/

LitWoch: Lust auf Lesen – Wie ich Bücher zurück in meinen Alltag geholt habe 

Es ist 2009 und Hochsommer. Ich habe Ferien und nichts zu tun. Meine Freund:innen sind alle im Urlaub, meine Eltern in der Arbeit, draußen ist es furchtbar heiß. Später, wenn die Sonne weniger stark vom Himmel scheint, gehe ich vielleicht noch nach draußen, fahre mit dem Fahrrad an den See oder zum Spielplatz um die Ecke. 

Aber bis dahin bleibe ich drinnen, im kühlen Haus, und verkrieche mich in fremden Welten. Ich löse Detektivfälle, ich reite mit meinem Pferd über Felder, ich kämpfe gegen böse Zauberer. Und vergesse dabei zu Essen, höre nicht, wie meine Eltern von der Arbeit kommen, verlasse diese Welten auch nicht, wenn ich mal in einen anderen Raum gehen muss. Ich lese immer weiter, den ganzen Tag lang, das Buch bleibt immer in meinen Händen. 

Bis, naja: Das Internet über mich hereinbricht. Denn als Teenagerin habe ich dann zwischen Instagram und Netflix irgendwie das Lesen verlernt. Und mich erst dieses Jahr so richtig auf die Mission begeben, Bücher wieder in meinen Alltag einziehen zu lassen. 

Ich sollte vielleicht dazu sagen: Ich studiere Literaturwissenschaft und ich habe auch noch nie in meinem Leben gar nicht gelesen. Aber die Menge an Büchern und die Kontinuität des Lesens in meinem Alltag hat sich verändert. Ich bin einfach nie wieder an das Level meiner Kindheitstage herangekommen. 

Wenn ich mich mit Freund:innen unterhalte, geht es scheinbar sehr vielen genauso. Aber in den letzten Jahren kriegen wir es einfach nicht mehr hin. Wir stehen dann nach der Vorlesung noch bei einem Kaffee zusammen vor dem Unigebäude und reden darüber, dass wir doch alle so gerne mal wieder ein ganzes Wochenende in ein gutes Buch versinken würden – um dann abends prompt eine neue Netflix-Serie anzufangen. 

Und ganz ehrlich: Irgendwann wurde mir das zu blöd. Kann ja nicht sein, dass ich ein gutes Buch nicht wie früher zur Priorität machen kann. Also habe ich mir für 2022 vorgenommen, endlich wieder mehr zu lesen. 

Dabei habe ich zuerst verschiedene Tricks ausprobiert: Jeden Tag 10 Minuten lesen, Social-Media-Apps löschen, ab 22 Uhr kein Handy mehr benutzen und am nächsten Tag erst wieder ab zehn. Ich habe versucht, mir Lese-Routinen anzugewöhnen, mir Muster vorzuschreiben, meinen restlichen Medienkonsum herunterzuschrauben. 

Aber am Ende war das wie mit einer Diät: Wenn ich Lust auf Instagram habe, oder ich am Abend einfach mal wieder Friends schauen will, dann bringt es gar nichts, wenn ich mir das verbiete und stattdessen schlecht gelaunt ein Buch lese. Eigentlich mache ich das ganze ja, weil ich Lust habe, Bücher zu lesen. Nicht weil irgendeine Lifestyle-Seite mir gesagt hat, dass das viel gesünder ist. 

Also bin ich irgendwann einen anderen Weg gegangen: Ich habe mir die dringende Lust nach Büchern, die Spannung, das Interesse wieder zurückgeholt. Ich habe angefangen, mich Tag für Tag in den verschiedensten Aspekten meines Lebens mit Büchern zu umgeben:

Ich schaue Youtuber*innen, die sich beim Lesen filmen oder Buchrezensionen machen. Ich spreche mit Freund*innen, die auch lesen, über unsere Lieblinge. Ich gehe immer wieder in Buchläden und lasse mich inspirieren. Und ich lade eine App herunter, in der ich meine gelesenen Bücher tracke und basierend darauf neue Empfehlungen bekomme. 

Mir dieses Umfeld zu schaffen, in dem Bücher so allgegenwärtig sind, war die beste Idee von allen. Denn klar, eine gewisse Routine schaffen und weniger auf Social Media herumhängen, das hilft natürlich auch. Aber ich verbiete mir nichts. Ich muss mich gar nicht dazu zwingen zu lesen. Ich habe einfach fast täglich wieder Lust dazu. Weil ich genug Bücher auf meiner Liste stehen habe, die mich interessieren. Weil ich merke, wie gut ich mich dabei entspannen kann. Und weil ich dadurch auch tolle Gespräche führe, über die Bücher hinaus. 

Ich kann jetzt nicht behaupten, dass ich nie wieder Netflix-Serien anschauen werde oder Instagram und Co. komplett abgeschworen hätte. Schließlich bin ich Anfang zwanzig und diese Dinge gehören eben einfach mit zu meinem Leben. Aber ich habe dieses Jahr gelernt, dass es sich lohnt, eben doch öfter mal Laptop und Handy auszuschalten und stattdessen zu lesen.

Es entspannt mich, mal nicht auf einen Bildschirm zu blicken. Es holt mich komplett aus meinem Alltag heraus und bringt mich auf neue Gedanken. Es regt meine Fantasie an. Bücher geben mir nicht das Gefühl, ich müsste mich irgendwie optimieren und, wenn ich eine Stunde später wieder einmal auf die Uhr blicke, fühlt es sich nicht an, als hätte ich meine Zeit verschwendet. Stattdessen habe ich auch von den banalsten Romanen am Ende doch irgendetwas gelernt. 

Es ist jetzt 2022 und der Winter beginnt. Ich hätte eigentlich alles Mögliche zu tun, aber stattdessen bleibe ich auf der Couch sitzen und verkrieche mich in fremden Welten. Ich lese immer weiter, den ganzen Abend lang, das Buch bleibt immer in meinen Händen. In mir drin steckt wohl doch noch, ganz tief unten, die kleine Leseratte, die ich als Kind einmal war.

Moni Rathmann

Moni Rathmann studiert in Bonn English Studies und Komparatistik im Bachelor und arbeitet nebenher (oder vielmehr hauptsächlich) beim Campusradio mit. Bei Canapé schreibt sie Texte für die Neuland-Kolumne und liebt es, Themen zu besprechen, die unsere Generation und sie selbst höufig umtreiben. Wenn sonst noch Zeit bleibt, findet ihr sie auf Konzerten.

Previous Story

Politiker:innen auf TikTok: Von Kaninchenbauten und dem Weidelknecht

Next Story

Too much information? Wie Nachrichten uns mental überfordern können

Das neueste von LitWoch

LitWoch: Grenzen(los)?

Dass Literatur oftmals provoziert und aneckt, ist nichts Neues. Aber was darf Literatur eigentlich? Hat sie