Testo, Titten, Trizepscurls

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Je nachdem wen man fragt, kann der Begriff “Männlichkeit” scheinbar alles und nichts bedeuten. Von toxisch bis auf undurchsichtige Weise heilsam wird der Begriff von vielen verschieden Menschen ziemlich unterschiedlich verwendet und gedeutet. Die Frage nach dem Wesen des Mannes ist ohne Zweifel ein heiß umkämpftes Schlachtfeld des “Kulturkampfes”, in dem sich alle irgendwie wähnen.

Jetzt gibt es Menschen, die finden Männlichkeit, was immer damit jetzt genau gemeint ist, wichtig für die “abendländische Kultur” oder so. Gleichzeitig wird die bislang hierzulande vorherrschende Vorstellung von dem starken, rationalen, im Stehen pinkelnden Mann in den letzten Jahren jedoch mehr und mehr in Frage gestellt. In der Folge hat der kanadische Psychologe Jordan Peterson, mit breitem, hauptsächlich männlichem Publikum, sogar eine “Krise der Männlichkeit” ausgemacht. Feminismus und hohe Scheidungsquoten seien destabilisierend für das Konzept der traditionellen Familie und soziale Strukturen im Bezug auf Genderrollen.

Vielleicht ist es angesichts dessen sinnvoll, sich der Situation des “gemeinen Mannes” in der modernen Gesellschaft erstmal aus einer anderen Perspektive zu nähern, nämlich der weiblichen. Jetzt ist diese Perspektive nicht die meine, weswegen ich sie auch stellvertretend wiedergeben kann. In diesem konkreten Fall ist das unpraktisch, weil ich für eine Personengruppe spreche, der ich nicht zugehörig bin (ich bitte darum, mir diese Anmaßung zu verzeihen). In vielen anderen Situationen des Alltags erweist es sich jedoch als echter Segen. Jedenfalls hat mir in meiner frühen Jugend nie ein Bauarbeiter hinterhergepfiffen. Ich werde, wenn der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen auf dem Stand von 2020 bleibt, voraussichtlich einmal sechs Prozent mehr verdienen, als meine Kolleginnen im selben Job; alles Vorzüge, die das Mannsein so mit sich bringt, und die viel zu viele Frauen leider nicht genießen. Die “männliche” Lebensrealität ist also häufig eine andere, in vielen Fällen leichtere, als die weibliche. Dessen sollte man sich, finde ich, bewusst sein, wenn man sich mit dem Thema “Männlichkeit” auseinandersetzen will.

Männlichkeit heißt in vielen Fällen also: Dominanz, Härte, Privilegien. Einige Männer, so lässt es sich beobachten, hängen diesem Männlichkeitsbegriff trotzdem ziemlich nach. Erstaunlicherweise gibt es aber auch einige Frauen, denen die Gleichberechtigungsthematik nicht so ganz geheuer ist. Viele Menschen fürchten wohl, unabhängig von ihrem eigenen Geschlecht, Männer würden verweichlichen oder Charakterstärke einbüßen, wenn sie ihre Privilegien, also das, was häufig noch unter „Männlichkeit“ verstanden wird, aufgeben.

Vielleicht liegt das daran, dass traditionelle Geschlechterrollen über Jahrtausende gewachsen, schon lange Teil vieler Kulturen weltweit sind und deswegen als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Eine Gesellschaft, die Wert auf die Gleichberechtigung der Geschlechter legt, erscheint da als etwas neues, unberechenbares. Aber Gleichberechtigung bedeutet ja nicht, bestimmte Charaktereigenschaften wie Loyalität oder Standhaftigkeit, die häufig eben auch mit Männlichkeit assoziiert werden, abzulegen. Es bedeutet nicht, keine Rosen mehr schenken oder ihr nicht mehr helfen zu dürfen, sollte die Partnerin in finanzielle Not geraten. Es geht darum, Gleichwertigkeit zwischen allen Geschlechtern zu schaffen, was Lebensqualität und Selbstbestimmung angeht. Und darum, sich einander auf Augenhöhe zu begegnen. In Partnerschaften genauso wie auf die ganze Gesellschaft betrachtet. Ja, dafür werden der ein oder andere Mann etwas aufgeben müssen. Sei es Macht, Geld oder einfacher Sex. Und natürlich ist es schwierig, solche Privilegien und Machtstrukturen erst anzuerkennen und dann auch noch aufzugeben. Vielleicht fühlt es sich sogar wie ein Verlust an – der zu Beginn erwähnte „Verlust der Männlichkeit“. Aber man sollte sich auch darüber klar werden, wie viel dadurch gewonnen werden kann, wie viel bedeutsamer und sinnstiftender  Wertschätzung, Halt und Zuversicht werden. Und dass “ein Mann” auch noch viel mehr ist, als nur seine sogenannte “Männlichkeit”. 

Darin liegt für uns Männer die große Chance, den Begriff “Männlichkeit” überhaupt überflüssig zu machen. So wie es ein berechtigtes Anliegen vieler Frauen ist, nicht mehr vorrangig als Frau, sondern als Individuen betrachtet zu werden, könnten wir das selbe tun. Ständig danach zu streben, der gesellschaftlichen Idee von “Männlichkeit” gerecht zu werden, schränkt doch total ein. Wir Männer sind doch überhaupt nicht alle gleich. Warum sollten wir dann so tun?

Sich frei von gesellschaftlich definierten Geschlechtervorstellungen zu machen, bedeutet außerdem Verantwortung. Man kann Fehler nicht mehr damit begründen, nunmal ein Mann zu sein, und deswegen gar nicht anders zu können als Frauen zu bespannen. Nein, wir können anders! Wir können unsere Handlungen steuern und sie hinterfragen. Und wir sind für sie verantwortlich. Nicht als Männer, sondern als Menschen.

Beat Ostermeier

Beat Ostermeier wurde 2002 in Augsburg geboren. Nach seinem Abitur im Sommer 2021 begann er, für Canapé über Themen aus Politik und Gesellschaft zu schreiben. Das Schreiben ist für ihn gleichermaßen Ventil wie Diskursbeitrag. Nach einem Gap Year wird er zum Wintersemester 2022/23 sein Studium in Philosophy and Economics in Bayreuth beginnen, auch wenn ihn Naturwissenschaften eigentlich mehr interessieren. Seine Haltung zum Kapitalismus hat er noch nicht vollständig entwickelt. Dafür wird das Studium dann da sein.

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