Neuland: Warum Weihnachten nicht mehr das Gleiche ist

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Mein Vater hat mal gesagt, Weihnachten ist in zwei Phasen des Lebens so besonders, wie im Film: Wenn du selbst ein kleines Kind bist und wenn du eigene kleine Kinder hast. Ich glaube, er hat recht. 

Denn Weihnachten ist schon immer mein liebstes Fest im Jahr. Weihnachten ist gemütlich, überall leuchten Lichter, im Fernsehen läuft zum hundertsten Mal Sissi und ich bin umgeben von meinen liebsten Menschen. Dazu kommt noch gutes Essen, Geschenke – und mit etwas Glück auch noch Schnee. 

Aber irgendwann kam das Jahr, da wurde Weihnachten ganz anders als früher. Weil ich verstanden habe, dass mein Vater die Lichter am Christbaum per Fernbedienung anmacht. Aber ehrlicherweise ist das nicht alles. 

Denn in meiner Familie feiern wir Weihnachten so: 

Am 24. Dezember wird vormittags der Baum aufgestellt und während Drei Haselnüsse für Aschenbrödel im Fernsehen läuft, schmücke ich ihn. Das Mittagessen ersetzen wir durch Plätzchen und Tee, weil wir abends sowieso viel zu viel essen werden. Wenn die Sonne untergegangen ist und die Lichter am Baum leuchten, kommen meine Großeltern zu uns. Wir stoßen mit einem Glas Sekt an, essen und verteilen die Geschenke der Reihe nach. Alle anderen schauen dabei zu, um die Reaktionen zu sehen. Danach gibt es noch Eis. Vor dem Schlafengehen, wenn meine Großeltern wieder gegangen sind, schauen meine Eltern noch einen Film mit meiner Schwester und mir – Love, Actually oder so. 

Und dann ist alles schon wieder vorbei. 

Den ganzen Dezember baut sich eine Spannung in mir auf. Ich freue mich mit jeder Lichterkette in der Stadt, mit jedem verpackten Geschenk, mit jeder angezündeten Kerze ein wenig mehr auf den magischsten Tag im Jahr, auf das, was ich als Kind gefühlt habe. Auf das, was ich jedes Jahr wieder vergeblich suche.

Denn die Realität ist, dass einige Dinge doch auch an Weihnachten so bleiben wie immer: Es schneit nicht mehr, weil die Erde brennt. Ich kann nicht einfach essen, sondern muss wie bei jeder Familienfeier erklären, warum ich keine Tiere essen möchte. Und meine Schwester kann nicht ausreden, weil ihr wie immer jemand ins Wort fällt. Jemand streitet, jemand versteht den Witz nicht. Jemand traut sich nicht, ehrlich zu sein. 

Ich hab gelernt, dass der Tag, auf den ich so hinfiebere, leider nicht halten kann, was er meinem sechsjährigen Ich versprochen hat. Familienprobleme verschwinden nicht, auch wenn man ganz viele Lichter und Zimt darüber streut. Aber vielleicht ist das auch okay so. Denn Weihnachten ist bekanntlich das Fest der Familie – und es wäre ja nicht meine Familie, wenn wir nicht so wären wie immer. 

Denn wir sind zwar nicht perfekt, aber dafür eben wir: Mein Vater und ich lachen über unsere eigenen Witze. Meine Schwester erzählt stolz von der Arbeit. Mein Opa umarmt jeden fest. Meine Mutter gibt sich Mühe mit den Geschenken, damit alle glücklich sind. Und meine Oma achtet darauf, dass alles fair ist. 

Auch, wenn ich nicht mehr an das Christkind glaube; auch, wenn Weihnachten nicht mehr magisch ist und immer viel zu schnell vorbei geht – ich freue mich noch immer darüber, mit allen an einem Tisch zu sitzen, gemeinsam zu essen und uns gegenseitig zu beschenken. Ich liebe unsere Traditionen und dafür nach Hause zu kommen, von wo auch immer ich gerade bin. 

Ist schon okay, dass die Magie dabei ein bisschen fehlt – ich bin jetzt nunmal erwachsen. 

Moni Rathmann

Moni Rathmann studiert in Bonn English Studies und Komparatistik im Bachelor und arbeitet nebenher (oder vielmehr hauptsächlich) beim Campusradio mit. Bei Canapé schreibt sie Texte für die Neuland-Kolumne und liebt es, Themen zu besprechen, die unsere Generation und sie selbst höufig umtreiben. Wenn sonst noch Zeit bleibt, findet ihr sie auf Konzerten.

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