frau und ein AfD-Politiker aufeinandertreffen, um über Transidentität zu sprechen. In den Kommentaren kritisieren viele User:innen, das Ziel des Gespräches, ein konstruktiver Austausch von Positionen, konnte nicht erreicht werden, weil beide Gesprächspartner:innen aneinander vorbeigeredet hätten; der Moderator nicht ausreichend vorbereitet gewesen sei und auf transphobe Aussagen nciht eingegangen wäre: “Find’ ich auch ganz schlimm, dass Leeroy (Moderator, Anm. d. Verf.) nichts wirklich sagt und auch nicht zu wissen scheint. Einblendungen bringen nichts, es muss jemand drittes da sein, der informiert IST und auch Fakten während der Diskussion checken kann. Alleine die Konversation kann ohne diese Live-Fakten-Checks gar nicht richtig geführt werden”, kritisiert sich eine*r User*in in der Kommentarspalte.
Und was kann jede:r Einzelne tun? Aiden wünscht sich, dass nicht nur mehr von “Frauenärzt:innen” gesprochen wird, sondern von Gynäkolog:innen: “Allein schon die Benennung trägt dazu bei. Denn eine Vagina haben ja nicht nur Frauen, sondern beispielsweise auch nichtbinäre Menschen”.
Wenn wir das nächste Mal in einer gynäkologischen Praxis sitzen und eine männlich gelesene Person aufgerufen wird, können wir also eines tun: uns nicht wundern, sondern respektvoll miteinander umgehen. Denn damit schaffen wir eine Sache besonders: “Normal” neu zu definieren – “Normal” für alle gelten zu lassen.