„Protz ist eine Charaktereigenschaft, kein Zeichen von Wohlstand“

Zahltag - Über Geld spricht man (nicht)

Fragt man seine Mitmenschen nach ihrem aktuellen Kontostand? Reflexhaft würde vermutlich jeder von uns sofort darauf mit „Nein“ antworten. Schließlich hört bei Geld die Freundschaft auf, so sagt man. Dabei ist Geld in unserem Alltag omnipräsent und kann auch in sozialen Beziehungen eine Rolle spielen. Anna Ross und Lina fragen deshalb genau nach. Bei Studierenden und Menschen im Arbeitsleben. Bei Menschen mit oder ohne Geldproblemen. Alle Interviewpartner:innen haben sich dabei selbst ein Alias ausgedacht. Anonym und doch so persönlich. Der Zahltag, beim Canapé-Magazine. 

In dieser Ausgabe erklärt uns Kalmann, warum er neben seiner Ausbildung noch als Barkeeper arbeitet und wieso wir alle mehr über Geld sprechen sollten. Kalmann ist 22 Jahre alt und männlich.


Wie ist dein aktueller Beschäftigungsstand? Also wie viele Stunden arbeitest du in der Woche?

Ich habe eine 40 Stunden Woche, was meine Berufsausbildung angeht. Davon bin ich alle zwei Wochen zweimal und alle zwei Wochen einmal in der Schule, die andere Zeit bin ich im Betrieb. Dazu kommen die 8-10 Stunden pro Woche, die ich in der Gastro arbeite. Damit bin ich eigentlich immer sehr beschäftigt, ein Wochenende ist da selten. Damit habe ich auch oft wirklich zu kämpfen und ich überlege, den Nebenjob sein zu lassen, aber das Geld würde ich natürlich dann vermissen. 

Wie sieht dein Alltag aus? 

Ich versuche zeitig aufzustehen und fahre morgens in die Buchhandlung. Dort wird morgens erstmal die Ware ausgepackt, die bestellt worden ist. Dazwischen kommen dann Beratungen oder Kassieren. Abends räumen wir ein, manchmal trinken wir dann noch ein Feierabendbierchen zusammen oder man fährt nach Hause. Danach lese ich, gucke noch was und dann gehe ich schlafen. 

Wie viel Geld ist jetzt auf deinem Konto?

Ich kann das mal kurz nachschauen, dann haben wir die genauen Zahlen… 2.237,31€. Dazu muss man allerdings sagen, dass ich in der Gastronomie überwiegend bar bezahlt werde und ich das nicht immer zur Bank bringe. Deswegen befinden sich hier bei mir zu Hause ungefähr 4.000€.

Was ist deine Geldquelle?

Das eine ist mein Vollzeitjob, da es eine volle Berufsausbildung ist und das andere ist ein Minijob, den ich einmal die Woche auf einer 450€ Basis ausübe. 

Machst du unbezahlte Arbeit?

Nicht direkt. Ich habe als Buchhändler aber natürlich die Pflicht, mich zu informieren und Neuerscheinungen zu lesen, um Sachen empfehlen zu können. Das ist natürlich kein Ehrenamt, aber ist natürlich eine Tätigkeit, die ich abends nach Feierabend schon noch eine Stunde mache. Für das Lesen werde ich dann natürlich nicht noch bezahlt, während der Arbeitszeit fehlt aber die Zeit, ein Buch in die Hand zu nehmen und zu lesen. Die Mittagspause geht dann aber auch häufig dafür drauf. Das ist in Anführungszeichen freiwillig, weil wenn man nichts liest, kann man nichts empfehlen. Das ist weniger ein Ehrenamt in dem Sinne, eher treffend wäre hier es vielleicht unbezahlte Überstunden zu nennen. 

Was ist dein monatliches Netto-Einkommen  wenn du das zusammen rechnest?

Das kommt immer sehr darauf an, wieviel Trinkgeld man bekommt, wieviel los ist. Ich würde mal davon ausgehen, dass es im Monat beides zusammen vielleicht 1245€ sind oder so. Wobei man sagen muss, dass der größere Teil davon aus der Gastronomie kommt.

Wie viel steht dir nach den Fix-Kosten zur Verfügung im Monat?

Am Ende bleibt davon um die – ich kann das ganz schwer sagen – vielleicht 800, vielleicht 900€. Also ich habe eine sehr günstige Miete, weil ich in einer Genossenschaftswohnung wohne mit meiner Freundin zusammen. Das ist dann sehr günstig. Das Glück haben sehr, sehr wenige Leute – auch in dieser Gegend, wo es normalerweise teuer ist zu wohnen. Hier leben sehr viele Menschen, die hier schon lange leben und noch alte Mietverträge haben und haben die dann an ihre Kinder weitergegeben oder so. Für Menschen, die hier neu hinzukommen, ist meine Miete utopisch – es sind 450€ für ein bisschen mehr als 40 Quadratmeter und die teilen wir durch zwei.

Bist du damit zufrieden, was pro Monat übrig bleibt? Wenn nicht wie viel hättest du gern?

Ich würde sagen, dass ich zufrieden bin. Doch. Ich möchte nicht mehr und ich möchte nicht weniger. Es ist eigentlich genau so okay, wie es ist. Es wäre ok, wenn es ein bisschen weniger ist. Ich glaube, ich würde das erst merken, wenn ich eine Investition tätigen wollen würde und dann merke ah Mist, ich habe kein Geld, ich möchte gerne reisen, ich möchte mir gerne eine neuen Schreibtisch kaufen oder sowas. Also ich bin zufrieden. 

Inwieweit fühlst du dich finanziell sicher? Ist Geld ein Stressfaktor für dich?

In der jetzigen Situation nicht. Wenn ich an meine Zukunft denke, dann schon eher. Dann denke ich natürlich darüber nach. Für einen 22-Jährigen, der gerade anfängt seine Ausbildung zu machen, ist das Geld, was ich habe und was ich kriege sehr gut.  Aber für jemanden, der in diesem Buch-Bereich bleiben will, ist das Endgehalt ein Witz. Das ist nicht viel Geld, das da am Ende übrig bleibt. Und irgendwann muss man mit der Kneipe dann auch mal aufhören, weil man dann eben auch keine Freizeit hat. Deswegen würde ich sagen, dass ich mir Sorgen mache, dass ich in Zukunft nicht genug Geld haben werde, um alles, was ich mir vorstelle irgendwie zu erreichen. Ich sehe mein Ausbildungsgehalt aber als sehr wenig an, was ich bekomme und finde, dass ich auch mehr kriegen sollte. Die 575€ im Monat – das ist nichts. Davon lässt sich nichts aufbauen und sparen. Deshalb würde ich sagen, dahingehend bin ich nicht zufrieden. 

Inwieweit vergleichst du deine finanzielle Situation mit der Anderer?

Das ist eine schwierige Frage. Nein. Ich vergleich mich nicht mit anderen, dadurch dass ich glaube ich zufrieden bin mit dem Geld, was ich habe. Ich vergleiche gerne Andere mit Anderen. Sieht man sich im Bereich Fußball um – das ist natürlich auch das Extrembeispiel – da sind Menschen, die super viel verdienen. Und dann gibt es auch Leute, die sehr, sehr wenig für das bekommen, was sie tun, weil wir irgendwie eine andere Wertschätzung da rein legen. Und das finde ich dann schwierig. Und deswegen vergleiche ich eher das, was andere an Gehalt bekommen mit dem, was sie zum Leben brauchen. 

Würdest du was ändern wollen an deiner finanziellen Situation, wenn du könntest? Was wäre es?

Ich hätte gerne mehr Gehalt in der Ausbildung, damit ich den Job in der Kneipe tatsächlich sein lassen kann. Es macht mir zwar Spaß und das zusätzliche Geld nehme ich natürlich gerne mit, aber er zehrt an einem. Nur zur Vorstellung: Ich arbeite jeden zweiten Samstag in der Buchhandlung und habe aber auch immer die Samstagsschichten in der Kneipe. Das heißt, dass ich alle zwei Wochen – was arbeitsrechtlich auch problematisch ist – 16 Stunden am Tag am arbeiten bin. Und dann penne ich den ganzen Sonntag über und habe überhaupt gar kein Wochenende mehr. Da kommt sehr sehr vieles zu kurz. Deswegen würde ich gerne mehr Gehalt in der Buchhandlung haben, damit ich sagen könnte, ich kann den anderen Job so aufgeben,  dass ich am Ende immer noch was übrig habe. Es muss nicht am Ende die selbe Summe sein wie jetzt, es kann gerne weniger sein, aber zumindest zu viel, dass ich mir am Ende nicht Gedanken machen muss “Geht das jetzt oder geht das nicht?”, wenn ich irgendwo hin gehen oder ausgehen will. 

Ich habe gerade wirklich festgestellt, dass es mir wirklich gut geht. Ich glaube, dass viele Leute in meinen Alter sich Gedanken machen müssen, wo sie einkaufen, z.B. Studenten. Das mache ich nicht. Obwohl der Aldi nicht weit weg ist, kann ich trotzdem zum Rewe und das tut meinen Portemonaie natürlich was, aber nicht so, dass ich sage “das merke ich”. 

Sorgst du finanziell schon vor für die Zukunft?

Ich würde sagen nein. Ich habe ein Bankkonto, was fast keine Zinsen abwirft (lacht). Das einzige, womit ich vorsorge, ist dass ich nicht viel ausgebe, was mein Geld angeht. Ich bin niemand, der wahnsinnig oft weg fährt oder sich Klamotten oder sonst irgendwas kauft. Ich kaufe mir Bücher, das ist durch den Rabatt ganz gut. Ich hatte mal überlegt in diese Welt der Aktionäre einzusteigen. Ich habe aber wirklich überhaupt keine Ahnung davon. Und ich glaube, dass ich auch nicht in der Lage wäre, das irgendwie zu behalten. Ich glaube, ich müsste da mein Geld reinwerfen und hoffen, dass es gut geht. Wenns nicht gut geht, würde ich sagen, na gut, hat mich nicht gewundert. 

Also nein, ich sorge nicht für mein Alter vor. 

Wie viel willst du mal verdienen?

Da habe ich keine Ahnung, das weiß ich nicht. Ich glaube, irgendwann werde ich merken, dass mir irgendwas fehlt vielleicht. Dass ich vielleicht irgendwann einen Urlaub nicht machen kann oder so. Und dann hätte ich gerne mehr. 

Aber hast du irgendwie eine Hausnummer im Kopf, bei der du dir in Gedanken mal gesagt hat, wenn ich so viel verdiene, dann ist alles gut? 

2.000.000€! (lacht) Nein. Ich glaube, dass ich mir damit Druck aufbauen würde und mir teilweise auch meine Chancen verbauen würde das zu machen, was ich will. Es ist kein Geheimnis, dass man als Buchhändler nicht viel Geld verdient. Geld ist nicht mein Ziel, auf gar keinen Fall. Ich glaube, dass das alles erst dann kommt, wenn ich irgendwann mal merke, ich habe das nicht, weil ich nicht genug verdiene. Wie “Ich kann nicht vier Urlaube machen, sondern nur zwei, und das finde ich ein bisschen schade.”. 

Und was ist so deine Gehalts-Schmerzgrenze? Was ist das mindeste, was du verdienen willst?

Keine konkrete Zahl, gleiches Prinzip wie eben eigentlich. Es soll immer genug Geld da sein, dass ich merke, dass es reicht in meinem Lebensstil. Ich möchte immer die Option haben. Ich gehe gerne mal ab und zu essen oder ich trinke gerne mal in der Kneipe ein paar Bier. Mal ein paar Bier zu viel. Und ich reise auch eigentlich gerne, bin gerne mal wo anders. Und vielleicht gibt es da auch Sachen, die ich mir gerne in Zukunft leisten wollen würde. Aber ich habe nicht dieses konkrete Ziel, wo ich sagen würde, wenns darunter geht … Es soll immer genug da sein, damit ich mich ernährt kriege, dass ich mir Sachen leisten kann, die in meinem bescheidenen Leben okay sind. Aber ich habe nicht so eine Untergrenze, bei der ich sagen würde, jetzt gehts aber richtig bergab. 

Wie war deine finanzielle Situation in deiner Kindheit? Hattet ihr Geldsorgen? Wusstest du von den Geldsorgen als Kind? Oder war Geld bei euch kein Thema?

Wir hatten keine Geldsorgen, auf gar keinen Fall. Ich kann meinen Vater mit seinem Gehalt nicht einschätzen, aber er gehört auf jeden Fall zur `oberen Mittelschicht`. Er verdient so viel, dass man sich keine Gedanken machen muss. Ich weiß nur, dass es mal eine Zeit gab, in der er zu mir meinte: „Es könnte sein, dass wir demnächst erst mal nicht mehr so viel Geld haben. Wir müssen den nächsten Monat abwarten.“ Und ich weiß auch von ihm, dass er sich mal verzockt hat. Er wollte investieren und das hat nicht geklappt. Also er hat das Geld verloren. Aber ich habe dadurch nie richtige Geldsorgen gespürt.

Hast du dir mal ein Statussymbol gekauft?

Ich würde sagen: Nein. Das war vielleicht unterbewusst. Ich kaufe mir gerne Sachen, die ich schön finde, wenn wir jetzt zum Beispiel mal von Klamotten ausgehen. Und ich habe auch das iPhone. Ich glaube, ich kaufe eher den Lifestyle ein und das nicht, weil ich es jemandem zeigen möchte. Ich kaufe mir Klamotten von der und der Marke, weil das jüngere, hippere, modebewusstere Sachen sind und auch weil ich sie schön finde. Aber ich habe nie irgendwas gekauft, wo ich sagen würde: Ich will jetzt Leuten zeigen, dass ich das hab.

Wie wohl fühlst du dich über (dein) Geld zu sprechen?

Ich fühle mich eigentlich sehr wohl dabei, über mein Geld zu sprechen. Ich habe auch nichts zu verbergen, was mein Geld angeht. Und ich finde, dass alle über Geld reden sollten – egal mit wem. Egal ob mit der Familie oder mit Kollegen. Man sollte sie fragen dürfen: Was verdienst du eigentlich? Weil im Zweifelsfall zeigen sie es dir ja sowieso, oder? Sie haben ein Haus und dann wollen sie dir nicht sagen, was sie verdienen. Oder sie fahren mit ihrem Porsche auf dem nächsten Familienfest vor und dann wollen sie dir nicht sagen, was sie verdienen. Das ist ja Quatsch. Ich finde auch, dass das ein sehr kapitalistisches Denken ist, und jetzt habe ich dieses furchtbare Wort in den Mund genommen (lacht), dass man nicht über Geld spricht. Man will ja keinen Neid erzeugen. Man will ja nicht angeberisch oder protzig wirken. Aber Protz ist eine Charaktereigenschaft, das hat nichts mit Wohlstand zu tun. Ich kenne sehr bescheidene Menschen, die verdienen sehr viel Geld. Und es gibt sehr protzige Menschen, die verdienen nicht so viel Geld. Mich regt das auf, dass die Leute der Meinung sind, dass man nicht über Geld reden sollte. Wenn ich mit einer Frau nicht darüber reden darf, dass sie 500€ weniger verdient als der Mann in derselben Stelle, dann kommen wir dahin, dass wir diese Lücke, die sogenannte Pay Gap, nicht schließen werden und Geld immer ein Tabu-Thema bleibt. Wenn man nicht darüber redet, dann passiert auch nichts. Ich kann verstehen, dass ich mit einem 2.000.000€ Konto nicht darüber reden will, wieviel Geld jetzt auf dem Sparkonto ist. Aber ich finde, dass man darüber reden muss.

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