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„Mich nervt nur, wenn die Leute immer wieder fragen, ob ich WIRKLICH nichts essen und trinken darf.“

Dieses Jahr im April feiern Muslim:innen auf der ganzen Welt Ramadan, den islamischen Fastenmonat. Anissa Goutba ist 20 Jahre alt, lebt in Köln und hat gerade ihre Ausbildung zur medizinischen Kosmetikerin abgeschlossen. Seitdem sie 14 ist, fastet sie während des Ramadans. Franziska Balzer hat mit ihr über Vorfreude und Vorurteile gesprochen.


Hi Anissa! Danke, dass du dir die Zeit nimmst!

Klar gerne.

Wann genau geht der Ramadan eigentlich los?

Ja, genau. Es geht entweder am 1. oder am 2. April los. Das kommt ein bisschen darauf an ob man sich am Kalender oder am Mond orientiert. Meine Familie fängt am ersten Tag nach dem nächsten Neumond an zu fasten. So hat das der Prophet gemacht. Viele nehmen aber auch einfach den ersten Tag des Ramadan Monats. Die Fastenzeit beenden wir dann mit einem großen Fest, dem Zuckerfest. Da gehen wir erst in die Moschee, um zu beten und dann gibt es Essen und Geschenke.

Wie genau feiert man Ramadan eigentlich?

Das Wichtigste am Ramadan ist das Fasten. Das heißt, dass man vom ersten Gebetsruf bei Sonnenaufgang, bis zum letzten Gebetsruf, bei Sonnenuntergang, nicht isst oder trinkt. Das machen wir 30 Tage lang. Aber die Fastenzeit ist auch eine Zeit, um über das eigene Verhalten nachzudenken. Es reicht nicht, nur zu fasten. Man muss auch versuchen, ein besserer Mensch zu sein. Wenn man den ganzen Tag herumläuft und Leute beschimpft, dann zählt auch das Fasten nicht.

Das klingt sehr spirituell.

Ja, es ist eine Zeit sich dem Glauben zu widmen. Wenn man den ganzen Tag nicht isst und trinkt, hat man auf einmal mehr Empathie mit Menschen, die immer Hunger und Durst haben. Außerdem verzichtet man während des Ramadans auch auf Dinge wie Rauchen und Geschlechtsverkehr. Also man hat auf einmal mehr Zeit, um über sich selbst nachzudenken.

Worüber denkst du denn so während dem Ramadan nach?

Ich denke vor allem über mich selbst nach. Wie gehe ich mit den Menschen in meinem Leben um? Warum sage und tue ich die Dinge, die ich tue und sage? Zuerst war mir gar nicht klar, dass es bei Ramadan auch so viel um Selbstreflektion geht. Mir ist erst in meinem zweiten Fasten-Jahr klar geworden, was dahinter steckt.

Apropos, was steckt eigentlich dahinter? Also was ist der geschichtliche Hintergrund von Ramadan?

Der Ramadan ist der neunte Monat im islamischen Kalender. In diesem Monat hat der Prophet Mohammed den Koran durch den Erzengel Gabriel erhalten. Der Koran besteht aus sogenannten Suren. Die wurden vorher einzeln von Gott geschickt, über mehrere Jahre hinweg. Wir feiern, dass wir im Ramadan den ganzen Koran bekommen haben.

Was gefällt dir an Ramadan am Besten?

Das Gemeinschaftsgefühl. Durch das Fasten kommen wir zusammen. Für manche ist es schwieriger und für andere einfacher, aber wir alle leisten etwas. Wenn wir dann Abends zusammen das Fasten brechen, können wir über den Tag reden, darüber wie es uns ging und was wir erlebt haben.

Hast du inzwischen eine Strategie, um ohne Essen und Trinken durch den Tag zu kommen?

Mir hilft es zur Arbeit zu gehen. Wenn ich mich ablenken kann, bin ich weniger hungrig. Generell würde ich empfehlen etwas zu unternehmen, solange es nicht zu anstrengend ist.

Wie oft musst du erklären was Ramadan eigentlich ist?

Überraschend oft, wenn man bedenkt, dass es jedes Jahr stattfindet. Aber ich erkläre das gerne. Mich nervt nur, wenn die Leute immer wieder fragen, ob ich WIRKLICH nichts essen und trinken darf. Nein, ich darf WIRKLICH nicht einmal EINEN Schluck Wasser trinken. Viele denken dann, das wäre schlecht für meine Gesundheit, aber das stimmt nicht. Gott hat uns die Aufgabe gegeben zu fasten. Er hätte uns keine Aufgabe gegeben, die uns schadet.

Außerdem wird ja niemand gezwungen zu fasten. Jeder kann selber entscheiden, wie er seine Religion lebt. Es gibt auch Ausnahmen, zum Beispiel darfst du gar nicht fasten, wenn es deine Gesundheit gefährdet oder wenn du merkst, dass du es an einem Tag nicht schaffst, dann kannst du dein Fasten unterbrechen und es später nachholen. Aber ich faste wirklich gerne.

Letzte Frage: freust du dich auf Ramadan?

Ja, ich freue mich jedes Jahr.

Franziska Balzer

Franziska studiert Journalistik in Hannover. Für Canapé schreibt sie übers Erwachsenwerden und Intimität. Franziska interessiert sich für Politik und Literatur und ist besonders fasziniert von Autoren, deren Leben noch spannender waren als ihre Geschichten.

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