Pasta, Panik, Paralyse

Foto: Birgit Waizenegger

Wie fühlt es sich an, wenn sich die Panik immer enger schnürt, sich die Gedanken auf nichts anderes mehr konzentrieren können? Mit eindringlichen Worten beschreibt Julia Zipfel, wie Angst und Panik in Alltagssituationen die Überhand ergreift.

Auf dem dunkelbraunen Holztisch dampft der vegane Nudelauflauf und es duftet eindringlich würzig. ‚DINNER IS READYYYY‘. Mitbewohnerin Nummer 2 war heute dran mit Kochen und hat soeben lauthals durch die Bude gebrüllt, um unser WG-Quartett zu Tisch zu ordern. Teller klappern. Ich höre den unverkennbaren Plong, mit dem die Wasserkaraffe energisch auf der Tischplatte abgestellt wird. 

Von meinem gewöhnlichen Platz aus, hinten links mit dem Rücken zur Wand, sehe ich dabei zu, wie heiße Pasta mit einem Schmatzen vor mir auf den Teller platscht. Ich habe (schon wieder) keinen Hunger, noch immer liegt mir das Frühstück schwer im Magen. Nach acht Stunden sollte man aber mal wieder etwas essen, denke ich und schiebe mir abwesend den ersten Bissen in den Mund. Dabei denke ich an morgen Vormittag. Die Scheibe Graubrot von heute früh schabt an meiner Magenschleimhaut, eingeengt und panisch. War es eben auch schon so heiß im Raum, so stickig? Ich rieche, wie mein Schweiß durch den Stoff meines Rollkragenpullovers sickert, der seinen Griff um meinen Hals immer fester zuschraubt. Panik kratzt an meiner Haut. Ich stelle mir die tellergroßen Schweißteiche vor, wie sie schadenfroh meine Armbeugen herabkriechen.

Ab und an sickern Gesprächsfetzen von Mitbewohnerin Nummer 1 bis 3 brockenweise zu mir durch, beißen sich durch viel zu laute Sorgen-Spiralen in meinem Kopf. Das Essen schmecke ja so gut. Und irgendwas von wegen Referat vorbereiten. Dann die Prüfung in drei Wochen. Halbherzig höre ich kurz hin. Die soll ja anscheinend ausnahmsweise tatsächlich mal etwas anspruchsvoller werden, hätte zumindest Mitbewohnerin Nummer 1 gehört. Morgen, morgen, morgen. Da ist es wieder, dieses fiese Morgen, wie es mich heimsucht. Schon schweife ich ab, höre, ohne es zu wollen, auf, dem Gesprächsverlauf der drei zu folgen.

Nur noch einmal schlafen, dann ist morgen. Einmal schlafen ist verdammt wenig, denke ich. Nicht mal mehr vierundzwanzig Stunden. Schnappatmung, der Bissen Pasta bleibt mir kurz im Hals stecken, rutscht dann schwerfällig die Speiseröhre hinab und regnet in meinen quasi leeren Magen. Das tut weh, ein wenig übel wird mir auch. Fast sofort leckt ein Speisebrei-Tsunami von innen an meiner Kehle. Gerade so kann ich ihn noch herunterschlucken, zurück in den Bauchraum drücken und vermeiden, auf die Toilette sprinten zu müssen.

‚So? What do you think?‘ Die anderen drei starren mich mit erwartungsvollen Blicken an. Es scheint, als wären bereits mehrere Minuten vergangen, in denen ich völlig regungslos auf meine nicht kleiner werdende Portion Auflauf geglotzt habe. Bestimmt glich mein Gesichtsausdruck einem dieser mattblauen Fische, wie sie in dem Aquarium meiner Therapeutin herumdümpeln. Während ich darauf warte, dass mein Name in den Raum hineingeplärrt wird, glubschen die mich immer so halbtot an, drehen dabei ihre lustlosen Runden durch den Glaskäfig. Wo sie sich doch eigentlich am liebsten hinter irgendeiner Alge vor den aufdringlichen Blicken der Wartenden verbarrikadieren würden. Manchmal schwappt einer von denen auch halb bewusstlos knapp unter der Wasseroberfläche vor sich hin. Da überkommt mich dann fast so etwas wie Empathie, oder ist es vielleicht Neid?

‚Hm?‘ Die Pupillen flackern, zoomen rein und raus, mein Bildausschnitt wird scharf. Wie wild wühle ich in meinem Gedächtnis, staple hektisch Gedanke für Gedanke, fein säuberlich gefaltet, um in den Spalten, Löchern, Ritzen die eben gestellte Frage von Mitbewohnerin Nummer 1 oder 2 oder 3 vielleicht doch ausfindig machen zu können. Ich kann nicht schon wieder zugeben, dass ich überhaupt nicht zugehört habe. Panisch stülpe ich in Zeitraffer alle Gedankenfetzen auf links, reiße an verknoteten Sätzen und grabe mich bis in die Tiefe der letzten zwei Minuten Dinner-Geplauder. Oder war es sogar schon länger her, ich weiß es nicht.

Manchmal, da passe ich kurz nicht auf, denke einen winzigen Moment an morgen Vormittag und wenn ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist, schwupps, eine halbe Stunde vergangen. Eine halbe Stunde, in der ich vermutlich wie paralysiert in ein und derselben Position festgeklebt bin, völlig regungslos und stumm. Mitbewohnerin Nummer 3 hat mal gesagt, das sehe aus, als wäre ich eine besessene Skulptur, die man sich allerhöchstens zum Nachbarn fernhalten auf die Fensterbank stellen könne, so angsteinflößend sei mein Blick dabei. 

Mist, jetzt haben meine Gedanken schon wieder einen Umweg genommen und ich habe vergessen, wonach ich in meinem Kopf gerade eigentlich suchen wollte. Planlos, noch immer, stochere ich in meinem Gedächtnis herum, da schwappt auf einmal Wasser über den Glasrand von Mitbewohnerin Nummer 1 und sie schaut mich, die anderen beiden eingeschlossen, mit seltsam besorgtem Blick an. Da ich nicht verstehe, was los ist, schweige ich, warte, dass der Moment verstreicht. Nur noch einmal schlafen, blinkt es in meinem Kopf in neon roter Leuchtschrift. Ich erschrecke mich, stolpere über meine eigene Spucke, unterdrücke ein Würgen, bade aus. Ich weiß, die Zeit wird nicht langsamer vergehen, nur weil sich meine nächste Panikattacke rasant schnell nähert. Ich weiß, das mit dem Ganze-Tage-Verschlafen funktioniert für mich nicht. Ich habe es bereits versucht, der Erfolg blieb aus. 

Eine Hand berührt meinen rechten Schenkel, hält mich nachdrücklich vom Fallen ab. Auf einmal sitze ich ganz still da, aufrecht erstarrt und zugleich in mich zusammengesunken, innerlich. Mit der Berührung hört der Raum um mich herum schlagartig auf, auf und ab zu wippen. Zugleich ebbt das Klirren des Geschirrs ab, das Wasser in der Karaffe liegt spiegelglatt und ohne Wellengang da. Ich muss die ganze Zeit mit meinen Beinen, ja dem ganzen Körper, unruhig herum gezappelt haben. Ohne es zu merken, daran ist die Panik schuld. Ganz ruhig liegt die Hand auf meinem Bein, so ruhig und warm. Versinken möchte ich, in dieser Ruhe, dieser Wärme. Mich darin einwickeln, so lange, bis der morgige Tag vorübergezogen ist. Das Kalenderblatt überblättern, sozusagen.

Die Stelle der Berührung pocht heiß, in meinem Kopf ein Rauschen. Morgen, morgen, morgen. Gedämpft höre ich, wie jemand meinen Namen sagt, es kommt kaum mehr als ein Wispern bei mir an. Dann drückt die Panik die Pause-Taste. Mir wird schwarz vor Augen.

Julia Zipfel

Julia (24) studiert Internationales Grundschullehramt, wohnt in Köln und schreibt dort ihren Bachelor. Sie liebt schöne Worte, verpackt Emotionen gerne in kreative Texte und trinkt dabei am liebsten Hafermilchkaffee. Bei Canapé schnuppert sie erstmalig Redaktionsluft und schreibt fleißig Artikel für die Website.

@julia__zi

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