Wahl der Widersprüche

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Es ist endlich geschafft. Ein unfassbarer zäher, mitunter langweiliger, von aufgebauschten Skandalen und inhaltsleeren Phrasenschlachten in drei Triellen gezeichneter Wahlkampf ist endlich zu Ende. Und bei ehrlicher Betrachtung muss man feststellen, keine*r der drei Kandidat*innen konnte richtig überzeugen, geschweige denn begeistern. Olaf Scholz, der mit seiner Partei aus dieser Wahl zwar als recht klarer Gewinner heraus geht, wurde doch von vielen Wählerinnen und Wählern wohl gerade deswegen gewählt, weil er nicht Armin Laschet ist. Scholz selbst versucht zwar im Nachgang der Wahl, sich als Kandidat für Veränderung zu stilisieren, doch seine Person steht für viel, aber nicht dafür. Eine Qualität, die sich vor allem junge Menschen an der oder dem neuen Kanzler*in sicherlich gewünscht hätten. Das Wahlergebnis ist in dieser Hinsicht mehr als Paradox: die Wählerinnen und Wähler haben in Scharen Parteien gewählt, die offensiv und aus der Opposition heraus für Veränderung geworben haben, und Stimmen gleichzeitig mehrheitlich für den Kandidaten der in der momentanen, in Teilen der Gesellschaft und in den Medien fast schon geächteten Großen Koalition Finanzminister und Vizekanzler ist, und mit seinem Auftreten und seiner Rhetorik bei vielen, man munkelt sogar in seiner eigenen Partei, als Status-Quo-Kandidat gilt. Das ist der wirkliche Gegensatz, den es in den Sondierungen für eine mögliche Ampel-Koalition zu überwinden gilt: das Streben nach Veränderung von FDP und Grünen und die Stabilitätsversprechen des wahrscheinlichen Kanzlers dieser Koalition, Olaf Scholz. 

Demnach ist diese Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP, so sehr sie medial favorisiert wird, ein weitaus schwierigeres Unterfangen, als gemeinhin klar zu sein scheint. Nicht nur müssen große inhaltliche Differenzen zwischen FDP und Grünen miteinander vereint werden. Es muss auch der viel subtilere Unterschied zwischen FDP und Grünen auf der einen und Olaf Scholz´ SPD auf der anderen Seite überwunden werden, wenn es um die Frage geht, wie viel „Veränderung“ diese Regierung wirklich will, wie radikal sie den Klimawandel bekämpfen und sozialer Ungleichheit tatsächlich entgegnen möchte. Olaf Scholz gelang es im Wahlkampf recht erfolgreich, mit Schlagworten wie Stabilität, Verantwortung und Respekt, Werbung für sich selbst zu machen und einige Unionswähler für sich zu gewinnen. Die Frage danach, wie zukunftsträchtig ein solches Regierungsbündnis tatsächlich wäre, auch mit Blick auf die nächsten Bundestagswahlen, hängt also maßgeblich davon ab ob es Scholz gelingt, den Widerspruch zwischen den progressiven Kräften bei den Koalitionspartnern und in Teilen der eigenen Partei, und der um wenig Veränderung bemühten eigenen Wähler*innenschaft zu lösen. Dass das in einer Ampel-Koalition durchaus möglich ist, zeigen die Wahlerfolge der drei Parteien und das rasche Bilden einer Neuauflage dieser Regierung in Rheinland-Pfalz. Ob sich dieses Modell mit anderen Personalien auch auf die Bundesebene übertragen ließe, bleibt zu beweisen. Recht offensichtlich ist allerdings, dass SPD und Grüne eine Ampel-Koalition anstreben. Auch mit der Argumentation im Rücken, dass diese Koalition die drei größten Wahlgewinner vereinen, und damit wohl am ehesten dem Wähler*innenwille gerecht würde. Ob die FDP dabei so mitspielt, ohne auf Forderungen wie Steuersenkungen und Beibehaltung der Schuldenbremse zu beharren, ist angesichts ihrer guten Verhandlungsposition und dem selbstbewussten Auftreten der Partei eher unwahrscheinlich. Die Ampel, so sie denn kommt, wird wohl einen weithin sichtbaren, neongelben Stich bekommen.

Der FDP aus inhaltlichen Gründen naheliegender wäre allerdings eine Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP. Den Grünen fiele es in dieser Konstellation erheblich schwerer, zentrale Forderungen nach mehr staatlichen Investitionen und stärkerem marktregulierenden Eingreifen zur Bekämpfung des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit durchzusetzen. Ob es den Grünen gelingen könnte, aus ihrer Rolle als Königsmacher heraus im Jamaika-Bündnis grüne Akzente zu setzen, bleibt abzuwarten. Die FDP müsste ihrerseits in einer schwarz-grün-gelben Koalition wohl in geringerem Maße von ihren Wahlversprechungen abweichen. Nachdem sie selbst im Wahlkampf viel auf das Thema Klimaschutz gesetzt hat, könnte sie den Grünen an dieser Stelle einiges an Zugeständnissen machen, ohne eine Rebellion der eigenen Basis befürchten zu müssen. Die Freien Demokraten würden für ihre Inhalte jedenfalls stark von der CDU/CSU als Verhandlungspartner profitieren, zumal Christian Lindner und Armin Laschet bereits in Nordrhein-Westfalen eine gemeinsame Regierung im Eiltempo auf die Beine stellen konnten. 

Die Union ist und bleibt allerdings das größte Fragezeichen für diese Koalition. Sie hat das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren und ist sichtlich gezeichnet von Jahren des innerparteilichen Konflikts. Diejenigen in der Union, die sich Markus Söder als Kanzlerkandidaten gewünscht hatten, machen jetzt ihrem Ärger Luft, und erste Rücktrittsforderungen aus dem Landesverband in Rheinland-Pfalz sind am Montag nach der Wahl bereits laut geworden. Selbst Armin Laschet sprach davon, dass das Ergebnis „nicht zufriedenstellend“ sein könne. Angesichts dessen ist es wirklich schwer ersichtlich, mit welcher Begründung die Union jetzt eine Regierung bilden und anführen möchte, nachdem sie gut 10% der Wählerstimmen im Vergleich zu 2017 verloren hat. Dementsprechend widersprüchlich waren auch die Aussagen der Parteiführung, die vor der Wahl erst davon sprach, auch als zweitplatzierte den Kanzler stellen zu können, nur um diese Überlegung nach widerstand aus den eigenen Reihen wieder zu verwerfen. Am Wahlabend betonte man dann doch, aus diesem Ergebnis einen Regierungsauftrag ableiten zu können, zu knapp wäre die Wahl ausgegangen um das Feld alleine Olaf Scholz zu überlassen. Am Montagnachmittag war dann nur noch die Rede davon, für Gespräche bereit zu stehen, und gab damit den Anspruch auf das Kanzleramt mehr oder minder auf. Es ist also eine wirklich verzwickte Lage für die Unionsparteien. Nachdem er nicht nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen hat, wäre die letzte Rettung für ihren Kanzlerkandidaten Armin Laschet jetzt ein Jamaika-Bündnis unter seiner Führung, das sich allerdings angesichts der Situation, in der sich die Union derzeit befindet, wirklich sehr schlecht verkaufen ließe. Ansonsten ist Armin Laschet als Parteichef wohl erledigt, und die Union wird sich in der Opposition eine Generalsanierung leisten müssen. 

Neben den genannten Bündnissen aus SPD oder CDU/CSU mit Grünen und der FDP ist auch eine Neuauflage der Großen Koalition, diesmal unter Führung der Sozialdemokraten, nicht auszuschließen. Einige in der Union wagten sogar schon am Wahlabend, dieses Unwort in den Mund zu nehmen, nur um von Parteikolleg*innen und der SPD recht rabiat ausgebremst zu werden. Dabei ist diese Koalition in der Bevölkerung gar nicht mal so unbeliebt, gut 30% der Deutschen könnten sich laut einer Umfrage der ARD ein solches Bündnis vorstellen, weit mehr als eine Ampel oder Jamaika. Allerdings scheinen allen voran die meisten Mitglieder dieser Regierung aus der vergangenen Legislaturperiode strikt gegen eine Neuauflage zu sein. Besonders Vertreter*innen der SPD haben ziemlich früh klar gemacht, dass die Union keinen Regierungsauftrag bekommen, und sich gefälligst in der Opposition zu erneuern habe. Die GroKo muss wohl ein echt traumatisches Erlebnis für die meisten beteiligten gewesen sein, so sehr wie sie in den letzten Wochen und Tagen schlecht geredet wurde. Demnach sollte die GroKo, auch wenn sie der Bevölkerung augenscheinlich die liebste Variante wäre, am Unwillen der beteiligten Parteien scheitern.

Die Regierungsbildung wird sich also zäh gestalten. Augenscheinlich besteht allerdings unter manchen Politiker*innen ein echtes Bedürfnis, Fehler aus den Gesprächen im Winter 2017/18 nicht zu wiederholen und die Art, Politik auf Bundesebene zu machen, ernsthafter, konstruktiver und weniger wie einen Grabenkrieg zu gestalten. Und darin liegt eine große Chance für das Land.

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