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Neuland: Warum Bescheidenheit das neue Uncool ist

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Dinge, die man vor anderen klein redet, werden vergessen und Dinge, die man vor anderen groß redet, werden gejudged. So oder zumindest so ähnlich hat sich in meinem Kopf über die Jahre ein Gedanke manifestiert. Aber wo ist die Grenze zwischen falscher Bescheidenheit und stinkendem Eigenlob?

Irgendein Freitagabend auf dem Geburtstag eines Freundes. Nachdem ich im ersten Gespräch mit einem der Gäste den mittlerweile ritualisierten Abgleich der Studienfächer hinter mich gebracht habe, fragt er mich, was ich sonst noch so in meinem Leben mache. „Ich mach so ein paar Sachen im Medienbereich. Und du so?“ ist meine fünfsekündige Antwort. Fünf Sekunden dafür, dass diese „paar Sachen“ verdammt viel Arbeit sind und ich sie mittlerweile der Uni und einem gesunden Schlafrhythmus meist vorziehe. Fünf Sekunden dafür, dass diese „paar Sachen“ meine Herzensprojekte sind, auf die ich eigentlich echt stolz bin. 

Vielleicht hätte es diese Person tatsächlich interessiert, was ich in meinem Leben so treibe. Doch in meinem Kennenlern-Smalltalk-Kodex ist festgehalten, dass ich lediglich kleine Teaser meines Lebens ins Gespräch einwerfe, die mein Gegenüber nach Belieben aufgreifen oder eben auch fallen lassen kann. Bescheidenheit und so wenig wie möglich über mich selbst reden ist für mich der Key zur sozialen Verträglichkeit, denn wenn wir mal ehrlich sind: die wenigsten Menschen mögen es, selbstzentrierten Monologen anderer zu folgen. Oder? 

Wenn man sich die Psychologie hinter dem Verhalten von Bescheidenheit anschaut, werden die unterschiedlichsten Meinungen dazu kundgetan. Zwischen „Bescheiden auftretende Menschen sind im Alltag beliebter“ und „Bescheidenheit kann den Selbstwert enorm killen“ gibt es so ziemlich alle Studienergebnisse, die man sich vorstellen kann. Aber was passiert da wirklich, wenn ich in einem Gespräch mit anderen Bescheidenheit oder gar Zurückhaltung zeige? 

In erster Linie stelle ich mich bei einem Thema in den Hintergrund und werte gleichzeitig Dinge herab, die mich in ein gutes Licht stellen würden. Denn es ist ein Mechanismus: Ich will nicht als die unangenehm Selbstverliebte aus der Masse herausstechen. Also bleibe ich lieber bei meiner einstudierten 5-Sekunden-Antwort, die universell einsetzbar und sozial verträglich ist.

Ich  bin es gewohnt und so erzogen, nicht großkotzig durch die Welt zu laufen und überschwänglich mit anderen zu teilen, wie sehr ich für etwas brenne, oder dass ich so unglaublich stolz auf diese eine Sache bin, die ich geschafft habe. Aber sind wird das nicht alle ein bisschen? Der eigenen Selbstliebe würde es wohl am besten tun, wenn wir uns darin mal eine Runde üben würden.

Samstagabend, eine Woche später. Auf einer weiteren WG-Party finde ich mich in einer altbekannten Smalltalk-Situation wieder und werde erneut gefragt, was ich in meiner Freizeit so treibe. Anstatt meiner gewohnten 5-Sekunden Floskel hole ich ein paar Sekunden weiter aus. Anstatt dass ich meine „paar Sachen” kleiner rede als sie sind, erzähle ich kurz, um was es geht. Ich sage nicht, wie geil diese „paar Sachen” sind, sondern wie glücklich ich damit bin, wie es alles ist.

Es geht nicht ums Flexen, oder darum, mich leuchtender zu machen als nötig. Stolz hat nichts mit Prahlerei und Selbstinszenierung zu tun, sondern mit Selbstzufriedenheit. Und wenn es bei Bescheidenheit wirklich darum geht, die eigene Selbstzufriedenheit hinten anzustellen, um sozial verträglicher zu sein, dann bin ich lieber unbescheiden und rede stattdessen darüber, wie gerne ich mache, was ich mache.