Am vergangenen Wochenende musste ich samstags um neun Uhr in der Früh beim Friseur sein. Nach einem ausgiebigen Freitagabend in kleiner aber feiner Runde, der neben guten Gesprächen bedauerlicherweise auch von großen Mengen Marillenschnaps geprägt war, ohnehin kein leichtes Unterfangen. Jedoch mutete ich mir an jenem denkwürdigen Morgen noch schlimmeres zu. Da mein Friseur, mit dem ich mich sonst sehr gut verstehe, an diesem Morgen ähnlich wenig gesprächig war wie ich (wer weiß, vielleicht verbrachte er die vorangegangene Nacht ähnlich wie ich), griff ich nach den Zeitschriften vor mir auf dem Tisch. Die Auswahl beschränkte sich auf ein Boulevard-Magazine, zu dessen Zielgruppe ich leider nicht im Geringsten gehöre, und ein ominöses Magazin für politische Kultur, dessen Name nicht genannt werden muss. So begann ich also letzteres zu lesen. Die Ausgabe war schon etwas älter, und die ersten Seiten umfassten sowohl eine Reportage über Ortskräfte aus Afghanistan, als auch eine zum Radwege-Management in Berlin. So weit, so gut. Nach weiterem Umblättern allerdings stieß ich in ungeahnte Gefilde vor. Vor mir tat sich ein Kommentar eines Schweizer Autors auf. Oh nein, bitte nicht Roger Köppel, dachte ich mir und war froh zu lesen, dass es sich tatsächlich um einen anderen Autor handelte. Dieses Glück währte allerdings nicht lange, denn der Autor dieses Textes, so stellte es sich schon bald heraus, stand seinem Landsmann und Bild TV-Brüllaffen Köppel in Sachen Regressivität und Unredlichkeit in nichts nach.
Doch fangen wir von vorne an. Der Autor des Textes tat in seinem Artikel seine Haltung zu Lastenrädern und ihren Fahrer:innen, zu geschlechtergerechter Sprache und grundsätzlich allen Menschen, die solchen Dingen wohlwollend gegenüberstehen, kund. Dabei versuchte er sich auf seltsam-trotzige Weise in seinem kompletten Text selbst an der Verwendung geschlechtergerechter Sprache, scheiterte aber schon am Umgang mit dem Wort Mensch, das er als Ausdruck seines humoristischen Geistreichtums kurzerhand in „Mensch*innen“ verwandelte. Als ich das las, verschlimmerten sich meine Kopfschmerzen schlagartig und ich fragte mich, wie häufig ich dieses Meisterwerk der reaktionären Politkomik wohl noch hören müsste, bevor auch ich es endlich lustig fand. Ich finde es ohnehin überaus befremdlich, wenn Gegner geschlechtergerechter Sprache sich ihrer bedienen, um mir zu zeigen wie doof sie nur klingt. Doch wenn diese Imitation auch noch so sehr überzogen wird wie hier, stellt sich mir jedes Mal unweigerlich die Frage, ob es sich bei meinem Gegenüber tatsächlich um einen erwachsenen Menschen oder nicht doch um ein jungkonservatives Kleinkind handelt.
Doch zurück zum Thema. Der Text handelte im weiteren Verlauf zunächst vordergründig von Lastenfahrrädern, die man zunehmend durch die Straßen und Städte dieser Republik rollen sehe. Völlig entsetzt über den Umstand, dass es doch tatsächlich Menschen gibt, die ein beinahe klimaneutrales, flexibles und gesundheitsförderndes Verkehrsmittel einem tonnenschweren, dieselmotorisierten Blechschlachtschiff vorziehen, entlud der Autor seine Wut gegenüber dem Lastenrad und den Menschen, die es wagen, damit die Schönheit der deutschen Straßen zu beflecken. Von „linken Rechten“ war die Rede, von deren verdammten, öffentlich sichtbaren umweltbewussten Handeln der Autor sich wohl in seiner Auto-zentrierten Stadtidylle erheblich gestört fühlt.
Neben seiner Wut gegenüber dem ent-motorisierten Individualverkehr machte er, wie erwähnt, im weiteren Verlauf des Textes seiner Ablehnung geschlechtergerechter Sprache Luft. Ungeachtet der Vielzahl an kleinen Doofheiten, die sich in den einzelnen Textpassagen befanden, durch die ich mich trotz erheblicher Kopfschmerzen und andauerndem Restalkohol schlug, finde ich die dahinterstehende Grundhaltung besonders seltsam. Lassen wir es für einen Moment gelten, dass Lastenfahrräder kacke sind, weil man nass wird, wenn es regnet. Worin genau liegt jetzt das Problem für den Autor dieses Textes? Sein Porsche wird ihn doch wohl nicht minder trocken halten, weil eine Kreuzberger Mutter auf dem Fahrradstreifen nebenan ihre Kinder mit dem Lastenfahrrad zur Schule fährt. Genau so bei geschlechtergerechter Sprache. Die audio-ästhetischen Bedenken, die der Autor in seinem Kommentar zur Sprache bringt, können doch wohl keinem erwachsenen Menschen ernsthaft so nahe gehen, dass er einen wutentbrannten, zweiseitigen Artikel darüber in seine Tastatur hacken muss. Die allumfassende Frage bleibt also: Warum ist er so wütend?
Es wäre leicht zu behaupten, das liege an seiner unterbewussten Erkenntnis, der Kreuzberger Fahrrad-Mutter moralisch unterlegen zu sein. Weswegen ich das an dieser Stelle nicht tun werde. Wahrscheinlicher ist es wohl, dass es sich um ein trotziges Aufbäumen eines veralteten Lifestyles handelt, in dem ein ausgeprägter Materialismus und fehlendes Umweltbewusstsein nicht nur geduldete Nebenerscheinungen, sondern integrale Bestandteile sind. Für einen wohlhabenden, reaktionär-konservativen Schweizer Autor mag es unglaublich klingen, doch es gibt tatsächlich Menschen, die sich ihr Glück nicht mehr ausschließlich im Aufbauen und Zur-Schau-Stellen ihres Privatvermögens suchen, sondern tatsächlich, und das ist wirklich unfassbar, Verantwortung für ihre Mitwelt übernehmen. Donnerwetter.
Und damit nicht genug. Sie versuchen manches Mal sogar, anderen Menschen ihre Geisteshaltung zu erläutern, ihre Beweggründe offenzulegen und, um Himmels Willen, Kritik an, aus ihrer Sicht, weniger rücksichtsvollen Verhaltensweisen zu äußern. Das sorgt augenscheinlich, so zumindest war mein Eindruck, für wirkliches Unbehagen bei einigen Menschen des rechteren Spektrums, bis hin zur Angst vor Gender-, Öko- oder Gesundheitsdiktatur. Aber warum? Welcher Mensch fühlt sich, ganz nüchtern betrachtet, von Gendersternen, Lastenrädern oder ausgiebiger Handhygiene bedroht? Wovor haben diese Menschen Angst? Es erschließt sich mir nicht. Auch einen tollen Haarschnitt später nicht.