Kann man zu viele Freunde haben?

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Als Kind hatte ich nie viele Freunde. Ich war meist etwas zurückgezogener und genoss es, viel Zeit allein zu verbringen. Ich konnte mich stundenlang mit mir selbst beschäftigen, indem ich meiner Fantasie freien Lauf ließ und mir zum Beispiel selbst Geschichten erzählte. Ein richtiger “Einzelgänger” war ich nie, ich hatte schon Freunde, aber sie spielten damals eher eine untergeordnete Rolle in meinem Leben.

Auf dem Gymnasium wurde mir diese Haltung allmählich zur Last, da es nun immer wichtiger wurde, beliebt und gemocht zu sein – Pubertät und Mittelstufe eben. Zu dieser Zeit fühlte ich mich oftmals meinem Zwillingsbruder unterlegen, weil er es schon früh sehr gut beherrschte, soziale Kontakte zu knüpfen, zu pflegen und aufrechtzuerhalten. Oftmals waren das Einzige, was meine Eltern von ihm zu hören bekamen, die Worte: „Ich bin jetzt bei Dem-und-dem mit So-und-so und wir machen Das-und-das. Tschüss, hab euch lieb!“. Und schon war er nach draußen in die Welt verschwunden. Diese Leichtigkeit, mit der er Freundschaften schließen konnte, war schon immer bewundernswert für mich.

So ging es schließlich in die Oberstufe und vieles veränderte sich in meinem Leben. Der Schritt zu einer gemeinsamen Stufe löste unsere kleinen Schulklassen-bezogenen Freundesgruppen auf und ließ ganz neue Bekannten- und Freundeskreise entstehen. Ich weiß noch, dass ich in dieser Phase der Neuorientierung erstmal ziemliche Probleme hatte Anschluss zu finden und mich am Anfang der zehnten Klasse ziemlich alleine fühlte. Jedoch konnte ich im Laufe der Zeit diese Phase überwinden indem ich tolle Menschen aus anderen Klassen besser kennenlernte, die mir halfen mich in diesem neuen Umfeld zurechtzufinden. Durch dieser Erfahrung wurde ich insgesamt aktiver, selbstbewusster und extrovertierter. Es entwickelte sich ein fester Freundeskreis und ich schloss Freundschaften, die mir bis heute sehr viel bedeuten.

Nach dem Abi und der „harten“ Corona-Phase, in der ich wie viele andere wenig neue Kontakte und Freundschaften schloss, entschied ich mich für ein Studium in meiner Heimatstadt Bonn und zog lediglich von Bad Godesberg in die Bonner Altstadt. Viele meiner alten Schulfreund:innen blieben in meiner unmittelbaren Nähe und gleichzeitig lernte ich sehr viele tolle Menschen in meinem neuen Uni-Umfeld kennen. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass ich in Sachen Freundschaften schließen und pflegen sehr viel von meinem Bruder übernommen habe: Es fällt mir leicht, neue Leute kennen zu lernen und mit diesen eine gute Beziehung aufzubauen. Das, und der Umstand, dass ich noch einige Freunde aus der Schulzeit hier in Bonn habe, hat jedoch dazu geführt, dass ich manchmal das Gefühl habe, zu viele Leute zu kennen.

Generell fällt es mir schwer über dieses Thema zu reden, denn jeder will doch viele Freund:innen haben, oder nicht? So komme ich mir irgendwie blöd vor, wenn ich mich darüber beschwere, dass mich gleich drei verschiedene Freund:innen an einem Freitagabend fragen, ob ich Zeit habe, mit ihnen etwas zu machen. Dennoch muss ich in den letzten Monaten feststellen, dass es auch negative Seiten an einem weiten Bekannten- und Freundeskreis gibt. Ich bin mittlerweile so viel unterwegs, dass ich mich oftmals ein bisschen gehetzt und gestresst fühle. Das liegt daran, dass ich mir manchmal vorkomme, wie ein Badmintonspieler, der allein im Park steht und versucht, mit seinem Schläger 25 Badminton-Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. So ist meine Woche schon ab Montag mit fünf verschiedenen Verabredungen zum Kaffee, Sport oder Feiern gehen vollgepackt und ich versuche mit jedem Treffen, – jedem Schlag – eine Beziehung aufrechtzuerhalten, den Ball in der Luft zu halten.

Natürlich kann das mit so vielen Bällen nicht endlos gut gehen und mal fallen einige Bälle runter und manche bleiben auch etwas länger liegen. So oder so ist das kein Zustand, der mich 

dauerhaft glücklich macht, weil meine Freundschaften nichts sein sollen, was ich erledigen oder abhaken muss. Trotzdem fühlt es sich manchmal ein bisschen so an und das ist der Punkt, an dem ich mir wirklich Gedanken mache, wie ich zukünftig meine Freundschaften pflegen möchte.

Ich glaube, ich sollte mit diesem Thema offener umgehen und mit meinen Freund:innen ehrlich darüber sprechen. Dabei sollte ich lernen meine eigenen Bedürfnisse besser zu kommunizieren und über die Bedürfnisse meiner Freund:innen zu sprechen und diese zu achten. Wenn mir eine Verabredung mal zu viel ist, möchte ich es auch ohne Gewissensbisse schaffen diese abzusagen. Ich glaube, damit stößt man niemanden vor den Kopf, denn viele junge Menschen unserer Generation tun sich schwer damit, etwas zu verpassen. Die “fear of missing out” (FOMO) ist jedenfalls deutlich spürbar in meinem Leben und auch viele meiner Freund:innen erzählen mir davon. Ich kann mir gut vorstellen, dass unsere Generation Schwierigkeiten damit hat etwas zu verpassen, weil man über Social Media einfach fast alles mitbekommt und wir uns oftmals so frei in unseren Entscheidungen fühlen, dass es sehr schwer wird irgendeine Entscheidung zu treffen. Besonders jetzt im Sommer gibt es so viel zu erleben und zu machen, dass manche Dinge hinten angestellt werden. Ich achte momentan zu wenig auf meine eigenen Bedürfnisse und nehme mir zu wenig Zeit für mich selbst, die ich für ein ausgeglichenes Leben eigentlich mehr bräuchte.

Gestern Nacht war ich spontan mit einigen Freund:innen aus der Schulzeit unterwegs und wir waren auf einer Party, auf der Techno-Musik lief. Dort traf ich eine sehr gute Freundin aus der Uni, die mit einem Strahlen auf dem Gesicht auf mich zukam und mir ein knallpinkes Armband in die Hand drückte, das bei der Veranstaltung verschenkt wurde. Auf dem Armband steht der Spruch „I wish to find more pleasure in things just like I used to as a child”. Sie meinte, es könnte mir gut gefallen, weil wir doch immer darüber sprechen, dass man sich die kindliche Begeisterungsfähigkeit beibehalten sollte. Und tatsächlich gefällt es mir sehr gut, mein neues Armband, weil es ganz bildlich die Dinge verbindet, die ich seit ich klein bin versuche, in Einklang zu bringen: Freundschaften zu pflegen, die mich und die andere Person erfüllen, und dabei mein kindliches Ich in all seiner Begeisterungsfähigkeit und Zufriedenheit im Alleinsein nicht zu verlieren.

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