In meinem ersten Semester an der Uni fühlte ich mich oft wie eine Doppelagentin in einer Gruppe von Feind:innen. Feind:innen, deren natürlicher Lebensraum der Vorlesungssaal ist, wo sie ihre glänzenden Laptops auspacken und wie seltsame Vögel die unzähligen Brotkrumen der Information aufpicken und verarbeiten. Sie haben kein Problem damit, einen Abgabetermin einzuhalten oder ein Seminar sowohl vor- als auch nachzubereiten. Inmitten dieser eingeschworenen Gemeinschaft von scheinbar intellektuellen Menschen hatte ich, die ich mich bisher eigentlich nicht für dumm gehalten hatte, plötzlich das Gefühl, nicht dazuzugehören. Im Gegensatz zu einigen meiner Kommiliton:innen fühlte ich mich wie eine unwissende Stümperin, die sich – verkleidet und maskiert – in ihren Reihen versteckt, aber nicht so richtig versteht, worum es eigentlich geht. Und das nur, weil ich nicht absolut alles von Kafka gelesen hatte.
Leider kann ich nicht behaupten, dass dieses Gefühl mittlerweile verschwunden ist. Ich sitze in der Vorlesung und lausche dem Professor dabei, wie er den Unterschied von theoretischer und praktischer Vernunft bei Aristoteles erläutert, und in mir ploppen ganz viele Fragezeichen auf. Ich schaffe es ja nicht einmal, meinen Staubsauger zu reparieren, der seit Wochen so komische Geräusche von sich gibt, als würde er bald krepieren. Wie zur Hölle soll ich das hier also bewältigen?
Dieses Gefühl des Nicht-schlau-genug-seinsüberkommt mich auch dann, wenn ich eine gute Hausarbeits- oder Klausurnote bekomme: Habe ich vielleicht betrogen? Hatte ich einfach Glück, oder mein Dozent einen guten Tag? Jedenfalls ist die Hausarbeit bestimmt nicht so gut gelungen wie ich dachte, und ganz bestimmt ist sie nicht mein Verdienst.
Falls sich jemand in diesen Worten wiederfindet, kann ich diese Person ein wenig beruhigen. Was wir fühlen, ist ganz normal, und es hat einen Namen: Das Hochstapler-Syndrom, im Englischen auch imposter syndrome. Es handelt sich dabei um ein Phänomen, bei dem betroffene Menschen ihre eigenen Leistungen nicht anerkennen können, weil sie immer glauben, nur Glück gehabt oder eben betrogen, ,,hochgestapelt“ zu haben. Ausgelöst wird das Syndrom durch Unsicherheit, erhöhten Leistungsdruck und Angst vor Kritik und Ablehnung. In einigen Fällen kann es krankhaft werden und zu Arbeitswahn oder sogar Burnout führen. Bei den meisten Menschen ist es allerdings ,,nur“ Merkmal einer sensiblen Persönlichkeit, beziehungsweise ein Denkmuster, in dem man gefangen ist. Besonders häufig betroffen sind Menschen, denen zum Beispiel akademische Leistungen einfach in den Schoß fallen: Sie glauben besonders oft, nur durch Glück oder Mogelei an ihr Ziel gelangt zu sein.
Als ich meine Freund:innen zu dem Thema befragte, stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen schon ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Eine Freundin berichtete beispielsweise, dass sie sich auf gute Leistungen nicht zu viel einbilden möchte, und deshalb oft einfach nur davon ausgeht, eben Glück gehabt zu haben. Eine andere Freundin war zu Schulzeiten oft bezichtigt worden, ein Liebling ihrer Lehrer:innen zu sein und glaubt deshalb bis heute, Erfolg nicht verdient zu haben, wenn sie nicht absolut alles dafür gegeben hat.
Vielleicht tue ich auch den scheinbar perfekten Student:innen, die mir so weit überlegen scheinen, Unrecht. Wahrscheinlich haben selbst sie manchmal das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das Gefühl, einen Tarnumhang zu tragen, der jederzeit seine Wirkung verlieren und ihr eigentliches, planloses Selbst enthüllen könnte.
Wir alle glauben wohl manchmal, die guten Dinge, die wir erfahren, wären bei uns gelandet wie ein falsch adressierter Brief, und früher oder später müssten wir sie wieder hergeben – denn jeder Betrug, jeder Fehler fliegt am Ende auf. Vielleicht sind wir überzeugt, die Eins vor dem Komma, ein lieb gemeintes Kompliment oder gar die Menschen in unserem Leben nicht verdient zu haben. Dass das kompletter Quatsch ist, müssen wir wohl mit der Zeit einsehen.
Bis dahin tröstet es uns vielleicht, dass wir alle schon einmal das Gefühl hatten, die dümmste und unfähigste Person im Raum zu sein – wahrscheinlich sind wir aber einfach ein bisschen selbstkritischer, als uns gut tut.
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