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Intimerleben: Über Sex reden

Zwei Hälften einer Orange liegen auf einem blauen Teller. Ein Hand greift eine Hälfte.

Sex. Kurzes Wort, großes Thema. Egal, ob im Internet, auf Werbeplakaten oder im Fernsehen, Sex ist omnipräsent. Da gibt es Poster mit allen möglichen, lasziv posierenden und wenig bekleideten Menschen, da gibt es zahlreiche Instagramkanäle, die mit hübschen bunten Bildern aufklärende Funfacts in die Welt posten. 

Sex ist zu einem allgegenwärtigen Phänomen geworden. Doch obwohl mich Sexualität als Konzept nicht schockiert, habe ich Schwierigkeiten, über meine eigene zu sprechen.

Ich erinnere mich noch, wie ich meinen Vater als Kind einmal gefragt habe, was Sex eigentlich ist. Ich weiß nicht, ob meine Eltern mich schon vorher aufgeklärt hatten und ich das Gespräch einfach wieder vergessen hatte. Gut vorstellbar, dass Wörter wie Vagina und Penis meinem kindlichen Ich schlicht und einfach zu fremd waren, um interessant zu sein und ich bei erster Gelegenheit aufhörte, zuzuhören.

Jedenfalls musste ich das Wort Sex irgendwo aufgeschnappt haben, auch wenn mir die Bedeutung entgangen war. Meinem Vater muss zu Gute gehalten werden, dass er nur ganz kurz zögerte, bevor er erklärte: „Sex ist, wenn der Penis vom Mann in die Vagina der Frau eingeführt wird.“ 

Nun kann und sollte man sich über diese Definition von Sex natürlich streiten. Sex ist mehr als nur die Penetration der Vagina. Zum Beispiel findet Sex nicht notwendigerweise zwischen einem Mann und einer Frau statt. Im bunten Strauß der Sexualitäten sind alle möglichen Kombinationen denkbar. Wichtig zu erwähnen: Auch wenn ein Mensch mit einer Vagina und ein Mensch mit einem Penis miteinander schlafen, muss der Penis dabei nicht in die Vagina eingeführt werden. Ein Beispiel für penetrationsfreien Sex wäre orale Befriedigung.

Außerdem wäre etwas Kontext über die Implikationen von Sex, also wer es wann und wo, mit wem und vor allem warum tut, schön gewesen. Dank der Erklärung meines Vaters wusste ich zwar was beim Sex passiert, aber nicht was es bedeutet. Zur Ehrenrettung meines Vaters soll gesagt werden, dass diese Unterhaltung weit nach meiner und auch nach seiner Bettzeit stattfand. Thema dieses Artikels sind auch nicht die Höhen und Tiefen der sexuellen Aufklärung. Hier geht es um die Tatsache, dass es eine Zeit gab, in der ich problemlos über Sex sprechen konnte und dass diese Zeit vergangen ist.

Irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsen Sein bekam ich auf einmal das Bedürfnis, heimlich Dr. Sommer zu lesen und entwickelte eine panische Angst vor Gruppenumkleiden.

Kurz gesagt, ich entwickelte ein Schamgefühl. Ganz normal, wie mir ein sehr pinkes Buch versicherte, das meine beste Freundin und ich in einer vermutlich koordinierten Aktion von unseren Eltern geschenkt bekamen. 

Inzwischen bin ich etwas älter und etwas aufgeklärter. Ich habe meine Angst vor Gruppenumkleiden überwunden und bessere Ratgeber als Dr. Sommer gefunden. Trotzdem fällt es mir immer noch schwer, über Sex zu sprechen. 

Nun habe ich nicht den Anspruch, mit meinen Eltern über mein Sexleben zu sprechen. Tatsächlich wäre es meinem Vater vermutlich bereits unangenehm, wie häufig er in diesem Artikel erwähnt wird. Doch auch bei Gesprächen mit Freund:innen und Partner:innen, gerate ich ins Stolpern. Einerseits ist da die Sorge, zu viel Preis zu geben. Letztendlich könnte ich alle meine vielen Fragen mit einer einzigen zusammenfassen: „Bin ich normal?“. Um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, wie die Antwort auf diese Frage lautet. Denn die Angst, nicht normal zu sein, hindert mich daran, viele andere Fragen zu stellen.

Selbst wenn es mir gelingt, meine Hemmungen zu überwinden und über Sex zu sprechen, stehe ich vor einem weiteren Problem: Mir fehlen die Worte. Eine Freundin von mir hat es in einem Gespräch ganz gut zusammengefasst: „Lecken, blasen, lutschen – igitt.“ Die Sprache, die das Thema Sex umgibt, ist vorbelastet, geprägt von Stigmata.

Wann immer ich über Sex spreche, klinge ich entweder wie ein Textbuch („orale Befriedigung“) oder wie ein Porno („lecken“). Eine Übung für alle Leser:innen: Setzt euch mal mit einem Stift und und einem Blatt Papier an den Schreibtisch und versucht aufzuschreiben wie ihr gerne Sex hättet. Was gefällt dir? Was turnt dich an? Versucht, eure Lust in Worte zu fassen, ohne in die Textbuch- oder die Porno-Kategorie zu verfallen. Gar nicht so einfach, oder?

Dabei ist über Sex zu sprechen wichtig! Eine Analyse mehrerer Studien zu den Themen sexuelle Kommunikation und sexuelle Befriedigung hat gezeigt, je mehr kommuniziert wird, desto besser der Sex. Mit Partner:innen über Sex zu sprechen erzeugt nämlich eine Art positiven Kreislauf: Über Sex zu reden, intensiviert die Intimität einer Beziehung. Eine intimere Beziehung vereinfacht die Kommunikation und sowohl Intimität als auch Kommunikation führen zu besserem Sex.

Ein weiterer Pluspunkt: Wenn wir über Sex reden, helfen wir nicht nur uns selbst. Indem wir übers lecken, ficken, blasen und miteinander schlafen sprechen, brechen wir die Tabus, die diese Worte umgeben. Weniger Tabus bedeuten offenere Gespräche für alle. 

Wenn die Fakten so trocken dargelegt werden, wirken sie auf einmal selbstverständlich. Natürlich wird der Sex besser, wenn man seinen Partner:innen erklären kann, was man mag und nicht mag. Leider fällt mir das über Sex Reden nicht einfacher, nur weil ich weiß wie wichtig es ist. Da hilft wohl nur die Übung. Also werde ich bei der nächsten Gelegenheit nicht unter die Bettdecke kriechen, sondern mich selbst überwinden. Es wird vermutlich nicht einfach. Es wird viele Missverständnisse, unangenehme Stille und gestotterte Worte geben. Aber es wird sich trotz allem lohnen.

Franziska Balzer

Franziska studiert Journalistik in Hannover. Für Canapé schreibt sie übers Erwachsenwerden und Intimität. Franziska interessiert sich für Politik und Literatur und ist besonders fasziniert von Autoren, deren Leben noch spannender waren als ihre Geschichten.

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