Ist das Kunst oder kann das weg? – Frauenfeindliche Texte im Deutsch-Rap

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Es ist Sonntagmorgen – ein Geruch von Schweiß geht mir durch die Nase, als ich den Raum betrete. Um mich herum sehe ich sofort ein paar Pumper:innen, die sich gegenseitig an ihr Limit bringen, noch eine letzte Wiederholung zu schaffen. Die Ladiesgruppe steht schon vor dem Kursraum und wartet, denn gleich beginnt der Bauch-Beine-Po Kurs. Alles beim Alten, denke ich.  Ich habe wie immer meine dicken Kopfhörer auf – In der Sekunde, in der ich auf Play drücke, vergesse ich alles um mich herum. 

„Baller der alten die Drogen ins Glas, Hauptsache Joe hat sein Spaß“, tönt es laut in meine Ohren. Ich höre “Lebenslauf” von Bonez MC und GZUZ. Ja, ich oute mich: Ich höre auch gerne Deutschrap…Nicht alles und jede:n, aber beim Sport pusht mich diese Musik einfach. Wären da nicht diese frauenfeindlichen Stellen im Text…Noch nicht genug gehabt? Ich gebe euch noch ein paar Auszüge:

„Eine Frau bleibt auf Ewigkeit ein Gegenstand“ – FiNCH und MC Bomber; Sex & Gewalt 

„Die Bitch muss bügeln, muss sein. Wenn nicht, gibt´s Prügel, muss sein“ Kurdo und Majoe; Charlie Sheen

„Die Bitches heute wollen Jungfrau bleiben, zwei Optionen – Arsch oder Mund auf, Kleines.” – Kollegah und Farid Bang; Dynamit 

Die einen nennen diese Textzeilen frauenfeindlich, die anderen nennen es künstlerische Freiheit. Das Problem, welches ich im Deutsch-Rap sehe, bringt Salwa Houmsi (Moderatorin und Journalistin) auf den Punkt: „Es gibt Sexismus überall – in unserer Politik, der Gesellschaft und in anderen Musikgenres. Deutschrap ist allerdings ein Genre, das diesen Sexismus zelebriert“. Ich würde von mir selbst sagen, dass ich mich klar für die Rechte und die Gleichstellung der Frau einsetze. Im selben Zug höre ich mir dann solche Texte an…irgendwie passt das alles nicht zusammen, denke ich mir. Und auch wenn ich mit Freund:innen unterwegs bin, die meine Einstellung teilen, wird solche Musik gehört. Diese Vorstellung von einem prolligen Typen im dicken Auto, der Rap hört und Frauen als Accessoire ansieht, wird also der Zielgruppe von Deutschrap nicht mehr gerecht. 

Laut Spiegel Datenanalyse: “Sexismus hat Tradition im Deutschrap”

Bei der Auswertung von 30.000 Songtexten einer Spiegel Datenanalyse kam heraus, dass die meisten Sexismen pro Song vom damaligen Frauenduo SXTN stammen. Mit Lines wie „Jetzt sind die Fotzen wieder da!“ wollen sie Frauen empowern. Einige Feminist:innen lehnen laut Spiegel die Texte ab, weil sie sexistische Bilder reproduzieren. Hier wurde sich allerdings vermehrt auf Wörter wie Fotze, Schlampe oder Bitch konzentriert. Und ja, selbst der sonst so lieb aussehende Rapper Cro benutzt frauenfeindliche Texte in seinen Songs, so ist diese Line hier aus seinem Hit easy: „Und wenn sie heiraten will und nach drei Tagen chillen schon dein ganzes Haus und deinen Leihwagen will – erschieß sie.“ Ich muss gestehen, dass Beleidigungen aller Art im Rap für mich irgendwie dazugehören. Wenn man jedoch anprangert, einer Frau “Drogen ins Glas zu ballern”, um danach Sex mit ihr zu haben, dann finde ich das ganze schon einiges mehr als einfach nur bedenklich. 

Denn ursprünglich ging es beim Rap doch um Anerkennung und Respekt… 

Rapper:innen wollen provozieren und auffallen: Dicke Autos, nackte Frauen, Schmuck, Pelzmäntel, Luxus-Häuser und Drogen. Und noch besser funktioniert das Prinzip mit Tabubrüchen und Schimpfwörtern – Klar, das lässt sich gut vermarkten. Auch laut Hip-Hop-Expertin Sina Nitzsche von der Technischen Universität Dortmund gehört genau das zum Genre dazu: „Grenzüberschreitung ist eines der zentralen Stilmittel des Gangster- und Battle-Raps. Der ist auch homophob, frauenfeindlich und in anderer Weise abwertend”.

Nitzsche erklärt sich die Ausdrucksweise durch den Ursprung des Hip-Hops: Dieser kommt aus Amerika und wurde Anfang der 1970er Jahre von Afroamerikaner:innen und Latinos/Latinas genutzt, um sich Gehör zu verschaffen. Denn sie wurden damals von der weißen Mehrheitsgesellschaft sowohl politisch, wirtschaftlich als auch kulturell ausgeschlossen. So beschreibt sie die Hypermaskulinität – die extreme Form der männlichen Geschlechtsideologie – als zentral für den Überlebenskampf, denn dieser stiftet Identität und verleiht den Künstler:innen eine gewisse Macht, Aura und Authentizität. Es scheint also, als drücken Männer ihre Männlichkeit aus, indem sie sich selbst über Frauen stellen. 

Warum hören wir uns das eigentlich an? 

Eigentlich passt diese Musik nicht zu meinem Weltbild. Kann oder sollte man sich also über die Musik definieren, die man hört? Um diese Punkte zu klären, habe ich Frauen, die Deutsch-Rap hören, ein paar Fragen gestellt! Auf die Frage, warum die Hörerinnen gerne Deutschrap konsumieren, bekam ich meist die gleiche Antwort: weil ihnen die Musik einfach gefällt. Die Musik macht gute Laune, der Beat pusht und verleiht Selbstbewusstsein. Für die einen ist der Text im ersten Moment nicht ausschlaggebend, für die anderen ist gerade dieser von Bedeutung. So merkt Paula an, sie höre die Rapper:innen aus unterschiedlichen Gründen: Manche Interpret:innen hört sie nur zum Spaß oder weil ihr der Beat gefällt, andere aufgrund der gesellschaftskritischen Texte. Wichtig ist ihr aber eines: die Person muss Raptalent besitzen. 

Reaktionen von Frauen 

Zu den oben stehenden Textausschnitten bekam ich Reaktionen wie: “Schrecklich”, “Müll”, “Frauenfeindlich”, “Ekelhaft” und “Widerlich”. Auch Jana merkt an, dass ihr erst jetzt beim Lesen richtig bewusst wird, dass sie sich bisher nicht so intensiv mit den Texten auseinandergesetzt hat. Einige Frauen grenzen sich klar von diesen Texten ab, so erklärt zum Beispiel Milla: “Bei den Liedern, die ich höre, sind die Lines völlig akzeptabel und ich stufe sie nicht als verletzend ein”. 

Ist das Kunst oder sollte das weg? 

Es wird deutlich, dass jede Frau ihre Grenzen anders setzt: Einige zeigen kein Verständnis für die Texte und die Zuhörer:innen dieser Lines. Wenn Pauline mitbekommen würde, dass jemand aus ihrem Umfeld diese Songtexte feiert, würde sie immer ein klärendes Gespräch suchen: “Ich glaube, dass viele Menschen das auch gar nicht hinterfragen und nicht sehen, was für eine gesamtgesellschaftliche Problematik das ist”. Manche nehmen die Texte nicht ernst und können auch darüber lachen, andere distanzieren sich deutlich von den Interpret:innen und meiden frauenfeindliche Songtexte. Dabei stellt Paula fest: ”Das ist wahrscheinlich ein Abwehrmechanismus,  damit ich mich nicht damit beschäftigen muss. Aber ich höre Musik, um es zu genießen und nicht um mich damit zu stressen.”

Pauline erklärt, dass es für sie auch in der Kunst Grenzen gibt: Diese werden überschritten, sobald es menschenverachtend ist oder sich eine bestimmte Gruppe angegriffen fühlt. Nicht nur Männer benutzen Wörter wie “Bitch”, “Fotze” oder “Schlampe” – Auch Rapperinnen bauen sie in ihre Texte ein. Aber ist das etwas anderes, wenn Frauen diese Begriffe in den Mund nehmen? Clara ist der Meinung, die Begriffe haben eine Wandlung durchgemacht:  “Als Schlampe bezeichnet zu werden ist im Endeffekt nicht mehr ein gesellschaftsaustoßendes Urteil und sollte auch nicht mehr diese Bedeutung bekommen”. 

Und natürlich die spannendste Frage: Warum hörst du diese Musik, trotz der feindlichen Aussagen? Entweder die Frauen distanzieren sich von sexistischen Songtexten oder sie beziehen sich auf den Standpunkt, welchen sie in der ersten Frage deutlich machten: Sie hören diese Musik, weil es Spaß macht. Paula bezeichnet diese Songs als ihren „guilty pleasure“. Das Problem sieht sie im Deutsch-Rap aber nicht in den Texten, sondern im Umgang mit ihnen. Sie fordert, dass Minderjährige durch Schule oder Elternhaus vermittelt bekommen müssen, differenziert mit diesen Texten umzugehen. Diese Texte zu verbieten sieht sie nicht als Lösung.

 Wie können wir also mit frauenfeindlichen Texten umgehen?

Wichtig ist im ersten Schritt, dass jede:r die eigenen Grenzen ziehen muss und entscheidet, ob man eine:n Künstler:in mit frauenfeindlichen Aussagen unterstützen möchte. Denn das Wichtigste ist doch, dass Musik Spaß machen sollte. Trotzdem würde ich mir weniger Feindlichkeit und wieder mehr aus den Ursprungszeiten des Raps wünschen: Respekt und Gesellschaftskritik. Aber da ist auch ein bisschen Hoffnung: Denn es gibt ebenso Künstler:innen im Deutschrap, die sich für Gleichberechtigung, Menschenrechte und Toleranz einsetzen.