Es geht wieder los. Zuerst sind da die Countdowns zur Black Friday Woche in jedem Onlineshop, die die frohe Botschaft verkünden: „Noch eine Woche, dann kannst du das Loch in deiner Seele wieder mit Dingen stopfen, die du gar nicht brauchst!”. Dann folgt die Flut von Rabattcodes, Angeboten und Newslettern im E-Mail Postfach. Und schließlich ist er da, der Feiertag des Konsums, an dem wir dem Kapitalismus huldigen wie einem allmächtigen Gott. Zeitgleich erwachen die selbstgerechten Konsumkritiker:innen zum Leben, so wie Mariah Carey, sobald die erste Weihnachtsdeko erstrahlt. Das ganze Jahr über haben sie ihr hart erarbeitetes Mittelstands-Gehalt für überteuerte Bambus-Schlüpfer, Zero-Waste Coffee-to-go Becher und natürlich Tesla Aktien ausgegeben, um nun über all die Leute zu lästern, die es wagen, am Black Friday tatsächlich shoppen zu gehen.
Aber liegt die Zukunft des Planeten diesen Menschen wirklich am Herzen, oder sind sie sich nur ihrer Privilegien nicht bewusst?
Wir alle gehören wohl ein bisschen dazu. Unter jungen Leuten, die sich in einer bestimmten Bubble bewegen, ist es ganz alltäglich, den eigenen Konsum zu hinterfragen. Fast niemand in meinem näheren Umfeld isst noch Fleisch oder konsumiert übermäßig viel Fast Fashion, und wenn wir dann doch mal eine Flugreise buchen, schlafen wir mit Schuldgefühlen ein. Aktionen wie der Black Friday, die unnötigen und exzessiven Konsum zusätzlich ankurbeln, bereiten uns Bauchschmerzen – mal ganz davon abgesehen, dass die Leute teilweise wirklich ziemlich gaga werden, wenn sie Chancen auf Rabatte wittern. In den USA gibt es am Black Friday nicht selten Verletzte, weil die Menschen massenweise die Geschäfte stürmen und sich dabei komplett rücksichtslos verhalten.
Um jedoch ein Statement gegen die verschwenderischen Black Friday Traditionen zu setzen, wurde beispielsweise der „Kauf-nix-Tag” ins Leben gerufen: Verbraucher:innen sollen an diesem Tag bewusst nichts kaufen und sich auf diese Weise mit ihrem Konsumverhalten auseinandersetzen. Grundsätzlich eine gute Idee, die allerdings oft mit einer ziemlich eingeschränkten Sicht der Dinge einhergeht. Denn Selbstreflektion ist einfach – wenn man sie sich leisten kann.
In Deutschland ist schätzungsweise jeder sechste Mensch armutsgefährdet, hat also weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung. Dazu zählen vor allem alleinerziehende Eltern, Erwerbslose und Menschen mit niedrigem Bildungsstand oder ohne Schulabschluss. Ein Kauf-nix-Tag ist für viele von diesen Menschen immer wieder an der Tagesordnung, und zwar nicht als Protestaktion, sondern weil sie an der Supermarktkasse jeden Cent umdrehen, um sich am Monatsanfang die Miete leisten zu können. Oder weil sie auf so einiges verzichten müssen, um ihren Kindern die Klassenreise oder das neue Paar Schuhe zu ermöglichen.
Finanziell bessergestellten Menschen fällt es leicht, die Rabatte und Angebote am Black Friday als widerliches Abfeiern von Konsum und unnötigen amerikanischen Trends abzutun – denn wenn sie eine neue Waschmaschine brauchen, dann können sie sich die auch an jedem anderen Tag des Jahres leisten. Für arme Menschen können die Prozente auf Technikprodukte, Kleidung und so weiter jedoch eine gewisse finanzielle Entlastung bedeuten. Das sollte man im Hinterkopf behalten, während man sich über die verstrahlten Shopper in der überfüllten Innenstadt aufregt – und vielleicht die Überheblichkeit und den verinnerlichten Klassismus ablegen, der eine:n die Nase über Menschen rümpfen lässt, die sich neben ihren finanziellen Sorgen nicht auch noch Gedanken über Nachhaltigkeit machen.
Ich würde jetzt nicht so weit gehen wie Peter Altmaier, der Shopping – beziehungsweise das Unterstützen des Einzelhandels in der Pandemie – letztes Jahr als eine Art patriotische Pflicht bezeichnete.
Dass diese Aussage etwas peinlich war, hat er wahrscheinlich selbst bemerkt. Prinzipiell macht es einen aber nicht zu einem schlechten Menschen, wenn man sich am Black Friday etwas lang Erspartes gönnt oder die ersten Weihnachtseinkäufe erledigt. Der Kapitalismus wurde schließlich nicht am Black Friday erfunden, sondern stellt die Rahmenbedingungen dar, vor denen wir ohnehin leben und einkaufen. Und um sinnvoll Kapitalismuskritik zu üben, müssen wir sowohl reflektiertes Konsumverhalten und Bewusstsein über verschiedene soziale Milieus in uns vereinen, als auch Verantwortung bei den Konzernen selbst und in der Politik sehen. Und zu der Verantwortungen der Konzerne zählt – mal so ganz nebenbei – auch, die Produktpreise vor der Black Friday Woche nicht so in die Höhe zu treiben, dass sie trotz Rabatten gleich viel kosten. Das ist nämlich mal wirklich ein valides Argument gegen den Black Friday.
Wer es jedoch mal mit dem Kauf-nix-Tag oder einer anderen Black Friday Alternative versuchen will, go for it. Und die anderen: Falls ihr euch loseisen könnt, lasst vielleicht zumindest mal die Finger von Amazon. Ich gönne dem Bezos einfach keine Mondlandung.