Magen-Darm-Tag – Warum wir über die Verdauung reden sollten

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Magen-Darm-Tag am 7. November. Das hört sich erstmal ziemlich unsexy an und das ist es vielleicht auch. Probleme bei der Verdauung können einem heftig auf die Laune schlagen, das Leben von jetzt auf gleich aus den Angeln heben, soziale Einschränkungen mit sich bringen und für sehr viel Frust sorgen. Die Verdauung beginnt im Mund und endet am After – ein langer Weg, auf dem so einiges passiert und auch mal schief laufen kann, worüber die meisten Menschen aber sehr ungern reden. Daher stehe ich heute wie ein Zeuge Jehovas mit den Worten an der Tür: Guten Tag, ich möchte mit Ihnen heute ganz ungeniert über Magen, Darm, Unverträglichkeiten, Schmerzen, Durchfall, Verstopfungen, Pupse, Übelkeit, Frust und mentale Gesundheit reden. 

2014 veröffentlichte Giulia Enders, die damals gerade einmal 24 Jahre alte Science-Slammerin und Medizinstudentin, ihr Buch Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ und wurde damit innerhalb von kürzester Zeit Bestseller-Autorin. Enders tingelte von Interview zu Interview und begeisterte mit ihrer unverblümten Art über Verdauung, Kot und mentale Gesundheit zu reden. Sie teilte ihre unendliche Faszination für den Darm und offensichtlich waren viele Menschen in der Bevölkerung beeindruckt davon, sonst hätte ihr Buch nicht solch einen Erfolg gehabt.

Man hätte denken oder wenigstens hoffen können, dass Enders Begeisterung für ihr selbst benanntes Lieblingsorgan, den Darm, und die Tatsache, dass sie mit Markus Lanz offen darüber sprach, wie kacken eigentlich geht, zur Entstigmatisierung dieses ganz natürlichen Prozesses führen würde. Und das hat es auch. Kurz und intensiv. Die Menschen lasen oder hörten über den Darm, die verschiedenen Konsistenzen von Kot, Lebensmittelunverträglichkeiten und das Pupsen. Dabei wurde viel gelacht, beschämt und belustigt zugleich. 

Doch was ausblieb war der nächste Schritt der Entstigmatisierung: Dass man von der Belustigung zur Ehrlichkeit wechselt und ganz offen darüber redet, wie es einem grad mit der eigenen Verdauung geht.

Zu Weihnachten 2019 bekam ich ganz besondere Geschenke – eine Laktoseintoleranz und eine Glutensensitivität. Hört sich nach furchtbaren Geschenken an, doch für mich war es eine riesige Erleichterung. Monatelang hatte ich heftige Probleme mit Verstopfungen, Bauchschmerzen, Übelkeit, dann wieder Durchfall. Das nagte an meiner mentalen Gesundheit, denn ich war frustriert und ratlos. Ich konnte nicht ansatzweise festmachen, was es genau sein sollte, was ich da nicht vertrage. Quälende gefühlte Ewigkeiten lief ich mit einem geblähten und schmerzenden Bauch durch meinen Alltag, während ich mir zeitweise nichts sehnlicher wünschte, als endlich gut und regelmäßig kacken zu können. Diese Odyssee nahm nach Weihnachten 2019 langsam ein Ende. Eine umsichtige Ärztin konnte bei mir eine Laktoseintoleranz feststellen, sonst weiter nichts, riet mir aber dazu, mit viel Geduld radikal auf Gluten zu verzichten. Wochenlang aß ich also zunächst auf Verdacht endlos überteuertes glutenfreies Brot und Nudeln, was alles wirklich nicht toll schmeckt, war schockiert und frustriert darüber, worin überall Gluten enthalten ist, bis ich endlich eine Besserung wahrnahm. Eine deutliche Besserung, die mir ein gutes Lebensgefühl zurückbrachte, mit dem ich mich nicht mehr wie ein aufgeblähtes Michelin-Männch*in fühlte. 

Schnell wurde mir klar, dass ich mit meinen Unverträglichkeiten nicht hinterm Berg halten kann und will. Denn wer mit mir Zeit verbringt, wird auch irgendwann mit mir essen und die Wahl, wo wir essen, hängt dann leider immer mal wieder vom limitierenden Faktor meine Verdauung ab. Also erzählte ich Menschen, die neu in mein Leben traten, ganz offen, dass ich kein Gluten essen kann. Das wurde beinahe immer postwendend mit der gleichen Frage gekontert: “Und was passiert, wenn du doch Gluten isst?” Ja, was passiert dann? Soll ich es beschönigen? Soll ich ganz unspezifisch sagen, dass ich Verdauungsprobleme bekomme? Ich habe keine Lust auf das Versteckspiel und haben mir angewöhnt, mein Gegenüber zu fragen, ob er:sie es genau wissen wolle. Und die Antwort darauf war bis jetzt beinahe immer ein promptes “Ja”. Wer die unverblümte Antwort möchte, bekommt sie: Ich kriege von Gluten Verstopfungen, sodass ich tagelang, manchmal eine Woche lang, nicht kacken kann, dass ich davon wiederum heftige Bauchschmerzen bekomme und mir irgendwann nur noch übel ist. 

Man könnte denken, dass sich diese fragenden Menschen dann beschämt oder angewidert abwenden, doch das ist mir noch nie passiert. Stattdessen waren Leute verwirrt, fragten, wo denn genau überall Gluten drin sei, brachten mir Verständnis und Sorge entgegen. 

Und in dem ganzen Frust darüber, dass ich Omas Kuchen, die Brezel von Ditsch, das japanische Curry von meiner Mama und das frische Roggenmischbrot nicht mehr essen kann, hilft mir genau dieses Verständnis meiner Mitmenschen. Für mich ist es nach wie vor ein schmerzhafter Verlust, dass ich so viel Leckeres nicht mehr essen kann. Aber das Wissen, dass ich darüber reden darf, dass andere Bescheid wissen, auf mich und meine Verdauung Rücksicht nehmen, macht alles ein bisschen leichter und entspannter. Und wenn die Verdauung und die mentale Gesundheit etwas gerne mögen, dann ist es Entspannung. 

Deshalb: Lasst uns mutig sein und über unsere Probleme reden, auch wenn sie mit Kacke, Pupsen und Bauchschmerzen zu tun haben.

Lina

Lina ist 24 Jahre alt und studiert an der Universität Bonn. Wenn sie bei Canapé nicht gerade Gastbeiträge schreibt oder Interviews für die Reihe Zahltag transkribiert, lektoriert sie Texte unserer Autor:innen. Findet ihr also Rechtschreibfehler in einem unserer Texte - probably Lina's fault. Denn sind wir ehrlich: Lina kocht deutlich besser, als dass sie Kommas setzt.

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