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Gegenwind statt Rückenwind – So träge fühlt sich Klimaschutz gerade an

Bildquelle: Unsplash

Es ist fünf vor zwölf und die Uhr tickt. Die Flutkatastrophe in Teilen Deutschlands vergangenen Sommer hat uns die Gefahren des Klimawandels noch klarer vor Augen geführt. Leider lässt sich die Zeit nicht anhalten oder zurückdrehen, aber verschiedene Maßnahmen könnten doch noch dafür sorgen, dass es nicht Zwölf schlägt und die Lebensqualität unseres Planeten erhalten bleibt. Wir als Gen Z gehen zwar regelmäßig auf die Straße, aber die meist älteren Politiker:innen sitzen in der Frage des Klimaschutzes doch am längeren Hebel.

Umso ernüchternder und frustrierender ist es zu sehen, wie Klimaschutz und notwendige Reaktionen aktuell gedacht und kommuniziert werden. 

Ein großes Problem der deutschen Klimapolitik wurde im vergangenen Bundestagswahlkampf offensichtlich: Die Maßnahmen greifen einfach zu kurz. Laut einer Analyse des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) enthielt kein einziges Wahlprogramm der im Bundestag vertretenen Parteien Pläne und Ansätze für eine 1,5-Grad-konforme Politik. Einige Monate zuvor waren die Mängel der deutschen Klimapolitik bereits deutlich geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht das von der GroKo initiierte Klimaschutzgesetz als in Teilen verfassungswidrig einstufte.

Nicht etwa, weil es mit seinen geplanten Schritten zu weit ging, sondern weil es viel zu kurz gegriffen und die Freiheitsrechte der jungen und kommenden Generationen verletzt hätte. 

Es ergibt sich also ein gewisses Paradoxon beim deutschen Klimaschutz: Zwischen geplanten und notwendigen Maßnahmen besteht ein eklatantes Missverhältnis, doch die meisten Parteien – abgesehen von der AfD – versprechen dennoch wirksamen Klimaschutz. Dieses augenscheinliche Pseudo-Versprechen hinterlässt bei mir ein Gefühl der Ratlosigkeit und Ohnmacht. 

Aber nicht nur bei den bisherigen politischen Plänen läuft etwas schief, sondern auch bei der Art und Weise, wie über Klimaschutz gesprochen wird. Im gesellschaftlichen und politischen Diskurs werden Verbote, z.B. für Verbrennungsmotoren oder ein Tempolimit auf Autobahnen als wirksames Mittel sehr schnell abgeschrieben. Man solle eher auf innovative Lösungen statt auf Fahrverbote setzen, schrieb unter anderem die FDP in ihrem Wahlprogramm.

Verbote werden verteufelt, weil sie mit Einschränkungen für den Einzelnen verknüpft und für die breite Bevölkerung finanziell und wirtschaftlich nicht tragbar seien. Kurz gesagt: Klimaschutz sei lästig, teuer und bedrohe die finanzielle Situation der Bürgerinnen und Bürger. Dieses Narrativ lässt allerdings völlig außer Acht, dass kein oder zu wenig Klimaschutz wesentlich teurer und gefährlicher für uns alle ist

Anders als generelle Verbote sind innovative technologische Lösungen in der Klimaschutzdebatte bereits akzeptierter. So beispielsweise herrscht ein allgemeiner Konsens, dass eine Energiewende stattfinden muss. Doch dem Ausbau von Erneuerbaren Energien werden viele Steine in den Weg gelegt, besonders der Windenergie. Gemäß einer Datenauswertung des SWR wurden im letzten Jahr so wenige neue Windkraftanlagen in Betrieb genommen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Seit 2018 ist ein rückläufiger Trend beim Ausbau der Windenergie zu beobachten. Wie kann das sein? 

Dafür sind zum einen veränderte Ausschreibungsverfahren verantwortlich. Das mit Abstand größte Problem für die Windräder ist aber ein anderes: der Abstand. In Bayern muss eine Windkraftanlage beispielsweise die zehnfache Höhe ihrer selbst von der nächsten Ortschaft entfernt sein – das sind ungefähr 2 Kilometer. Gerade dicht besiedelte Gebiete fallen somit als potenzielle Standorte weg.

Abgesehen von diesen planerischen Hürden muss die Windenergie noch weitere Hindernisse überwinden: Etliche Klagen von Bürgerinitiativen oder Umweltschützer:innen. So auch in meiner Heimatstadt. Dort durfte ich persönlich beobachten, wie sich eine Bürgerinitiative gegen die Verpachtung von potentiellen Standorten für Windkraftanlagen stellte. Über YouTube und eine öffentliche Facebook-Gruppe verbreiteten die Organisator:innen Argumente gegen den Bau von Windrädern.

Häufig fiel dabei die Aussage, dass Windräder in der Natur biologische Lebensräume zerstören, Vögel und Fledermäuse töten und das Landschaftsbild verschandeln. 

Natürlich weisen diese Aussagen auf reale Probleme hin, die durch Windkraft entstehen können. Es wird argumentiert, man müsse sich zwischen Klimaschutz und Arten-/Naturschutz entscheiden. Mittlerweile gibt es jedoch Technologien, die Klimaschutz und Artenschutz miteinander vereinen, z.B. können Vögel durch entsprechende Sensoren an Windrädern geschützt werden. Man muss sich also nicht mehr zwingend die Frage stellen, ob uns der Klimaschutz wichtiger ist als Tiere und biologische Lebensräume. An anderer Stelle, beispielsweise bei Bäumen, die für Radwege gefällt werden, müssen wir uns diese Frage allerdings doch stellen. 

Das Argument der Landschaftsverschandelung durch Windkraftanlagen geht einher mit der Aussage “Windräder, sehr gerne, aber nicht vor meiner Tür”. Würden aber keine Windräder gebaut werden und würde man der Kohleenergie die Treue halten, müssten weiterhin riesige Tagebaugruben entstehen und Umsiedlungen von Ortschaften stattfinden.

Und sind wir doch mal ehrlich: Zwischen einem Hektar großen Kohletagebau und einem Windpark mit mehreren Windkraftanlagen liegt im Landschaftsbild schon ein gravierender Unterschied vor. Zudem sind Windräder hinsichtlich der Umsiedlungsverfahren, die nur einige wenige Dörfer betreffen, die sozial und gesellschaftlich wesentlich ausgeglichenere und gerechtere Lösung. 

Bei alledem darf jedoch nicht vergessen werden, dass wir jungen Leute dabei meistens aus einer privilegierten städtischen Perspektive heraus argumentieren. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Windpark mitten in einer Stadt entsteht ist relativ gering – allein schon wegen der geltenden Abstandsregeln. Dieser Aspekt der Energiewende könnte einen sowieso schon bestehenden gesellschaftlichen Konflikt zwischen Stadt und Land weiter verschärfen. 

Natürlich finden erneuerbare Energien auch in der Stadt Platz, z.B. in Form von Solarenergie. Doch logischerweise ist die Wahrnehmung von bis zu 240 Meter hohen Windkraftanlagen eine andere als die von Photovoltaikanlagen. Eine Möglichkeit, diesen drohenden Konflikt zu beheben, wäre eine finanzielle Bürgerbeteiligung der Gemeinden und ihrer Bürger:innen an dem wirtschaftlichen Ertrag der Windräder. 

All diese Erkenntnisse, Argumente und Gegenargumente sind uns nicht erst seit gestern bekannt – das Wissen um den Klimawandel erst recht nicht. Doch trotzdem leistet die Politik zu wenig und setzt Forderungen oder Empfehlungen der Wissenschaft nicht passend um. 

Es ist bemerkenswert, wie ausdauernd sich Luisa Neubauer, Greta Thunberg und andere  Aktivist:innen weiterhin für den Klimaschutz einsetzen – und es ist ungemein wichtig. Doch bei einigen – so auch bei mir – macht sich langsam ein gewisses Gefühl der Resignation und Frustration breit. Man fragt sich: Warum soll ich überhaupt noch demonstrieren, wenn sich nichts verändert? Was muss passieren, damit endlich wirksame Maßnahmen ergriffen werden? Wie gehe ich mit dieser Frustration um? 

Diese Fragen lassen sich nur schwer beantworten, aber gerade deshalb sollten wir darüber reden und uns weiterhin zu diesen Themen Gehör verschaffen. Die Pläne des neuen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck stimmen immerhin zuversichtlich. Mit dem Wind-an-Land-Gesetz wolle man zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie reservieren, den Windenergieausbau mit dem Artenschutz versöhnen und die Voraussetzungen für zügigere Planungs- und Genehmigungsverfahren schaffen. 

Auch wenn es langsam und nicht immer effektiv passiert – es tut sich etwas. Und am Ende bleibt der Eindruck: Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Leider brauchen gesellschaftliche Umbauprozesse oftmals viel Zeit und Geduld. Aber es hilft, sich an kleinen Lichtblicken entlang zu hangeln.

Jolan Geusen

Jolan studiert in Bonn Politik- und Medienwissenschaft. Bei Canapé ist er Redakteur vom Dienst und Presenter. Zudem unterstützt er das Gründerinnen-Team bei Konzeption und Entwicklung des Magazins. Ansonsten sitzt er häufig auf dem Fahrrad oder steht am Küchenherd.

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