Zisch und Weg – Im Vorbeigehen zerstören

Vandalismus: Fahrrad mit platten Reifen

Bertha wurde mal wieder aufgeschlitzt. Traurig lehnt das silbergraue Fahrrad mit zerstochenen Reifen an einem der vielen Fahrradständer an der Universitätsbibliothek in Bonn. Besitzerin Meike ist fassungslos. Zum fünften Mal innerhalb von einem Jahr wurde ihr Fahrrad Bertha schon so beschädigt. Und um einen Einzelfall scheint es sich nicht zu handeln. „Ich lasse die Reifen immer in dem gleichen Fahrradladen reparieren und dort wurde mir gesagt, dass sie in den letzten drei Monaten schon um die 60 zerstochenen Reifen von Kunden ausgetauscht haben,“ erzählt Meike. 

Doch wer macht so etwas? Was passiert in einem Menschen, dass er den Besitz von anderen absichtlich beschädigt? 

In einem Interview mit der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) hat die Psychologieprofessorin Heidi Möller von der Universität Kassel den Hintergrund von Vandalismus erklärt: „Das sind oft Menschen, die emotional wenig mit anderen verbunden sind und haltende Beziehungen, Wertschätzung und Nähe selten erfahren haben.“ Laut Möller entwickeln diese Menschen dadurch einen Hass auf ihre Umwelt. „Wenn ich mit nichts emotional verbunden bin, dann schätze ich nicht nur mich selbst nicht wert, sondern auch nicht die Dinge und Menschen, die mich umgeben.“  

An Meikes Fahrrad wurde dieser Frust offenbar ausgelebt. Für die Studentin ist das auch aus finanzieller Sicht mehr als ärgerlich: „Ein neuer Reifen mit Schlauch kostete meist 25 Euro, mittlerweile wurde der Preis allerdings auf 30 Euro erhöht,“ sagt Meike. „Insgesamt musste ich also schon über hundert Euro an Reparaturkosten zahlen.“

Ein Effekt, der mitunter von den Täter:innen genauso gebraucht wird, erklärt Heidi Möller: „Durch solche Aktionen verschaffen sie sich Gehör, weil sie das Gefühl haben, dass sie die Gesellschaft nicht verstehen und umgekehrt.“ Vandalismus wird dann ein Mittel, so Möller: „Sie treten dann eine Art Kampf gegen die Welt an – das verschafft ihnen eine innere Entlastung. Die Zerstörung entlastet von inneren Konflikten.“ 

Ein großes Problem an einer solchen Tat ist der Umgang damit, sowohl für die betroffene Person, als auch für die Polizei. Insbesondere wenn es um die Aufklärung und die Täter:innenfahndung geht. Denn die Aufklärungsrate der Polizei Bonn bei sogenannter Straßenkriminalität ist mit 13,3 Prozent gering.

Michael Beyer von der Polizei Bonn erklärt dies bei Vandalismus besonders mit der Unauffälligkeit einer solchen Tat: „Das Aufschlitzen eines Fahrradreifens geht sehr schnell und noch dazu ist es für Passanten nur sehr schwer zu erkennen. Denn wenn jemand an einem Fahrrad hantiert, sieht es meist so aus, als ob die Person einfach nur ihr Fahrrad aufschließen wolle.“ Der oder die Täter:in ist meist schnell wieder verschwunden und auch Spuren sind nur sehr selten zu entdecken, so Meyer. 

Spuren hat auch Meike nicht gesehen, als sie ihr Fahrrad Bertha das erste Mal beschädigt auffand, aber: „Ich habe mir schon gedacht, dass das eine mutwillige Zerstörung war, weil andere Fahrräder drumherum ebenfalls aufgeschlitzte Reifen hatten.“ Zwei Mal hat sie bereits über das Online-Portal der Polizei Anzeige erstattet und mehrfach den Kontakt zu den Polizeikräften gesucht. „Auch die Mitarbeiter:innen in der Fahrradwerkstatt haben mir erzählt, dass sie solche Fälle an die Polizei weitergeben,“ so die Studentin.

Damit scheinen sie jedoch eine Ausnahme zu sein, denn laut Michael Beyer ist das Anzeigeverhalten bei Delikten dieser Art nicht hoch. „Vielen Leuten wird der Aufwand noch immer zu groß sein, deswegen kann man davon ausgehen, dass wir von vielen dieser Taten nicht erfahren.“ 

Meike hat diese Erfahrung auch bereits gemacht. „Meist, wenn ich Polizisten auf der Straße angesprochen habe, oder in der Wache angerufen habe, war die Antwort die Gleiche: Von diesem Problem haben wir noch nicht gehört. Eigentlich passt das nicht zusammen.“

Für die 20-Jährige ergibt sich eine frustrierende Situation, denn eigentlich möchte sie ihr Verhalten wegen dieser Taten nicht ändern. „Weniger Fahrrad fahren werde ich deswegen nicht, aber ich probiere immer wieder neue Plätze aus, wo ich es abstellen kann. Allerdings wurden meine Reifen nicht nur an einem Ort zerstochen.“ Besonders verwirrt sie jedoch etwas anderes: „Bertha ist nicht einmal ein teures, oder auffälliges Rad. Aufgefallen ist mir aber, dass meist nur Fahrräder mit schmalen Reifen betroffen sind. Bei einem Mountainbike sind mir bisher noch keine Schäden aufgefallen.“

Ob sie sich aus diesem Grund vielleicht sogar selbst eins kaufen möchte, weiß sie noch nicht. Zu hoffen bleibt nur, dass die Aufmerksamkeit der Polizei bezüglich dieses Problems steigt, denn in den lokalen Nachrichten wurde ebenfalls schon darüber berichtet. Bis dahin wird sich Meike aber wahrscheinlich noch länger Sorgen um Bertha machen müssen.

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