Neuland: Wie Distanzen unsere Freundschaften formen

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Ich habe seit ich denken kann Freundschaften gepflegt, die eine Distanz zu überwinden hatten. Mit acht habe ich im Italienurlaub meine Brieffreundin kennengelernt, die in einem anderen Bundesland gewohnt hat. Als Teenagerin habe ich dann bei einem Praktikum eine meiner besten Freundinnen getroffen: Sie wohnt zwar nicht ganz so weit weg, aber immerhin liegt eine einstündige S-Bahnfahrt zwischen ihr und dem Haus meiner Eltern. Im Gegensatz zu meinen Schulfreund*innen konnte ich sie also nicht mehrmals die Woche sehen und meinen Alltag hat sie auch nie miterlebt. 

Aber spätestens seit ich für die Uni aus meiner Heimat weggezogen bin, war räumliche Distanz – und dadurch auch eine Entzerrung der gemeinsamen Zeit – in vielen meiner Freundschaften ein Thema. Was da geholfen hat? Das Internet natürlich. Kleine Alltagsfetzen können wir auf Snapchat  austauschen. Über Instagram sehe ich, was die andere Person gerade aufheitert. Und Whatsapp-Videoanrufe machen möglich, dass ich nicht nur ihre Stimme hören kann, sondern auch sehe, wie ihre neue Frisur aussieht oder zeigen kann, wie ich mein WG-Zimmer eingerichtet habe. Und nach ein paar Monaten hat die Freundschaft dann eine neue Routine gefunden.

Für das nächste halbe Jahr fängt dieses Spiel wieder von vorne an: Während meinem Erasmus-Semester in Spanien sehe ich jetzt auch meine Uni-Freund*innen nicht mehr persönlich. Aber mittlerweile weiß ich ja, was zu tun ist. Also schicke ich Fotos vom Strand, frage nach, wie die Weihnachtsmärkte in Deutschland sind und rufe an, wenn ich mich mal wieder direkt unterhalten möchte. Und freue mich auf das nächste Wiedersehen – denn eine echte Umarmung ist und bleibt doch am schönsten.

  • Moni 

Ich habe erst seit meinem Studium Freundschaften mit Distanzen pflegen müssen. Alltägliche Begegnungen, die einige Freundschaften durch die Schulzeit getragen haben, gab es nicht mehr und auch sonst wurden auf einmal unterschiedliche Wege eingeschlagen. Was sich wie ein melancholischer Blick in die Vergangenheit anhört, war für einige Freundschaften das Gift und für andere das belebende Mittel. 

Woran hat’s gelegen? Im Endeffekt gibt’s kein Rezept für Freundschaften, vor allem nicht für die mit einer räumlichen Distanz. Und trotzdem gibt’s für mich eine Zutat, die gerade diese Freundschaften am Leben hält: radikales Interesse. Haben Freundschaften nicht immer ein gewisses Interesse aneinander? Schon. Aber die Erkenntnis, dass die Dosis an Interesse in manchen Fällen doch geringer war als man dachte, ist jedes Mal aufs Neue bitter. Denn im Endeffekt werden langfristig nur die Freundschaften über räumliche Distanzen weitergeführt, bei denen das Interesse aneinander auch groß genug ist. 

Das sind genau die Freundschaften, in denen genug Raum für beide Menschen ist. Das sind genau die Freundschaften, bei denen eigene Veränderungen weder verurteilt noch persönlich genommen werden. Bei denen ich keine Hemmschwelle, keine Eingewöhnungsphase habe, bevor ich die gemeinsame Zeit wirklich genießen kann. Die nährenden Freundschaften sind für mich oft gerade die, bei denen ein spontaner Anruf aus der Ferne zu einem so verbindenden Gespräch wird, dass es mich jedes Mal aufs Neue überrascht. 

Denn wenn radikales Interesse da ist, dann stimmt der eklige Kalenderspruch aus der Küche meiner Oma eben doch: “True friends are never apart. Maybe in distance, but never in heart.”

  • Antje 

Als Kind habe ich meine Freund:innen öfter gewechselt als meine Socken. Was in meinem Leben allerdings eine Konstante war, waren meine Freundinnen von ganz weit weg – manche von ihnen sind es sogar bis heute. Wir haben uns nicht täglich gesehen, aber wenn, dann fühlte es sich so an, als wäre das letzte Treffen erst vorgestern gewesen. Entscheidend ist nicht die Quantität, sondern die Qualität der Zeit, die man miteinander hat. 

Dennoch war es so, dass man sich die meiste Zeit eben nicht gesehen hat. Und in dieser Zeit hat jede ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Und irgendwann als wir älter waren und uns erwachsen gefühlt haben, standen wir voreinander und haben beide gemerkt, dass wir verschiedener nicht sein könnten. Wären wir auch befreundet, wenn wir uns erst vor kurzem und nicht mit zwei im Sandkasten kennengelernt hätten? Nein. Und trotzdem verbindet uns der Fakt, dass wir uns gegenseitig beim groß werden zugeschaut haben. 

Ich habe lernen müssen, dass Freundschaften nicht statisch sind. Freundschaften sind nicht in ihrer Intensität gleichbleibend bis man stirbt. Sie sind wie eine Lava-Lampe und die geographische Distanz drückt den Schalter, der sie aufleuchten und heiß werden lässt, sodass Blasen entstehen, die aufsteigen, sich miteinander verbinden, sich umformen oder sich auflösen. Man verliert sich aus den Augen, man entwickelt sich in verschiedene Richtungen, man findet wieder zueinander, man trennt sich oder man vergisst sich. Dieser Prozess tut weh. Aber gehört dazu und macht die Zeit, die man miteinander verbracht hat, nicht weniger wertvoll. 

  • Nicole