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Intimerleben: Warum Intimität auch Verantwortung bedeutet

Bildquelle: pexels.com

Sex ist wie Tee, das hab ich mal irgendwo gehört. Klingt ein bisschen seltsam, ist aber eigentlich ganz einfach: Sagen wir, du bietest jemandem eine Tasse Tee an. Diese Person sagt dann vielleicht: Oh ja, unbedingt! – dann weißt du, dass sie eine Tasse Tee möchte, und ihr könnt sie gemeinsam trinken. Wenn die Person aber ablehnt, dann hast du absolut kein Recht dazu, ihr den Tee einfach aufzuzwingen. Oder sagen wir, die Person hat erst zugestimmt, und du hast dir total viel Mühe beim Aufsetzen des Teekessels gegeben und den Tee in deinem hübschesten Teeservice aufgegossen – wenn die Person sich dann aber umentscheidet und doch keinen Tee möchte, dann ist das vollkommen okay. Und du hast niemals ein Anrecht aufs Teetrinken mit irgendwem ohne dessen Einverständnis – nicht, wenn die Person betrunken oder ohnmächtig ist, nicht, wenn die Person sich unsicher ist, ob sie den Tee möchte, und auch nicht, wenn ihr schon vorher oft zusammen Tee getrunken habt. 

Mit solchen Metaphern ist schon oft versucht worden, das Konzept von gegenseitigem Einverständnis beim Sex in die Köpfe der Menschen zu bringen. Ich finde, das ist ein guter Ansatz – doch irgendwie drängt sich mir trotzdem die Frage auf, inwieweit solche vereinfachten Darstellungen bei den Leuten ankommen, die sie wirklich nötig haben. Nämlich Leuten, die nicht einfach nur eine Tasse Tee mit dir trinken wollen und deine Reaktion darauf missverstehen, sondern denen gerade die Macht gefällt, mit der sie dich dazu bringen. Aber Schluss mit den Metaphern. Es gibt hier absolut nichts zu beschönigen. 

Konsens ist ein wirklich schwieriges Thema, und das nicht zuletzt deshalb, weil viele Menschen einfach keine Berührungspunkte damit haben. Irgendwie herrscht immer noch die Vorstellung von zwei Körpern vor, die sich ohne Worte verstehen und immer genau wissen, was dem*der anderen gefällt. Oder habt ihr jemals eine Sexszene oder einen Porno gesehen, in dem viele Fragen gestellt wurden? Ein Gefällt dir das? Ein Ist es okay, wenn ich dir das ausziehe? Ein Darf ich dich hier küssen? Vielmehr scheinen die Teilnehmenden auf telepathische Weise verbunden zu sein und auf jede dieser Fragen schon instinktiv eine Antwort zu haben. Klar, dass viele Menschen die ganze Sache mit dem verbalen Konsens irgendwie unsexy finden.

Aber im echten Leben ist es nunmal oft viel komplizierter: Da gibt es Missverständnisse, falsch interpretierte Gesten, und nicht zuletzt manipulative Arschlöcher, die einen selbst daran zweifeln lassen, ob man das jetzt will oder nicht. In verschiedenen Ansätzen ist deshalb versucht worden, verbaler Zustimmung in der Debatte mehr Raum zu geben. Da gibt es zum Beispiel die „Ja heißt Ja”-Bewegung, die eine Erweiterung zum allseits bekannten „Nein heißt Nein” darstellt. Bei „Ja heißt Ja” geht es darum, dass eine Vergewaltigung nicht erst bei einem klar ausgesprochenen „Nein” losgeht, sondern genau da, wo keine Zustimmung eingeholt worden ist. Einverständnis ist also nur da vorhanden, wo es in Worten oder eindeutigen Gesten geäußert wird. 

Ein wenig weiter geht das Modell des  „Enthusiastischen Konsens”, das besagt, dass Konsens nur vorhanden ist, wenn beide (oder alle) Teilnehmenden „enthusiastisch” bei der Sache sind. Das Modell ist allerdings sowohl von asexuellen Menschen als auch von Sexarbeiter:innen kritisiert worden, weil es ihnen zufolge durchaus möglich ist, gerne und aus freien Stücken Sex mit einer Person zu haben, ohne total leidenschaftlich dahinter zu stehen.

Die „Ja heißt Ja”-Regel ist beispielsweise in Schweden gesetzlich verankert worden: Passivität bei sexuellen Handlungen gilt dort nun rechtlich nicht mehr als Einwilligung. Aus dieser Regelung versuchten die Entwickler der App „Libra” Profit zu schlagen: In der App haben die Nutzer:innen die Möglichkeit, gemeinsam eine Art Vertrag aufzusetzen, der als Einwilligung zum Sex gelten soll. Das klingt jedoch nicht nur etwas unerotisch, sondern ist auch eine ziemlich blödsinnige Idee. Davon abgesehen, dass so ein Vertrag (zum Glück) nicht rechtlich bindend sein darf, gibt es auch keine Möglichkeit zu überprüfen, ob eine:r der Teilnehmer:innen nur unter Androhung von Gewalt, psychischem Druck oder Ähnlichem eingewilligt hat. Außerdem macht so ein vermeintlicher Vertrag es niemandem leichter, die wahren Bedürfnisse zu äußern.

Ihr seht schon: Beim Thema Konsens nimmt uns niemand die Verantwortung ab. Die müssen wir selbst tragen, ganz ohne Verträge und technische Hilfsmittel. Wir müssen Verantwortung übernehmen für unser Gegenüber, für unser Handeln und das Zusammensein und Intimwerden mit Anderen. Zugegeben, das ist nicht immer ganz einfach. Wir neigen beim Sex häufig dazu, uns einfach fallenzulassen, die störenden Gedanken weit wegzuschieben und genau nach dem Skript in unserem Kopf zu handeln, das uns vorgibt, wie Sex zu sein hat. Hinterher fragen wir uns vielleicht: Hat mir das überhaupt wirklich gefallen, oder hab ich einfach nur mitgemacht, weil ich Angst hatte, den Moment zu zerstören oder die andere Person zu verletzen? Oder: Hätte ich an dieser Stelle vielleicht vorher nachfragen sollen? Habe ich da eine Grenze übertreten?

An dieser Stelle ist das Zauberwort wieder einmal Kommunikation. Kommunikation kommt immer und überall zu kurz, denn viele Menschen tragen zu viel Scham oder Angst vor Zurückweisung mit sich herum, um sich mitzuteilen. Gemeinsame Verantwortung bedeutet aber ganz besonders, dass man sowohl vor und während als auch nach dem Sex miteinander redet. Und nein, das muss keine Powerpoint-Präsentation oder Schaubilder beinhalten, an denen man der anderen Person zeigt, wo man wie angefasst werden will. Verbale Zustimmung lässt sich ganz einfach einholen, und da ist absolut nichts unsexy dran. Ich war noch nie abgestoßen davon, wenn jemand öfter mal nachgefragt hat – ganz im Gegenteil. Es gibt nichts weniger Anziehendes als jemanden, der sich einfach nimmt, was er will und seinen Egotrip fährt. Und man selbst stellt ebenfalls fest, dass die ganze Sache irgendwie spaßiger ist, wenn man seine eigenen Bedürfnisse klar artikuliert: Ich mag es, wenn du … oder Mach so weiter, oder schlicht und ergreifend JA! (Letzteres kriegt höchstwahrscheinlich jede*r hin, oder?) 

Je besser man einander kennt, desto stärker wird auch das Gespür füreinander. Dann fragt man vielleicht nicht mehr bei jedem Schritt nach, weil man ein besseres Gefühl für die Körpersprache der anderen Person bekommen hat. Die Verantwortung füreinander lässt aber keineswegs mit der Zeit nach – nicht nach dem ersten Mal und auch nicht nach dem tausendsten.

Sex ist also nicht nur wie Tee. Sex ist ein  Balanceakt, der eine Menge Einfühlungsvermögen und Rücksicht erfordert. Und diese Rücksicht lässt sich nicht nur im Schlafzimmer einüben, sondern in jeder Lebenssituation. Also: Verlasst euch nicht darauf, die Gedanken eures Gegenübers lesen zu können. Legt die Scham ab, und die Angst. Und vor allem: Sprecht miteinander. Denn egal womit eure Münder gerade beschäftigt sind, fürs Sprechen muss immer Zeit sein.

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