Neuland: Was willst du werden wenn du groß bist?

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Nicht alle, aber viele Menschen in meinem Umfeld haben einen Traumjob oder verfolgen zumindest seit ihrem Schulabschluss dieses eine Karriereziel, was sie sich damals mit 18 ausgesucht haben. Im Vergleich zu diesen Leuten fühle ich mich manchmal ziemlich lost. 

Ich hatte immer etwa zehn bis 15 Ideen darüber, wie ich meine berufliche Zukunft irgendwann gestalten möchte, die alle gleichzeitig in meinem Kopf herumgeschwirrten. Und als ich dann das Gefühl hatte, alle haben einen Plan außer mir, kam ich mir immer ziemlich komisch vor. Warum kriege ich das nicht auf die Reihe, mich zu entscheiden? Kann ich nicht einfach alles mal probieren?

Um alles mehr oder weniger ausprobieren zu können, habe ich angefangen, eine Geisteswissenschaft zu studieren. Ich hatte kein konkretes berufliches Ziel. Hin und wieder habe ich mit sowas wie “irgendwas mit Medien” geantwortet, wenn mich jemand gefragt hat, was ich mit meinem Studium denn später mal machen will. Aber was ist schon “irgendwas mit Medien”?

Daraufhin haben die Leute nicht aufgehört, mich weiter auszufragen oder meine Entscheidung zu kommentieren. (Schonmal was von Grenzüberschreitung gehört???) Auf meine vage Antwort kamen dann Aussagen wie: “das ist ja brotlose Kunst” oder “ich kenn jemanden, der hat das Gleiche studiert wie du und arbeitet jetzt als Busfahrer”. Diese Aussagen ist sind auf so viele Arten kaputt. Mal abgesehen davon, dass ein Job als Busfahrer weniger wertgeschätzt wird, als der Job von Unternehmensberater:innen oder Anwält:innen, was keinen Sinn ergibt, wenn man mal ernsthaft darüber nachdenkt. Auch wenn ich das gegeneinander Aufwiegen von Berufen schon damals sehr problematisch fand, kam ich nicht umhin, Angst davor zu bekommen, dass es für mich irgendwann genauso aussehen könnte, wie für den Busfahrer. Es gab und gibt auch immer noch viele Jobs, die ich gern mal machen will, aber Busfahrerin ist keiner davon.

Meine Reaktion auf diese Angst war ein Lehramtsstudium. Ich konnte weiter in den Geisteswissenschaften bleiben und mich mit Themen auseinandersetzen, die mich interessieren, aber war auf einem sehr eindeutigen, wenn auch für mich nicht wirklich befriedigenden, beruflichen Weg. 

Während des Lehramtsstudiums hat mich der “irgendwas mit Medien”-Gedanke nicht losgelassen und ich habe beim Uniradio angefangen. Als ich das das erste Mal vor dem Mikro stand, dachte ich: “Das will ich für immer machen!”

Ich wusste bis zur aktuellen Phase in meinem Leben zwei Jahre lang ganz genau, was ich später machen will und was ich dafür tun muss, um da hinzukommen. Es hat sich so unfassbar gut angefühlt, endlich zu wissen, wo ich hingehöre und was zu mir passt. Mit maximaler Power war ich da hinterher und habe auch nach wie vor sehr viel Spaß bei allem, was ich mache. Seit einigen Wochen werden jedoch die Fragen in meinem Kopf, ob das jetzt auch schon alles ist für den Rest meines Lebens, lauter und lauter. Ich liebe das, was ich momentan tue (meistens), aber ist es der einzige Job den ich lieben lernen könnte? Ich glaube nicht. 

Als ich mir jetzt nach den zwei letzten Jahren auf einmal garnicht mehr so sicher war, was ich für immer machen will, hat mich das kurz rausgehauen. Ich hatte das Gefühl, wieder am selben Punkt zu sein, wie damals mit achtzehn. Und das hat mich ziemlich verunsichert.

Aber jetzt mal ehrlich: Warum war das eigentlich so ein Stressfaktor für mich? Ich glaub, ich weiß warum. Weil uns in der Schule beigebracht wird, dass wir uns nach dem Abschluss für eine Ausbildung oder ein Studium entscheiden müssen. Ein Jahr Australien ist ja noch in Ordnung, aber dann reicht es auch mit der Selbstfindung. Wenn man dann fertig ist mit der Ausbildung, steigt man in den Beruf ein, für den man sich entscheidet, wenn man im Idealfall zwischen 17 und 19 Jahre alt ist. Es muss ein fester und sicherer Vollzeitjob sein. Und Mädels, wählt bloß einen Beruf aus, bei dem ihr auch Teilzeit arbeiten könnt, denn ihr werdet später schließlich alle Kinder haben und definitiv nicht Karriere machen können. In dem Job bleibt ihr dann bis zur Rente. Über Studienzweifel, Freiberuflichkeit, vier-Tage Wochen, sich ausprobieren, Quereinstieg oder kreative Berufe, hat niemand gesprochen. Danke für nichts, Schule. 

Nach vielen Gesprächen, dem Durchforsten von Biografien von Menschen, die ich bewundernswert finde, und vielem Nachdenken, finde ich meine Unsicherheit und meine Entscheidungsschwäche gar nicht mehr so schlimm. Wenn man es als Unsicherheit und Entscheidungsschwäche auslegt, dann klingt es auch ziemlich negativ. Deshalb versuche ich es auch nicht mehr als solches zu sehen. Ich betrachte es nun als Lust verschiedene Dinge im Leben auszuprobieren und zu erfahren, und mir dafür viele Türen zu öffnen. Das klingt dann doch deutlich besser, als sich selbst mit so negativen Begriffen runterzumachen. Dass ich vermutlich nicht 40 Jahre im gleichen Job verbringen kann und auch nicht will, ist mir mittlerweile ziemlich klar. Und den Stress aus dieser Erkenntnis rauszunehmen und die Perspektive zu wechseln, hat mir sehr viele Ängste genommen. 

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