Mein Vater, die Musik und ich

Ein rot-grüner Hintergrund. In der Mitte ist ein Kopfhörer in türkiser Farbe zu sehen.

Eine der ersten Erinnerungen, die ich habe, ist wie mein Vater mir an seinem Computer Musikvideos von den Sugababes vorspielt. Ich war noch im Kindergarten und während andere Kinder Schni Schna Schnappi gehört haben, hat mein Vater mich bereits in die echte Musikwelt mitgenommen. Und das beschreibt unsere Beziehung, glaube ich, ganz gut. 

Von den Sugababes hat sich mein Musikgeschmack dann zwar relativ schnell wegbewegt – aber dafür immer mehr zu dem von meinem Vater hin. Er hat mir vorgelebt, wie schön es ist, wenn Musik eine große Rolle im Leben spielt. Für mich bedeutet Musik abschalten zu können und meinen Emotionen einen Raum zu geben. 

Mein Vater hat mir all das unwissentlich beigebracht. Sein Arbeitszimmer ist gefüllt mit Schallplatten und CDs, während der Arbeit hört er konstant Musik im Hintergrund, und den Spotify-Family Account hat er auch eröffnet.

Aber neben diesem Vorleben, gab es noch etwas viel Wichtigeres in unserer Beziehung: das gemeinsame Erleben von Musik. Nach dem Abendessen bleiben wir noch länger im Wohnzimmer sitzen und hören Musik, auf der Couch schauen wir uns Konzertaufnahmen an. Immer und immer wieder zeigt er mir Künstler:innen, die danach zu meinen Liebsten zählen: Casper, Kraftklub, Foals.

Trotzdem sind wir musikalisch auch nicht immer einer Meinung: Meine Liebe zu deutschem Indie-Pop teilt mein Vater nur bedingt, dafür bin ich bei der Neuen Deutschen Welle nicht besonders begeistert. Aber das ist auch egal, denn der Austausch darüber ist genauso wertvoll wie das einvernehmliche Kopfwippen, wenn wir einen Song beide gut finden.

Im Laufe der Pubertät kam ich dann ins Konzert-Fieber. Meine Eltern gehen beide oft auf Konzerte, also war es selbstverständlich für mich, dass ich das auch tun würde. Mit meinem Vater war ich auf besonders vielen. Das Schönste daran ist zu sehen, wie er Live-Musik genießt. Denn gemeinsam Musik zu hören hat uns mehr verbunden als ich noch vor ein paar Jahren realisiert habe.

Mein Vater ist kein Mann vieler Worte und Umarmungen, und während der Pubertät, wenn sich Kinder und Eltern mit der Kommunikation sowieso schon schwer tun, hat Musik uns geholfen, trotzdem in Verbindung zu bleiben. Und das ist auch heute noch so, wo ich viele hundert Kilometer entfernt wohne.

Alle paar Wochen schickt einer von uns dem anderen einen Spotify-Link zu. Nach dem ESC-Sieg von Måneskin haben wir direkt darüber diskutiert, wie cool es ist, dass endlich mal eine Rockband gewinnt. Und in ein paar Wochen gehen wir zu The Dandy Warhols, das habe ich ihm zum Geburtstag geschenkt. Denn wir müssen gar nicht viel miteinander sprechen – die Musik vermittelt schon alles, was wir sagen wollen. 


Was mich mein Vater für meine musikalische Zukunft gelehrt hat? Niemals aufzuhören, auf die Suche zu gehen. Klar hört er seine Lieblingsbands von früher noch. Aber zum überwiegenden Teil entdeckt er jeden Tag neue Künstler*innen. Genauso wie er als junger Mann freitags in den Plattenladen gegangen ist und einfach wild reingehört und gekauft hat, verliert er sich jetzt in den neuen Releases und Mixes von Spotify. Denn egal, wie gut R.E.M. waren, da draußen ist noch so viel mehr. In dreißig Jahren will ich auch so sein.

Moni Rathmann

Moni Rathmann studiert in Bonn English Studies und Komparatistik im Bachelor und arbeitet nebenher (oder vielmehr hauptsächlich) beim Campusradio mit. Bei Canapé schreibt sie Texte für die Neuland-Kolumne und liebt es, Themen zu besprechen, die unsere Generation und sie selbst höufig umtreiben. Wenn sonst noch Zeit bleibt, findet ihr sie auf Konzerten.