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Intimerleben: 5 Gründe, den Welt-Orgasmus-Tag zu feiern

Bildquelle: pexels.com

Disclaimer: Im folgenden Text wird oft von “Personen mit Vagina” gesprochen. Dabei ist diese Bezeichnung nicht vollständig, da auch die Vulva, also der äußere Teil des Organs, mitgemeint ist. Für den Vulva-Vagina-Komplex gibt es im Deutschen keine allumfassende Bezeichnung. Von “Scheide” oder “weiblichem Geschlechtsorgan” soll hier aufgrund von Stigmatisierung und der Ablehnung eines ausschließlich binären Geschlechtersystems abgesehen werden.
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Wenn man in deutsche Kalender guckt, ist für heute, den 21. Dezember, oft der Tag der Wintersonnenwende vermerkt. Welcher Tag in den wenigsten Kalendern steht, aber ebenfalls auf den 21. Dezember fällt, ist der Welt-Orgasmus-Tag. Dabei regt es vielleicht ein wenig zum Schmunzeln an, dass auf den kürzesten Tag und damit auch vielmehr auf die längste Nacht des Jahres genau der Feiertag des sexuellen Höhepunktes fällt.

Aber wieso gibt es den Welt-Orgasmus-Tag überhaupt?

2006 wurde er von einer kalifornischen Friedensbewegung unter dem Namen „Global-Orgasm-for-Peace-Day“ ins Leben gerufen. Allerdings täuscht der Titel Welt-Orgasmus-Tag, denn das genaue Datum dieses Feiertages ist abweichend. In Großbritannien wird der Orgasmus-Tag beispielsweise am 31. Juli gefeiert, in Brasilien hingegen findet er am 9. Mai statt und ist vor allem der sexuellen Aufklärung gewidmet. Die brasilianische Kleinstadt Esperantina im Staat Piaui feiert den Tag sogar sehr ausgiebig. Straßen werden voll bunter Blumen geschmückt und es gibt diverse Vorträge und Debatten rund um das Thema der Sexualität. Der sexuelle Höhepunkt wird hier als göttliches Geschenk zelebriert.

Diese Offenheit rund um das Thema der Sexualität lässt in Deutschland wohl eher zu wünschen übrig. Vielmehr ist es ein tabuisiertes Thema, worüber, wenn überhaupt, im engsten Freund:innenkreis gesprochen wird. Dennoch würde mehr Offenheit im Orgasmus-Diskurs, wie zum Beispiel in Form der Feierlichkeiten von Esperantina, wohl vielen Menschen guttun. Wie du hier sehen wirst, kann es nicht nur Spaß machen, den Welt-Orgasmus-Tag zu feiern, es ist auch aus feministischer Sicht äußerst wichtig.

1. Freud und der klitorale Orgasmus

Wenn es um Sex geht, kennen viele Menschen große Unsicherheiten. Die eigenen Stimmen im Kopf werden laut, wodurch das Genießen schwerfällt. Vor allem Personen mit einer Vagina kennen diese oftmals mit Scham behafteten Gedanken. Doch woher kommen die eigentlich?

Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, spielt hierbei eine erhebliche Rolle. Er sah den klitoralen Orgasmus der Frau auf psychischer und sexueller Ebene als „unreif“ an. Frauen würden demnach erst durch einen vaginalen Orgasmus „reif“. Daraus kann abgeleitet werden: Frauen und Personen mit einer Vagina können laut Freud nur durch die Penetration mit einem Penis richtig befriedigt werden. Sie brauchen, um wirklich reife Frauen zu werden, einen Mann.

Grund eins, den Welt-Orgasmus-Tag zu feiern: Das ist absoluter Schwachsinn. Sorry an alle Freund:innen der Psychoanalyse, aber nicht zuletzt durch Freud haben bis heute viele Frauen und Personen mit einer Vagina große Hemmungen oder fühlen sich unter Druck, wenn sie penetrativ nicht zum Höhepunkt kommen. Natürlich ist Freud nicht der Einzige, durch den der cis-männliche Orgasmus als vollkommen definiert und Personen mit einer Vagina eingeschüchtert wurden. Diesen wird im Gegenteil zu den Männern oft beigebracht, dass Sexualität und ihr Körper schambehaftet und dass zum Beispiel die Periode etwas Peinliches ist, dass versteckt werden muss. Dennoch hat Freud den Diskurs rund um den klitoralen und auch vaginalen Orgasmus bis heute erheblich geprägt.

Schluss mit diesen Unsicherheiten! Feiere, dass wir heute weiter sind! Feiere, dass wir dieses patriarchale Denken aufbrechen können!

2. Welt-Orgasmus-Tag und Sex-Toys

Du kannst den Welt-Orgasmus-Tag auch als Anlass sehen, dir das lang ersehnte Sex-Toy zu kaufen, welches du dir vielleicht schon eine Weile gewünscht hast. Oder, wenn du noch nie darüber nachgedacht hast, dir eins zu kaufen, vielleicht mal mit dem Gedanken spielen und dich darüber informieren. Aber hast du dich schon mal gefragt, wieso der Vibrator eigentlich erfunden wurde?

Um den Frauen im 19. Jahrhundert die ihnen attestierte Krankheit der ‚Hysterie‘ auszutreiben (auch hier lässt Sigmund Freud grüßen), wurden sie manuell von Ärzt:innen an der Klitoris massiert. Zu dieser Zeit entwickelte Mortimer Granville im viktorianischen England den ersten elektrischen Vibrator. Eigentlich war das Gerät dazu gedacht, die Muskeln von Männern zu lockern. Doch wurde es schnell umfunktioniert und für die Behandlung der ‚Hysterie‘ genutzt.

Heute, am Welt-Orgasmus-Tag, können wir den Vibrator als Zeichen der Selbstermächtigung feiern! Zum Glück ist auch die Hysterie-Krankheit überholt – wer heute Frauen als ‚hysterisch‘ bezeichnet, kann als Sexist:in deklariert werden. Stattdessen können wir Sex-Toys, wie den Vibrator, für unser eigenes Vergnügen benutzen – ganz ohne medizinische Behandlung. Deshalb hier eine Ermutigung: Probiere dich aus!

3. Die Orgasm-Gap

Hast du eigentlich schon mal was von der Orgasm-Gap gehört? Diese beschreibt, dass Frauen und Männer beim heterosexuellem Sex unterschiedlich oft zum Orgasmus kommen. Dabei schneiden Frauen deutlich schlechter ab. Eine Studie der International Academy of Sex Research im Jahr 2017 belegte, dass nur 65% der heterosexuellen cis-Frauen immer bis meistens zum Orgasmus kommen, wohingegen 95% der heterosexuellen cis-Männer beim Sex einen Orgasmus erleben (leider gibt es noch keine Studien zur Orgasm-Gap bei trans Personen). Natürlich ist die Qualität des Geschlechtsverkehrs nicht vom davon abhängig, wer wann kommt. Dennoch scheint hier im wahrsten Sinne des Wortes ein großes Ungleichgewicht zu herrschen und es scheint kein Einzelfall zu sein, wenn im heterosexuellen Geschlechtsverkehr die Frau nicht kommt. Dies liegt vor allem daran, dass in unserer Gesellschaft immer noch ein männerdominiertes Verständnis von Sex vorliegt: Sex ist nur Sex, wenn er penetrativ ist und endet, wenn der Mann gekommen ist. Der weibliche Orgasmus dagegen ist einfach zu schwer zu erreichen, er bleibt ein Mysterium.

Grund drei den Welt-Orgasmus-Tag zu feiern: Auch hier sind patriarchale Einflüsse im Spiel! Wir müssen dringend anfangen, dieses lang eingeübte stigmatisierte Verständnis von heterosexuellem Sex zu überdenken. Nutze diesen besonderen Feiertag doch, um dich mit deinen eigenen sexuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und diese auch in deiner Beziehung oder deinen Sexualparter:innen zu kommunizieren. Dabei können wir uns alle ein Beispiel an gleichgeschlechtlichen Paaren nehmen. Denn laut einer Studie der International Academy of Sex Research kommen 86% der homosexuellen Frauen und 89% der homosexuellen Männer immer bis meistens zum Orgasmus. Auch hier kann man klar erkennen, dass der weibliche Orgasmus kein Mysterium ist und die Orgasm-Gap einen Ausgleich finden kann.

4. Sex ist gesund!

Ganz genau, Sex macht nicht nur Spaß, ihr tut eurer Gesundheit dadurch auch etwas Gutes. Laut einer Studie aus Kanada, in der Pärchen beim Sex spezielle Armbänder trugen, sind 25 Minuten sexuelle Aktivität mit einem leichten Cardio-Training vergleichbar. Aber nicht nur körperlich kann sich Sex positiv auswirken – er ist auch gut für die Psyche. Laut Forscher:innen schütten Körper von Paaren, die regelmäßig Sex haben, oder Personen, die regelmäßig masturbieren, in Stresssituationen weniger Cortisol, also ein bestimmtes Stresshormon, aus. Aber nicht nur der gemeinsame Geschlechtsverkehr, auch das Masturbieren bringt gesundheitliche Vorteile mit sich. Beispielsweise wird bei Personen mit einer Vagina der Beckenboden durch Masturbation gestärkt.

Außerdem wurde herausgefunden, dass Selbstbefriedigung den Schlaf verbessert, welcher für ein gutes Immunsystem wichtig ist.

Hollywood-Legende Woody Allen sagte einmal „Don’t knock masturbation. It’s sex with someone you love.“ Ist das nicht schön? Vielleicht kannst du durch ein wenig sexuelle Aktivität, mit dir selbst oder gemeinsam, den Vorweihnachtsstress ein bisschen besser überstehen!

5. Enttabuisierung des Orgasmus

Worauf all die vorhin genannten Punkte hinauslaufen? Auf eine Offenheit über das Thema der Sexualität. Der Welt-Orgamus-Tag kann, wie eben gezeigt, ganz vielseitig und facettenreich gefeiert werden. Er kann als Anlass dienen, sich mit dem (weiblichen) Orgasmus auseinanderzusetzen, der in unserer Gesellschaft auch heute noch tabuisiert wird. Er kann Anlass sein, sich selbst ein Stück zu enttabuisieren und sich mit Freund:innen auszutauschen. Dabei ist es wichtig, zu betonen, dass das nicht nur am 21. Dezember so sein sollte – jeder Tag ist Welt-Orgasmus-Tag! Jeder Tag kann dazu genutzt werden, sich selbst, die eigenen Vorlieben neu kennenzulernen, zu experimentieren, mit Sexualpartner:innen über die eigenen Wünsche zu sprechen. Dazu braucht es keine unbekannten Feiertage, die Initiativen aus den USA ins Leben gerufen haben, sondern Mut und Zeit. Nimm dir beides und hab viel Spaß mit dir und oder deine:r Sexualpartner:in oder deinen Sexualpartner:innen!

Lisa Skamira

Lisa ist 21 Jahre alt und studiert Deutsche Sprache und Literatur und Medienkulturwissenschaft an der Uni Köln. In ihren Canapé-Texten vereint sie gleich mehrere ihrer Leidenschaften: das Schreiben, den Feminismus und die Literatur. Ob angemessen oder nicht – für jede Situation kennt Lisa einen geeigneten Otto Waalkes-Witz.

@lisi.marie

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