Alle für die Krone, die Krone für Alle

Quelle: Archives New Zealand

Die Queen ist tot. Und mit Großbritannien ist die ganze Welt ergriffen. Nicht nur Staatsvertreter:innen zeigen ihre Anteilnahme, in den sozialen Netzwerken lassen tausende Menschen ihren Gedanken freien Lauf. Auf TikTok schafft sich die Generation Z ihren eigenen Raum: zahlreiche Edits und Videos, die sich auf Queen Elizabeth II. beziehen, überschwemmen die ForYou-Page. Die Wortmeldungen dazu in den Kommentarspalten gehen aber weit auseinander, von: “Es ist natürlich traurig, dass eine alte Person verstirbt oder generell irgendjemand, aber sie (die Königsfamilie, Anm. d. Verf.) sind Arschlöcher”, über “Ich bin keine Befürworterin der Monarchie, aber es wird sehr seltsam ohne sie sein”, bis hin zu “Sie wird immer in unseren Herzen weiterleben” und “Sie war eine wunderbare, sehr kluge Frau. RIP.” – die Meinungen über Queen Elizabeth und die Königsfamilie gehen weit auseinander. Und trotzdem faszinieren die Windsors. Aber warum finden wir das britische Königshaus überhaupt so spannend, obwohl wir als nicht-Brit:innen eigentlich keinen direkten Bezug dazu haben?

Seien wir mal ehrlich: Eigentlich verkörpert die “Royal Family” alles, wogegen sich so viele von uns  sträuben. Wir fordern doch immer eine egalitäre Gesellschaft, in der jede:r unabhängig von der eigenen gesellschaftlichen Position, aufsteigen und etwas erreichen kann. Die britische Königsfamilie manifestiert sich aber zum einen allein durch ihre Existenz und Abstammung, zum anderen stellt sie, wie kaum eine andere Institution, ein festgefahrenes Klassensystem dar. Ganz nach dem Motto: Wir sind da, wo wir sind, weil wir schon immer da waren. Und jetzt huldigt uns gefälligst.
Hinzu kommt, dass die erste Familie der britischen Nation nicht selbst für ihren Unterhalt aufkommt, sondern von Steuergeldern versorgt wird – im Gegensatz dazu enthüllen ihre Mitglieder Gedenktafeln, eröffnen Krankenhäuser, kümmern sich um wohltätige Zwecke.
Um es überspitzt zu formulieren: Die Königsfamilie hat keinerlei politische Macht, wird aber dennoch von den Geldern der Steuerzahler:innen fürs Lächeln, Winken und Repräsentieren im wahrsten Sinne des Wortes königlich vergütet (die Queen besitzt laut “The Sunday Times” ein Nettovermögen von umgerechnet rund 421 Milliarden Euro). Und das alles aus dem Grund, weil es schon immer so war.

Vergegenwärtigen wir uns doch einmal, dass die Windsors trotz Vorbildfunktion, die sie für viele haben, in der Vergangenheit für so einige Skandale sorgten: Prinz Harry, der in seinen Zwanzigern mit Party-Eskapaden Schlagzeilen machte; sein Onkel Prinz Andrew, der aufgrund seiner Verbindungen zu dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein und Vorwürfen, eine Minderjährige mehrfach missbraucht zu haben, von öffentlichen Aufgaben ausgeschlossen wurde und nicht zuletzt Prinz Philip, der mit fragwürdigen Äußerungen wie „Werft ihr immer noch Speere aufeinander?“ (zu australischen Ureinwohnern) oder „Sie haben es also geschafft, nicht gegessen zu werden?“ (zu einem Studenten, der zu Fuß durch Papua-Neuguinea gereist war) für seinen „typisch britisch schwarzen Humor“ gefeiert wurde. Wahrscheinlich blieb der große öffentliche Aufschrei in Großbritannien deswegen aus, weil es sich bei ihm nicht um einen Politiker, sondern um den Ehemann der britischen Königin handelte.

Und schlussendlich bleibt die Frage zu stellen, wie repräsentativ die “Royal Family” wirklich ist. Eine sehr weiße, sehr reiche Familie kann wohl kaum die britische Gesellschaft wiederspiegeln. Großbritannien ist ein Einwanderungsland, in dem Menschen verschiedenster Ethnizitäten leben. In Städten wie London oder Birmingham macht der Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund aus den früheren Kolonien über 40% aus. Mit der Heirat von Prinz Harry und Herzogin Meghan schien es so, als gebe es nun endlich eine Identifikationsfigur für POC in Großbritannien: Meghans Mutter ist Afroamerikanerin, ihrer Vorfahren waren Sklaven auf Baumwollplantagen in Georgia – einer britischen Kolonie. Der Jubel war vor allem bei jungen Brit:innen mit Migrationshintergrund groß. Eine Userin twitterte anlässlich der Verlobung des Herzogenpaares: “Prinz Harrys zukünftige Schwiegermutter wird eine schwarze Frau mit Dreadlocks sein. Ich habe keine Worte für meine Freude.” Kurz kam die Hoffnung auf, das Königshaus sei im postkolonialistischen Zeitalter angekommen. Mit einem Mitglied der “Royal Family”, das selbst von Sklaven abstammt, die unter dem britischen Kolonialismus zu leiden hatten, wäre es endlich an der Zeit gewesen, für die Verbrechen um Verzeihung zu bitten, die während der Kolonialzeit vom Königshaus angeordnet und von dessen Abgesandten ausgeführt wurden. 

Aber es folgten weder Entschuldigungen oder Entschädigungen, 2020 zogen sich Meghan und Harry von allen öffentlichen Aufgaben als Mitglieder der Königsfamilie zurück. Nach nicht einmal drei Jahren war die sehr kurze Periode des erhofften Fortschritts wieder vorbei. Nach einem Jahr Schweigen meldeten die beiden sich schließlich mit dem mittlerweile legendären Oprah-Winfrey-Interview zurück.  Darin kritisierten sie unter anderem die Boulevardpresse und das Königshaus als veraltete, einengende Institution. Zudem warfen sie Mitgliedern der Königsfamilie vor, sich rassistisch bezüglich der Hautfarbe ihres Sohnes geäußert zu haben. Meghan und Harry klagen an, der Palast dementiert – wer schlussendlich was gesagt hat, ist nicht klar. Nach der Ausstrahlung explodierten die Reaktionen in den Sozialen Medien. Vor allem junge Menschen der Generation Z waren über die Rassismusvorwürfe und den Umgang des Königshauses mit Meghans psychischen Problemen empört. Bis heute sind auf TikTok zahlreiche Interview-Mitschnitte zu finden. Eine Userin kommentiert einen Clip, in dem Herzogin Meghan über ihre Suizidgedanken spricht, so: “Sie wird die Diana der Generation Z sein. Wir werden über sie sprechen wie unsere Eltern über Diana.” Ein anderer User schreibt: “Ich bin froh, dass Harry und Meghan das Königshaus verlassen haben. Das ganze System ist und war böse.”

Aber trotzdem: Als am Abend des 08. September der Tod von Queen Elizabeth II. verkündet wurde, explodietren Instagram, Twitter und TikTok nur so von der Menge an Beileidsbekundungen. Irgendetwas muss es also geben, dass die Queen und die Windsors so anziehend macht.

Vielleicht hätten wir auch einfach gerne eine sichtbare Monarchie – natürlich ohne politische Macht. Die Adelshäuser Deutschlands sind seit Ende des Ersten Weltkrieges enteignet und relativ unbekannt. Zwar sprechen sich 72% der Deutschen gegen eine:n König:in als Staatsoberhaupt aus, aber sind wir mal ehrlich: Ein Staatsoberhaupt mit Krone und dazugehöriger Familie, die sich ganz in den Dienst der Repräsentation stellt, immer freundlich, immer winkend, immer top gekleidet, versprüht weit mehr Glamour und Ehrwürde als der deutsche Bundespräsident. Sorry, Frank-Walter Steinmeier. 

Die wahrscheinlichere Erklärung: Die “Royal Family” ist endgültig zum Bestandteil der Popkultur geworden. Seitdem „The Crown“ auf Netflix trendet, erlebt die Königsfamilie einen erneuten Hype. Der Hashtag “#thecrown” hat auf TikTok über  1,8 Milliarden Aufrufe und in den Kommentarspalten unter den Edits dazu diskutiert die Generation Z über den Inhalt der Serie, als wäre es ein Dokumentarfilm. Zwar weisen die Produzent:innen von “The Crown” immer wieder darauf hin, dass Teile der Inhalte fiktiv sind – Fiktion und Realität scheinen aber zu verschwimmen. Nach außen präsentieren sich die Windsors als Einheit, die keine Konflikte und Streitereien an die Öffentlichkeit gelangen lässt. “The Crown” lässt die Zuschauer:innen nicht nur die Geschichte des Königshauses noch einmal in HD und in Farbe miterleben, endlich kann man auch die private Seite der Königsfamilie sehen.
Und dass die Geschichte der Windsors als Serie vermarktet wird, ist nur logisch: schließlich erinnert so einiges, was in den letzten Jahren im Königshaus vor sich ging, an den Inhalt einer Seifenoper. Liebe, Tod, Verrat, Verbrechen, Affären – genau wie in einer Netflix-Serie, nur mit dem Bonus, dass der Großteil auf wahren Begebenheiten und realen Personen beruht.
Und vielleicht macht genau das sie so interessant. Denn legt man Kronen, Diamanten und Orden ab, merkt man, dass die Windsors zum Teil ähnliche Probleme haben, wie jede andere Familie:  Streitereien, unglückliche Ehen, die Verwandtschaft, die sich (euphemistisch ausgedrückt) gerne mal daneben benimmt. Im Gegensatz zur Durchschnittsfamilie geschieht jedoch alles vor den Augen der Öffentlichkeit und jeder Fehltritt kann eine Gefahr für das Fortbestehen der Monarchie und der Familientradition bedeuten. Womöglich besteht auch darin der Deal der britischen Öffentlichkeit mit der “Royal Family”: Wir lassen euch an unserem Familienleben teilhaben, befriedigen euren Voyeurismus, und dafür lasst ihr uns unsere Privilegien. 

Es steht außer Frage, dass die Institution britisches Königshaus schon lange aus der Zeit gefallen ist. Wie die Briten damit umgehen, bleibt aber ihnen überlassen. Immerhin glauben nur 13% der Bevölkerung, dass Großbritannien ohne Monarchie besser dastünde als mit. Rückhalt haben die Windsors also noch. Vielleicht klammert sich das Land auch an diese alte Tradition, um in dieser chaotischen Welt wenigstens eine Sache zu haben, die sich nicht ändert. Queen Elizabeth II. hat mit ihrer langen Regentschaft immer etwas Kontinuität und Sicherheit symbolisiert. Zudem hat sie ein Leben gelebt, vor dem es so vielen von uns graut: bis zu ihrem Lebensende ein und demselben Job verschrieben, ohne Rücksicht auf sich selbst und das hohe Alter – work-life-balance, who are you? 

Die Zukunft des britischen Königshauses liegt jetzt in den Händen von König Charles III. Er will die Königsfamilie modernisieren, weniger Familienmitglieder in ihren Dienst stellen, Geld sparen. Ob er die Beliebtheit der Monarchie damit sichern kann, wird sich zeigen.
Aber eines ist sicher: egal, ob mit Zustimmung oder Ablehnung, wir werden ihm dabei zuschauen. Und auf die neue Staffel von „The Crown“ warten.

Lisa Schmachtenberger

Lisa ist 19 Jahre alt und studiert Political and Social Studies und Germanistik an der Uni Würzburg. Passend zu ihrem Studium schreibt sie am liebsten über Politik, Literatur und Popkultur. Neben dem Schreiben besitzt sie noch andere Superkräfte: Sie kann mit den Ohren wackeln und weiß alles über Helmut Schmidt.

@lisaschmachtenberger

Previous Story

LitWoch: Warum lesen wir?

Next Story

Und trotzdem: Ungarn

Das neueste von Politik & Gesellschaft