Ich habe bisher noch keinen Menschen getroffen, der kein Problem mit Erwachsenen hat. Für Kinder sind sie omnipräsente Spaßbremsen, ohne welche die Welt größer und bunter und lustiger wäre. Teenager hingegen wollen so gerne selber erwachsen sein, dass sie die Erwachsenen in ihrem Leben ein kleines oder ein großes Bisschen hassen. Und die Erwachsenen selbst wollen dem Erwachsen-Sein einfach nur so lange wie möglich entkommen.
Das Problem mit den Erwachsenen ist, dass das Erwachsensein davon abhängt, mit wem man gerade zusammen ist. Ein Fünfjähriger mag sich in einer Gruppe von Kleinkindern sehr reif fühlen. Doch derselbe Fünfjährige wird vor Schüchternheit in sich zusammenschrumpfen, sobald eine Sechsjährige den Raum betritt.
Bis vor gar nicht allzu langer Zeit hielt ich mich selbst für sehr Erwachsen. Von Zuhause aus und in eine andere Stadt zu ziehen, Lebensmittel selber zu kaufen und sich über Dinge wie Handrührgeräte Gedanken zu machen, all das fühlte sich unfassbar erwachsen an. Zugegebenermaßen, ein Zimmer im Studentenwohnheim ist nicht wirklich repräsentativ für die Strapazen, welche jungen Menschen auf dem deutschen Wohnungsmarkt gewöhnlich begegnen. Über ein Handrührgerät nachzudenken, ist nicht dasselbe, wie eines anzuschaffen und der Wocheneinkauf verliert seinen Charme, sobald alle Müslisorten durchprobiert sind; aber aufzuwachsen ist schließlich ein Prozess und keine erstaunliche Metamorphose, die über Nacht geschieht.
Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass sich dieser Prozess umkehren lässt. In einem Moment erhalte ich mein erstes Gehalt, im nächsten schleiche ich auf Zehenspitzen durch die Küche und hoffe, dass mir niemand sagt, Cornflakes seien keine richtige Mahlzeit und dass der Geschirrspüler falsch eingeräumt ist. Wie kann eine solche Diskrepanz in meinem Selbstbild bestehen? Nun, wie üblich, sind die Erwachsenen Schuld.
Ich lebe in einer 6er WG. Wir teilen uns ein schiefes Haus, einen verwilderten Garten und einen konstant falsch eingeräumten Geschirrspüler. Auf allen drei knarzenden Etagen bin ich die einzige Studentin. Die Einzige, die es sich erlauben kann, nach acht Uhr aufzustehen und bis vier Uhr wach zu bleiben. Die Einzige, die nachmittags Zeit hat, den Geschirrspüler einzuräumen, auch wenn sie es meistens falsch macht. Meine Mitbewohner:innen mit ihren Jobs und Routinen und Verpflichtungen hingegen leben in einer ganz anderen Welt. Sie sind, zumindest aus meiner Perspektive, furchtbar erwachsen.
Ich befinde mich in einer Grauzone zwischen Jugend und Alter. Eine Phase, in der Verpflichtungen noch optional sind und Konsequenzen nicht von Dauer. Zumindest ist das bei meinen Freund:innen und mir so – eine zugegebenermaßen privilegierte Gruppe von Menschen. Ich kann zur Uni gehen, ich sollte zur Uni gehen, aber ich muss eben nicht. Meine Mitbewohner:innen hingegen stehen um sieben Uhr auf und kommen erst zehn Stunden später zurück, ganz egal wie lang der letzte Abend war. Das Problem mit Erwachsenen ist, dass das Zusammensein mit ihnen eine unmögliche Aufholjagd ist.
Denn es ist egal, ob ich mir einen Nebenjob suche, eine Millionen weitere Kurse wähle, oder den ganzen Tag auf der Couch verbringe. Ich werde meine Mitbewohner:innen nie einholen. Keine meiner Herausforderungen lässt sich mit ihren vergleichen, denn wir spielen nicht in derselben Liga. Meine Mitbewohnerin hat es wohl am besten ausgedrückt als sie verkündete: „Uni ist mehr ein Konzept als eine Verpflichtung.“ Da haben wir es also, ich Lebe in einem Konzept und sie von Pflicht zu Pflicht. Unsere Leben finden in Paralleluniversen statt, welche in der Küche über blubberndem Nudelwasser und Dosenbier aufeinanderprallen. Doch das ist nicht immer etwas Schlechtes.
Denn, obwohl ich es nie zugeben würde, man kann durchaus etwas lernen von den Erwachsenen. Zum Beispiel, wie man einen Geschirrspüler richtig einräumt. Oder wie man den Kopf nicht in den Sand steckt, wie man ein Leben lebt, zwischen 40-Stunden Arbeitswochen, und wie man vielleicht nicht groß, aber ein wenig größer wird.
Wenn meine Mitbewohner:innen diesen Text lesen würden, würden sie lachen. „Wir sind doch nicht erwachsen“, würden sie sagen, „du solltest Mal die Leute sehen, für die wir arbeiten, das sind die Erwachsenen.“ Und irgendwie haben sie da Recht. Das Problem mit den Erwachsenen ist schließlich, dass man nie wirklich einer ist.