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Intimerleben: Bitte klärt uns auf!

Warum ich schon zu Schulzeiten gerne mehr über die weibliche Lust gelernt hätte

Bildquelle: pexels.com

Diesen Text schreibe ich aus meiner Perspektive. Ich identifiziere mich als Frau und kann deswegen auch nur für mich und meine Erfahrungen sprechen. Ich weiß, dass sowohl die Aufklärung in der Schule als auch die Forschung in zahlreichen nicht thematisierten Bereichen der Sexualität große Lücken enthält, beispielsweise in den Bereichen von Trans*- oder nichtbinären Personen. Da es ein sehr persönlicher Text ist, bitte ich um Rücksicht, dass nur meine Wahrnehmung thematisiert wird.

Margarete Stokowski hat mir beigebracht, dass ich frei sein kann. Untenrum. Allerdings hat die Sache einen Haken: Ich muss mich dazu entscheiden, frei zu sein. Ich bin 20 Jahre alt und identifiziere mich als weiblich. Mein Körper entspricht ebenfalls dem Konzept „Weiblichkeit“. Erst seit einiger Zeit lerne ich meinen Körper aus einem vollkommen anderen Blickwinkel kennen, als ich es mein Leben lang getan habe. 

Warum muss ich 20 Jahre alt sein, um zu verstehen, dass ich in meiner sexuellen Orientierung und dem Ausleben meiner eigenen Sexualität vollkommen frei bin? Warum muss ich ein Buch lesen (wer Margarete Stokowskis Buch Untenrum Frei noch nicht kennt – große Empfehlung!), damit es klick macht?

In Schulzeiten habe ich mich zum ersten Mal aktiv mit meinem Körper auseinandergesetzt. Dazu kam es eher unfreiwillig, weil die Pubertät und die damit verbundenen Veränderungen meines Körpers mich ohne großartige Vorbereitung  überkommen haben. Da stand ich nun, tausend Fragen in mir, die ich mich nicht getraut habe, anzusprechen. Die Schule war kein Ort, an dem ich ohne Scham über diese Veränderungen lernen konnte.

Weibliche Lust wurde und wird in der Schule kaum bis gar nicht behandelt. In Deutschland ist es üblich, dass der Sexualkundeunterricht einmal in der Grundschule abgehalten wird (in meinem Fall: Klasse 1, mein Klassenlehrer, der ein Jahr vor der Rente steht, bringt ein Bilderbuch mit, in dem erklärt wird, dass Kinder nicht aus dem Schaum von Papas abendlichen Bier, sondern aus dem Bauch der Mutter kommen), und danach noch einmal in der siebten Klasse (bei mir: Übung – über Holzpenisse werden Kondome gestülpt). 

Ist meine Wahrnehmung der „Aufklärung“ in der Schule ungewöhnlich schlecht? Oder ist das Standard? Denn viel mehr als die Sache mit der Verhütung mit Kondomen habe ich daraus nicht mitgenommen. In der siebten Klasse war das für mich auch in Ordnung. Mittlerweile bin ich wütend, dass es so gelaufen ist. Und diese Wut hält schon eine Weile an. Ich würde gern mein 15-jähriges Ich in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles in Ordnung ist. Und mit ihm dann einige Erkenntnisse teilen, die ich in der Zwischenzeit gewonnen habe: „Lebe dich und deine Fantasien aus. Alle anderen machen das auch. Niemand muss sich deswegen komisch fühlen, im Gegenteil: Lerne dich kennen! Es ist wichtig, dass du keine Angst vor deinem Körper hast. Sei stolz auf dich! Jeder kleine Schritt dabei, dir selbst näherzukommen und zu lernen, was du gern magst, ist Gold wert! Das kann dir niemand nehmen!“ Auch damit verbundene Problematiken, wie zum Beispiel Slutshaming, hätte ich meinem Kleinstadt-Ich ausgeredet – wieso sollten Frauen dafür erniedrigt werden, ihre Lust auszuleben?! Was das bei mir vielmehr bewirkt hat, ist, mich vor mir zu fürchten, denn weibliche Lust wurde negativ konnotiert, während die Lust der Männer nie thematisiert wurde.

Dabei liegt das Problem, zu wenig über mich und den als weiblich gelesenen Körper und dessen Lust zu lernen, nicht nur bei den Lehrkräften in meiner Schule, sondern auch in der Forschung selbst. In Anatomiebüchern bestehen immer noch große Lücken, was die Abbildung des Vulva-Vagina-Komplexes angeht. Deutschlandweit gibt es außerdem nur eine einzige medizinische Forschungsgruppe zur weiblichen Lust, nämlich die Gruppe Female Desire von der Gynäkologin und Sexualtherapeutin Laura Hatzler an der Charité Berlin. 

Der Mangel an Forschung könnte erklären, warum ich in der Schule, soweit ich mich erinnern kann, auch nie vom Orgasmus der Frau, geschweige denn von der Klitoris, gehört habe. Dabei wäre das vielleicht genau der Punkt gewesen, an dem langanhaltende Unsicherheiten hätten geklärt werden können. 

Wenn also Schule und Forschung keine ausreichenden Möglichkeiten bieten, den Diskurs über weibliche Lust anzuregen, dann müssen eben Gespräche unter Freund:innen, Bücher, YouTube-Kanäle und Instagrambeiträge herhalten. Es ist gut und wichtig, dass die Informationsangebote immer mehr werden und es glücklicherweise in meinem engen Freund:innenkreis selbstverständlich geworden ist, sich auszutauschen. Aber dieses Glück haben nicht alle. Was ich vor allem in Gesprächen mit meinen Freund:innen immer merke, ist, dass uns Unsicherheiten und Scham verbinden, die uns lange antrainiert wurden. Gott sei Dank können wir diese nach und nach immer mehr ablegen. Darin unterstützen wir uns.

Aber, wie oben beschrieben, müssen wir uns aktiv für unsere Freiheit entscheiden. Wir müssen uns dazu entscheiden, uns auszutauschen, wobei die große Hürde der anfänglichen Scham überwunden werden muss. Wir müssen uns entscheiden, uns zu informieren, um zu erkennen, dass es nicht nur normal, sondern wunderschön ist, uns neu zu entdecken. Wir müssen uns entscheiden, nach Stokowski untenrum frei zu sein. 

Deshalb, mein Appell: Klärt uns früher auf! Und zwar richtig! Ich habe es satt, in meiner Heimatstadt Getuschel zu hören, welches Mädchen mit wem was hatte. Ich habe es satt unsicher zu sein und das in meinem eigenen Körper, in dem ich mich mein Leben lang befinde. Ich will (untenrum) frei sein. 

Lisa Skamira

Lisa ist 21 Jahre alt und studiert Deutsche Sprache und Literatur und Medienkulturwissenschaft an der Uni Köln. In ihren Canapé-Texten vereint sie gleich mehrere ihrer Leidenschaften: das Schreiben, den Feminismus und die Literatur. Ob angemessen oder nicht – für jede Situation kennt Lisa einen geeigneten Otto Waalkes-Witz.

@lisi.marie

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