Girlboy, Tomboy und sonst?- Wie Gender Expression außerhalb des binären Systems aussieht

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Der erste Eindruck zählt – das weiß jeder. Dabei sind nicht nur Charakter und Ausdrucksweise wichtige Merkmale. Auch der eigene Kleidungsstil wird als Ausdruck der Persönlichkeit angesehen. Noch ist das tägliche Modebewusstsein und dessen Wahrnehmung stark vom binären Geschlechtersystem – der Aufteilung in ausschließlich männlich und weiblich – geprägt.

Auch wenn die Linien anfangen zu verwischen – Jungs sich die Nägel lackieren und Mädels weite Klamotten tragen – so ganz kommt man von der Unterteilung in männlich und weiblich nicht weg. Jeder Klamottenladen trennt beispielsweise zwischen Frauen- und Herrenmode und beeinflusst damit das Kaufverhalten und die Auffassung von Geschlechterrollen beim Konsumenten. Es wird einem unterbewusst beigebracht, dass eine strikte Trennung der Geschlechter normal ist und man seiner Identität nach einzukaufen hat. Was aber wenn sich eine Person weder mit dem Einen noch mit dem Anderen identifizieren kann?

Ich persönlich bin Nicht-Binär. Ich fühle mich weder als Mann noch als Frau. Als ich das realisiert habe, wollte ich natürlich auch dementsprechend aussehen und mich kleiden, wie ich mich fühle. Nach einigen langen Nächten auf Google, Pinterest und Youtube bin ich zu folgendem Konsens gekommen: Eine Frau kann so aussehen und ein Mann so. Dann muss eine nicht-binäre Person entweder männlich und weiblich gemischt aussehen oder sich wie keins von beidem zeigen, richtig?

Weg vom Binären System hin zur Androgynität

Wenn man also weiblich geboren ist, verpasst man sich erst mal eine Kurzhaarfrisur. Zumindest war das bei mir der erste Schritt und ich hab mich sehr gut damit gefühlt, erst eine kleine Veränderung in Richtung Androgynität zu machen. Der erste Schritt um nicht als ausschließlich männlich oder weiblich aufzutreten. Denn Androgyinität ist genau das: Eine Vereinigung von männlich und weiblich. Leute wie Tilda Swinton, David Bowie oder Lachlan Watson tragen bis heute noch viel zu meiner Auffassung von Gender bei.

Dass ich in einer Selbstfindungsphase war und mit der neuen Frisur einen Schritt näher an meiner echten Identität war, wussten die Leute um mich rum nicht. Eine Kurzhaarfrisur ist nämlich eine Veränderung, die für eine Cis-Person, jemand der:die sich mit seinem:ihrem biologisch zugewiesenen Geschlecht identifiziert, “normal” ist. 

Als ich dann das erste Mal einen Binder – eine Art enges Oberteil, dass man unter den Klamotten trägt um die Brust flach zu drücken – getragen habe, war das eine andere Geschichte. Eine Cis-Person macht das im Normalfall nicht. Das war der erste Schritt raus aus der binären Selbstdarstellung. Und für mich auch ein sehr wichtiger Schritt hin zu meiner Gender Expression, meiner authentischen Geschlechtsdarstellung. Dazu kamen dann weite Klamotten, die wenig Körperform gezeigt haben. Weniger Farbe und kein Make-Up zu tragen, lief bei mir auch unter Androgynität.

Es hat sich so angefühlt, als müsste man als Nicht-Binäre Person so aussehen. Eine Mischung aus männlich und weiblich. Als männlich geborene Person steuert man gegen, indem man typisch feminine Dinge wie Röcke anzieht oder Make-Up trägt und sich als Girlboy gibt. Und als weiblich geborene Person geht man die Tomboy Route. Man distanziert sich von der weiblichen Geschlechterrolle und trägt weite Hosen, einen simplen und lässigen Style ohne Make-Up.

Gender Expression hat viele Gesichter 

Das Problem ist, dass man Gender Expression nicht über einen Kamm scheren kann. Das Konstrukt “Gender” oder auch das soziale Geschlecht ist in unserer Kultur seit 1950 bekannt. Es ist ein Begriff, der unsere Gesellschaft schon immer begleitet, formt und beeinflusst. Die Gender-Debatte gibt es nicht erst seit ein paar Jahren, sie hat Geschichte.

Und damit gibt es unzählige Auffassungen, wie man den Begriff für sich selber interpretieren kann. Natürlich ist man davon geprägt, wie man aufwächst, was für Medien man konsumiert und mit welchen Menschen man Kontakt hat. Aber vor allem die letzten zwei Punkte sind in einem stetigen Wandel, genauso wie die gesellschaftliche Auffassung von Gender und Gender Expression. Bis vor einigen Jahren konnte man sich an vielen Stellen nur zwischen “männlich” und “weiblich” entscheiden. Mittlerweile ist die Option “divers” schon gängiger geworden.

Seit einigen Jahren und mit Hilfe von Social Media wurde immer mehr auf soziale Geschlechter außerhalb des binären Systems aufmerksam gemacht und immer mehr Leute haben einen Begriff gefunden, mit dem sie sich endlich wohlfühlen. Damit gehen auch gewisse Standards einher, wie zum Beispiel, dass Trans-Männer sehr maskulin sein müssen, um zu “passen” also als Cis “durchzugehen”.

Es gibt auf jeden Fall Archetypen und die sind vollkommen berechtigt, weil sich Leute dadurch in diesem ganzen Trubel der Selbstfindung wohlfühlen. Aber jeder Weg der Selbstfindung ist individuell. Natürlich kann eine AFAB Person (“assigned female at birth”) eine geschlechtsangleichende Operation und Hormontherapie bekommen, um dem biologischen Geschlecht entgegen zu wirken und eine AMAB Person (“assigned male at birth”) kann Make-Up mögen und sogenannte “Frauenkleidung” tragen. Aber genauso kannst du selbst als weiblich geboren und als Nicht-Binär identifizierend Make-Up mögen und dich feminin kleiden. Make-Up, Klamotten und Accessoires sind ein Mittel zum Zweck, sie sind nicht von Natur aus für ein bestimmtes Geschlecht gemacht. Nichts davon sagt aus, wer du bist; ausschließlich wichtig ist, wie du dich darin fühlst

Ich finde man sollte gerade in der Gender-Queer Community ein offenes Mindset haben und nicht von dem ersten Anschein geblendet sein. Nicht jede Trans-Person gibt sich gleich und nicht jede Non-Binary Person zieht sich androgyn an. Jede Person ist individuell. Das gilt für Jeden, Cis wie auch gender-queer Personen.

Ich muss mich auch immer wieder daran erinnern, dass Gender Expression und Gender Identity zwei verschiedene paar Stiefel sind. Gender Identity ist ein tiefgehendes Gefühl, wie du angesprochen werden willst und mit welchem sozialen Geschlecht dein Bewusstsein im Einklang ist. Gender Expression ist ein kreatives Outlet und ein wichtiges soziales Tool, welches dich täglich begleitet. Menschen lesen sich ständig gegenseitig und ordnen einander, aufgrund des Aussehens, in Boxen ein, wenn auch unterbewusst . Häufig vergisst man beim ersten Eindruck jedoch etwas sehr wichtiges: die Konversation danach. Denn erst in einem Gespräch findest du heraus, wie die Person wirklich tickt und was sie ausmacht.

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