Trend but make it Indigenous – Wie junge indigene Menschen Social Media nutzen, um ihre Kultur zu teilen

Bildquelle: pixabay.com Auf dem Bild ist die Darstellung von Inukshuk zu sehen. Wörtlich übersetzt bedeutet es so viel wie "gleich einem Menschen". Die Inuit verstehen darunter einen Gegenstand, der anstelle eines Menschen da ist und Aufgaben übernehmen kann. Die Inuit hatten bis ins 19. Jahrhundert keine Schrift, weshalb man ein Inukshuk als ein Schriftzeichen in der Landschaft verstehen kann.

Seit knapp 1,5 Jahren ist die Inuk Shina Novalinga aus Montreal auf TikTok und Instagram unterwegs, wo sie mittlerweile mehrere Millionen Menschen erreicht. Sie postet über traditionelle Kleidung der Inuit, praktiziert gemeinsam mit ihrer Mutter das traditionelle “throat singing”, was eine besondere Gesangsart der Inuit ist und auf deutsch “Kehlkopfgesang” genannt wird, und klärt über die Geschichte und Kultur der Inuit auf – und wie diese durch den Kolonialismus verdrängt wurden.

Mithilfe kurzer Videos bringt sie einiges an Wissen knapp aber verständlich rüber. So erzählt sie beispielsweise, dass die Bezeichnung “Eskimo” eine rassistische Beleidigung ist, Inuit Kleidung und Schmuck traditionell selbst herstellen und dass das Kayak (Qayarq) von ihnen erfunden wurde (hier ein Video mit der Aussprache davon). Hinter den munteren Videos und Ausschnitten aus ihrer Kultur steht aber eine dunkle Vergangenheit, die noch immer aufgearbeitet und überwunden werden muss.

Als Europäer:innen, angeführt von Christoph Columbus, in Amerika eintrafen, bedeutete dies den Beginn einer jahrhundertelangen Unterdrückung für viele indigene Völker des Kontinents. Nicht nur starben über 80% der indigenen Menschen in den Jahrzehnten nach deren Ankunft an eingeschleppten Krankheiten, auch in den folgenden Jahrhunderten wurde ein System der Unterdrückung aufrechterhalten. 

In Kanada hielt sich dieses (zumindest offiziell) bis 1996, als die letzten sogenannten “Residential Schools” geschlossen wurden. Diese Schulen, eingeführt im Jahr 1831, waren wie Internate, in die die Kinder indigener Familien geschickt wurden, meist durch Zwang. Dort wurden sie dann christlich umerzogen und es war ihnen nicht erlaubt, ihre Muttersprachen zu sprechen oder ihre Kultur auszuleben. Dabei handelte es sich um eine systematische Methode, um die indigene Kultur langsam auszulöschen und insbesondere den Kindern gar nicht erst eine Möglichkeit zu geben, diese zu erlernen. Etwa 150.000 Kinder besuchten in diesem Zeitraum die Schulen.

Die Residential Schools machten erst in diesem Jahr wieder Schlagzeilen, als auf den Geländen mehrerer solcher Institutionen die Überreste von über 1.000 indigenen Kinder in Massengräbern gefunden wurden. Eine Kommission entdeckte alleine in der Provinz Ontario zwölf solcher Massengräber. Ein abschließender Bericht der Kommission beinhaltete nicht nur Berichte von körperlichem, emotionalem und sexuellem Missbrauch, der sich in den Residential Schools in Ontario ereignete, sondern auch über 4.000 Todesfälle innerhalb der Institutionen und eine unbekannte Anzahl an Vermissten.

Auch der Kehlkopfgesangt (so klingt er), der den Inuit verboten wurde, kommt langsam zurück. Christliche Missionare hielten diese Art zu singen für dämonisch, Inuit durften ihre traditionelle Gesangspraxis nicht mehr ausüben. Shina Novalinga und ihre Mutter Kayuula haben zahlreiche Videos davon gepostet und mittlerweile sogar ein Album gemeinsam aufgenommen. Kehlkopfgesang soll heilen und beruhigen, sowie die Geräusche von Natur und Tieren imitieren. Novalinga erzählt auf Instagram, dass sie während des Singens nicht nur eine Verbindung zu ihrer Stimme, sondern auch zu ihren Vorfahren spürt und sich geehrt fühlt, diese Praxis von ihrer Mutter zu erlernen. Zwar entfernte TikTok eines der Videos, da das Audio gegen die Community Richtlinien verstoße, und auch beleidigende Kommentare erreichen sie immer wieder. Trotzdem setzt sie sich für ihre Kultur ein und möchte die Traditionen ihrer Vorfahren wieder normalisieren und weiterführen. In einem Interview mit der Vogue betont sie, wie wichtig es sei, dass es mehr Repräsentation indigener Kulturen gebe, da diese lange Zeit vergessen wurde, und wie stolz sie darauf sei, dass immer mehr indigene Menschen die Möglichkeit nutzen, ihre Stimme im Internet für ihre Kultur und Tradition zu erheben.

Social  Media wird immer Social Media bleiben, und ob ihre Inhalte wirklich einen bleibenden Eindruck auf Politik oder die Gesellschaft haben, ist fragwürdig. Wenn jedoch die Zeitschrift Vogue sie oder einen ihrer Freunde (@notoriouscree) als “must-follow Account” der Woche vorstellt, oder wenn Millionen Menschen aus der ganzen Welt ihrem Account folgen und sich die Videos anschauen, dann haben sie und auch andere indigene Menschen in den sozialen Medien zumindest einen kleinen Einfluss auf unsere Wahrnehmung indigener Kulturen. Ein Buch lesen dauert lange, eine Internetrecherche ist anstrengend, aber zehn TikToks über die Inuit sind schnell geguckt. Am besten überzeugt ihr euch selbst davon. Wenn ihr also demnächst mal sowieso auf Instagram rumhängt, warum nicht einen kleinen Ausflug auf Shiva Novalingas Account machen und durch ihre Reels etwas über die Inuit lernen?

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