Die Venus im Quadrat

Aberglaube und Verschwörungen

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Laut der Brigitte wird das ein richtig geiler Monat für mich. Zumindest, wenn man meinem Horoskop glauben kann. Jupiter verspricht Aufstiegschancen, Power und Zuversicht und Mars „starke erotische Vibes”. Klingt ja schön und gut, aber bisher lässt die Kraft der Sterne irgendwie auf sich warten. Jedenfalls sind die Vibes eher so lala – und Aufstiegschancen? Im Philosophiestudium?! 

Zum Glück glaube ich nicht an Horoskope, und wenn die Brigitte mir sagt, dass ich im Dezember kein fettiges Essen vertrage, weil die Venus im Quadrat steht oder so, dann ist mir das eigentlich ziemlich egal. Da ich aber – explodierender Aufstiegschancen zum Trotz – in den letzten Monaten öfter mal auf Instagram versackt bin, habe ich eine interessante Entdeckung gemacht: Horoskope, Sternzeichen und Spiritualität sind längst mehr kein Monopol von Klatschzeitschriften, sondern aktuell ziemlich im Trend. In den sozialen Medien wird man mit Fun Facts über rückläufige Merkure und Mondtabellen bombardiert, selbsternannte Hexen versuchen sich an Flüchen und Schutzzaubern, und Jugendliche auf Tik Tok meditieren in Seestern-Pose, um sich in eine fremde Realität zu beamen. Unsere Gesellschaft ist vielleicht so aufgeklärt wie nie, und dennoch wenden sich die Menschen Dingen zu, die sich nicht belegen oder erklären lassen – warum?

Natürlich sind Aberglaube und Spiritualität schon seit sehr langer Zeit überall auf der Welt verbreitet. Überreste davon findet man zum Beispiel in Sprichwörtern („Scherben bringen Glück”), in alltäglichen Ritualen und Gesten (wie dem Wunsch beim Ausblasen von Geburtstagskerzen zum Beispiel) oder auch in der seltsamen Tatsache, dass viele Airlines keine Platznummer 13 haben. Auch die Sterndeutung ist natürlich keine Erfindung des Internets – trotzdem ergibt es durchaus Sinn, dass sie ausgerechnet jetzt wieder so populär wird. Denn in schwierigen Zeiten wünschen sich Menschen vor allem eins: einfache Erklärungen. 

In der gegenwärtigen Krise, die in ihrer Komplexität unglaublich überfordert sein kann, wenden sie sich den Dingen zu, die ohne jede wissenschaftliche Basis und gerade deshalb so einfach zu verstehen sind. So eine Komplexitätsreduktion kann vieles erleichtern – ob das der emotionale Stress ist, der sich leicht auf die Position der Planeten schieben lässt, oder die Ungewissheit über die eigene Zukunft, die mit einem Blick in die Tarotkarten gemindert wird. Wir möchten die Dinge um uns herum verstehen und Ereignisse einordnen können – doch in einer globalisierten Welt, in der Nachrichten innerhalb von Millisekunden rund um den Globus flitzen, ist das gar nicht so einfach. Die moderne Auslegung von Spiritualität, die gerade online stattfindet, ist somit vielleicht eher als eine Art alternative Wellness-Bewegung zu verstehen. Eigentlich schön, wenn Menschen sich auf diese unkonventionelle Art und Weise verbunden fühlen (auch wenn mir alle Skorpione und Zwillinge dieser Welt leid tun, denn ihr werdet ganz schön gehatet).

Schwierig wird es erst dann, wenn der leichte Hang zur Esoterik zu einer ausgewachsenen Realitätsleugnung heranwächst. Das Stichwort Verschwörungsideologien sagt den meisten Menschen wahrscheinlich mittlerweile mehr, als ihnen lieb ist. Und obwohl es wie ein ziemlich weiter Gedankensprung erscheint, Spiritualität und Verschwörungstheorien à la Querdenker-Bewegung in einem Atemzug zu erwähnen, haben beide Bereiche doch mehr Überschneidungen als man denkt. Verschwörungstheorien sind nämlich nicht zuletzt ebenfalls Mittel der Komplexitätsreduktion – sie brechen überfordernde, unverständliche Situationen und schwierige Lebenslagen auf ein simples Schwarz-Weiß-Denken herunter. In Zufällen und voneinander komplett unabhängigen Ereignissen werden Muster und Zeichen erkannt: die klassische Verwechslung von Korrelation und Kausalität, die auch im Bereich der Spiritualität häufig stattfindet. Der Barnum-Effekt zum Beispiel bewirkt, dass Menschen die vagen Aussagen, die in Horoskopen und Voraussagungen getroffen werden, so auf das eigene Leben oder die eigene Persönlichkeit beziehen, dass sie von der Genauigkeit der Aussagen überrascht sind – obwohl diese auf so gut wie jeden Menschen zutreffen könnten.

Typisch für Verschwörungstheorien ist ebenfalls eine übersteigerte Selbstwirksamkeitserwartung, also das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, auch in Extremsituationen das Ruder in der Hand zu behalten und nicht etwa ein machtloser Spielball von Zufällen, äußeren Umständen oder der Kompetenz von irgendwelchen politischen Entscheidungsträger:innen zu sein. Menschen, die beispielsweise ihren Lebensstil durch die Pandemie bedroht sehen, könnten deswegen dazu neigen, sich Expert:innen überlegen zu fühlen, als hätten sie die Lage total durchschaut.

Genauso können auch esoterische Praktiken dazu führen, dass man das Gefühl bekommt, einen stärkeren Einfluss auf die Umwelt, Menschen oder Dinge zu haben. Und das fühlt sich gut an – möglicherweise ein Grund dafür, dass gerade Jugendliche zu vermeintlich übersinnlichen Mitteln greifen, um sich in Zeiten der Pandemie und des Klimawandels ein wenig mehr Handlungsmacht vorzugaukeln.

Ich möchte den Astrologie-Fans und den Hexen von Tik Tok keine Nähe zu gefährlichen Verschwörungsideologien unterstellen. Das harmlose Hobby auf der einen, und die höchste Eskalationsstufe der Realitätsverleugnung auf der anderen Seite muss man klar voneinander abgrenzen, obwohl die Esoterik-Bubble und die rechtsextreme Querdenker-Bewegung tatsächlich auch inhaltliche Überschneidungen haben. Es zeigt sich: beide Bereiche sind zumindest zum Teil Ausdruck davon, wie wir mit Extremsituationen umgehen. Sie sind unter anderem Reaktionen auf die chaotischen Zustände, in denen wir gegenwärtig leben, und ein Weg für Menschen, damit klarzukommen. 

Man kann von Astrologie halten, was man will, und – dank der Religionsfreiheit – auch an alles glauben, was man für richtig hält. Eines sollte man aber immer im Hinterkopf behalten: Egal wie verwirrend die Situation gerade scheint, es bringt absolut nichts, sie übermäßig simplifizieren zu wollen – denn dabei gehen unweigerlich Informationen verloren. Menschen lassen sich ebenso wenig auf ihr Tierkreiszeichen reduzieren, wie die ganze Welt auf ein paar Sätze.

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