LitWoch: Harry Potter, Transphobie und J.K. Rowling – Wie queere Fans damit umgehen (können)

Auf einem Tisch liegen Zauberstab, Brille, eine rote Krawatte und ein leeres Buch.
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J.K. Rowling, die weltweit bekannte Autorin der Harry Potter-Reihe, steht seit einiger Zeit wieder im Rampenlicht: Ein neuer “Fantastic Beasts”-Film weltweit in den Kinos, neue Kinderbücher wie “Der Ickabog”, neue Thriller, die sie unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlicht, und – naja – Transphobie.

Seit gut drei Jahren geht die J.K. Rowling-Transphobie-Debatte durchs Netz, immer wieder angefacht durch neue Tweets der Autorin, die stark darauf hindeuten, dass sie transphobe Tendenzen zeigt. Kann man (vor allem als queere Person) danach noch mit gutem Gewissen hinter dem Harry Potter-Universum stehen? Bücher kaufen? Filme schauen?


„Du bist Harry Potter-Fan?“ „Ja. Leider.“

„Und in welchem Haus bist du?“
„Hufflepuff.“
„Echt? Ich hätte gedacht, du bist in Gryffindor, ich bin selber in Gryffindor.“
So oder so ähnlich laufen manche meiner Smalltalk-Situationen ab. „Du bist Harry Potter-Fan?“, „Ja. Leider.“, würde ich dann häufig gerne antworten.

Viele Harry Potter-Fans erinnern sich vielleicht noch daran: Das erste Mal den „Stein der Weisen“ lesen, den ersten Film im Kino, den ersten Marathon, der sich über ein oder mehrere Wochenenden gezogen hat. Für mich war das ganze Harry Potter-Universum immer ein Ort, an dem ich mich wohl gefühlt habe, ein Ort, in den man gerne abgetaucht ist, wenn die Welt um einen herum zu viel geworden ist.

Über viele Jahre des Lesens, Filme-Schauens und Zauberer-Content-Konsumierens ist mir die Zaubererwelt nicht nur ans Herz gewachsen, sie hat mir auch irgendwo geholfen, mich als „Außenseiter“ zu identifizieren und mich dabei nicht schlecht fühlen zu müssen. Hexerei und Zauberei, Quidditch, Galeonen, Expecto Patronum, Hufflepuff. Alles irgendwie Teil meiner Identität, alles Wörter, geprägt durch eine problematische Autorin.


Von Möchtegern-Feminismus, Transphobie und Terfs

“War is Peace. Freedom is Slavery. Ignorance is Strength. The penissed individual who raped you is a woman.”, tweetet J.K. Rowling Ende 2021. Angespielt wird hier auf George Orwells Dystopie Roman 1984. Die ersten drei Sätze des Tweets sind wichtige Bestandteile des Romans, sie beschreiben einen Slogan der offensichtliche Gegenteile aufzeigt, in der Welt von 1984 jedoch dafür stehen, dass so die Gesellschaft in ihrer Ausdrucks- und Denkfähigkeit eingeschränkt wird.

So fügt auch J.K. Rowling hier ein Beispiel ein, das ihrer Meinung nach ein offensichtliches Gegenteil beschreibt. Immer wieder tauchen solche Tweets auf und selbst nach harscher Kritik nimmt Rowling sie nicht zurück oder lässt sie sein. Der neuste Transphobie-Tweet ist gerade Mal ein paar Tage alt (Ende Mai 2022).

Andererseits schafft sie sichere Räume für Frauen, setzt sich für diese und gegen Missbrauch und Misshandlung ein. Das klingt alles wundervoll. Feminismus auf dem Vormarsch, doch Frauen – so J.K. Rowling – seien eben nur Menschen, die menstruieren. Immer wieder wird sie ganz konkret: „a penissed individual“ (dt: eine Person mit Penis) sei ihrer Meinung nach niemals eine Frau. Was so natürlich nicht stimmt, denn eigentlich ist lange klar, Geschlecht (Gender) ist eben nicht gleich Geschlecht (Sex), auch wenn dies im Deutschen durch fehlendes Vokabular schwer zu beschreiben ist.

Im Englischen wird deutlich zwischen Gender (Geschlechtsidentität – also zum Beispiel welche Pronomen eine Person bevorzugt) und Sex (also den körperlichen Attributen und Reproduktionsmerkmelen – zum Beispiel XX oder XY Chromosome) unterschieden. Bei vielen Menschen stimmen Gender und Sex überein, bei manchen aber eben auch nicht.

Menschen, die Positionen wie J.K. Rowling vertreten, werden umgangssprachlich “Terf” (= Trans Exclusionary Radical Feminist) genannt. Dies bedeuted im Deutschen so viel wie “ein:e radikale:r Feminist:in der/die Transfrauen in deren Feminismus nicht mit einschließt”. J.K. Rowling sollen die positiven Aspekte des Feminismus auch gar nicht abgesprochen werden. Es ist gut, dass sie sich aktiv für Frauenrechte einsetzt, nur bedeutet Frauen für sie eben leider nicht alle Frauen. Für sie sind Frauen nur Menschen die menstruieren, Menschen ohne Penis, und eben keine Transfrauen.

Über die letzten Jahre haben sich deshalb nicht nur Mitarbeiter von J.K. Rowling distanziert, sondern auch immer mehr Schauspieler:innen der Harry Potter-Filme von der Autorin und ihren Aussagen. Daniel Radcliffe, der Harry Potter-Star, positioniert sich deutlich zu diesem Thema: “Transgender Frauen sind Frauen”.


Wie geht’s weiter und wie fühlen sich queere Harry Potter-Fans dabei?

Ich selber identifiziere mich als genderqueer, heißt, ich ordne mich keinem Geschlecht besonders zu und fühle mich dadurch mit allen Pronomen gleich wohl.
Und ich bin Harry Potter-Fan.

Ein Zwiespalt, der mir im Kontext der eben beschriebenen Debatte sauer aufstößt. Ich stehe nicht hinter dem, was J.K. Rowling sagt. Ich finde, Transphobie hat in der heutigen Zeit keinen Platz mehr. Trotzdem hat Harry Potter einen großen Teil meiner Kindheit ausgemacht und mich geprägt. Ich habe immer noch die komplette Reihe auf Deutsch und Englisch in meinem Bücherregal stehen, schaue mir an regnerischen Tagen im Herbst die Filme an. Abstand zu nehmen, fällt mir tatsächlich schwerer als gedacht. Kunst von der Künstlerin zu trennen ist ein Versuch, der oft aber nur schwer funktioniert. Denn viel von J.K. Rowlings Charakter selbst steckt in den Büchern, in den Figuren und in der ganzen Zauberer-Welt.

Ich habe für mich beschlossen, der Harry Potter-Welt nicht komplett zu entsagen, denn schließlich war es immer ein Safe Place für mich. Gleichzeitig möchte ich J.K. Rowling aber nicht weiter aktiv unterstützen. Also werde ich versuchen, ihre neue Literatur zu meiden, keine neuen Bücher oder Filme von ihr zu kaufen.

Harry Potter-Fans sollen meiner Meinung nach in Erinnerungen schwelgen dürfen, die Kunst soweit wie möglich für sich selber von der Künstlerin trennen, auch wenn man wohl immer irgendwie im Hinterkopf behält, wer die Bücher geschrieben hat und welche abwertende und Identitäten-absprechende Einstellung sie gegenüber vor allem Transfrauen hat.

Caro Stengl

Caro ist 22 Jahre alt und arbeitet im Marketing einer VR Bank in der Nähe von München. Nebenbei studiert sie berufsbegleitend und ist in ihrer Freizeit gerne kreativ unterwegs. Bei Canapé ist Caro teil des LitWoch-Teams und schreibt auch hin und wieder über andere Themen.
Random fact: Sie kennt mehr Fakten über Tauben als dir vielleicht lieb wäre.

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