/

Straight outta THE LÄND

Bremen muss man erleben, MV tut gut. Schleswig-Holstein ist der echte Norden – im Gegensatz zu Niedersachsen, das ist klar. An Hessen führt kein Weg vorbei und eigentlich kann alles so einfach sein, wie in Brandenburg. Aber wie war das noch mit diesem einen ganz bestimmten Bundesland im Süden der Republik? Richtig, da bleibt noch Baden-Württemberg und Baden-Württemberg ist … Trommelwirbel … THE LÄND.

In Deutschland hat jedes Bundesland aus Gründen der Selbstvermarktung einen Slogan (außer Bayern, denn Bayern steht für sich). 2021 wurde Baden-Württembergs Slogan „Wir können alles. Außer Hochdeutsch“ nach 22 Jahren durch die plakativen gelben Buchstaben von THE LÄND ersetzt. Als mehr oder weniger bekennende Baden-Württembergerin stehe ich dieser Kampagne kontrovers gegenüber. Ja, ich finde es durchaus überflüssig, dass 21 Millionen Euro für diese Umgestaltung aufgebracht wurden. Und nein, durch den neuen Slogan wirkt mein Heimat-Bundesland für mich nicht unbedingt attraktiver, geschweige denn internationaler, wie es sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann von THE LÄND verspricht. Er sagte bei der Präsentation der neuen Dachmarkenkampagne: „Vor 22 Jahren haben wir die erste Werbekampagne für ein Bundesland in Deutschland ins Leben gerufen. Jetzt erfinden wir uns neu: Baden-Württemberg wird sich zukünftig als THE LÄND präsentieren. Damit haben wir eine neue, starke Marke, die auch international Strahlkraft entwickeln und neue Maßstäbe setzen wird.“

Dennoch übt sich diese Strahlkraft auch auf mich aus, obwohl ich gar nicht mehr in Baden-Württemberg lebe. THE LÄND lässt mich schmunzeln, es erheitert mich ungefähr so, wie die lustig gemeinten Bilder, die die Mütter meiner Freund:innen in ihren WhatsApp-Status posten. Trotzdem lässt mich diese Kampagne nicht los.

Mein Stadium als peinlich-berührte THE LÄND-Studentin in Köln (natürlich studiere ich in NRW, das ist “Germany at its best!”) zieht sich seit Monaten durch meinen Alltag. Ich lebe zusammen mit sieben anderen Frauen in einer Wohngemeinschaft, wovon vier (inklusive mir) ursprünglich aus Baden-Württemberg stammen. Läuft Cro oder RIN im Küchenradio, nicken wir andächtig, bis jemand murmelt: „Ja, das ist Qualität aus THE LÄND.“ In der Eisdiele prahle ich: „Das Spaghettieis ist ja auch eine THE LÄND-Erfindung – und das schmeckt man!“ Von der Erfindung des Autos, des UHU-Klebstoffs oder des BHs lasse ich mich mittlerweile kaum noch beeindrucken. Das sind baden-württembergische Genialitäten, die einfach in meinen Alltag integriert sind.

Die THE LÄND- Kampagne ist für mich eine Möglichkeit, auf ironische Weise auf meine Heimat zu verweisen. Jede:r lacht mit, wenn es um den neuen Slogan geht. Und alle bekommen ein (im Schwäbischen sogenanntes) Geschmäckle dafür, was mich eigentlich sehr verwirrt. Warum bin ich Fan einer Kampagne, aber nicht Fan des Bundeslandes, aus dem sie stammt? Ich kaufe Poster aus dem THE LÄND Shop, habe meinem Freund bereits Socken mit den fettgedruckten Lettern geschenkt und ich nutze jede Gelegenheit, mit Freund:innen meine Baden-Württemberg-Edition ‚Siedler aus Catan‘ zu spielen. Aber nach THE LÄND zurückkehren? Nein, danke!

Obwohl ich fiebernd darauf gewartet habe, dass der knallgelbe Merch nachgeliefert wird und ich es genieße, durch den THE LÄND-Instagramaccount zu scrollen, in dem konsequent jeder mit Baden-Württemberg verbundene Content mit einem ‚Ä‘ geschrieben wird (The Schnäps, The Fäldsalat, The Ländshymne, The Wochenände, …) ist für mich keine Zukunft in THE LÄND denkbar. Das hängt zu großen Teilen mit meiner Heimatstadt zusammen. Ich habe mich immer gefragt, wie es ist, an einem Ort zu leben, an dem man zum Bleiben erzogen wird. An meiner Kleinstadt im oberschwäbischen Baden-Württemberg wollen die wenigsten Personen, mit denen ich die Schulzeit oder Freizeitgruppen teilte, wirklich festhalten. Nach dem Abitur folgten die großen Reisen und schließlich der Umzug in eine Stadt, in der es mindestens einen Club gibt und freitagabends das Wochenende nicht an der Tankstelle eingeleitet wird.

Beinahe habe ich das Gefühl, dass wir in unserer Stadt gelernt haben, sie außerhalb von ihr zu verschweigen. Ein bekannter Musiker aus meiner Geburtsstadt gab beispielsweise in Interviews bei Fragen nach seiner Heimat immer wieder an, dass er sehr bald in Berlin leben würde. Unsere oberschwäbische Kleinstadt wird von ihm selten erwähnt. Sein Berlin wirkt für mich wie ein Ort, an dem er die Version seiner selbst sein kann, die ihm in unserer Kleinstadt verborgen blieb. Und dennoch fing seine Reise dort in unserer kleinen Musikschule an. In unserer Heimatstadt füllt sich die Halle, wenn er auftritt. Für mich ist das ein Sinnbild meiner Heimat in THE LÄND. Wir kommen aus dieser Stadt, die nur da ist, um uns großzuziehen. Haben wir genug von der Muttermilch, müssen wir weg – am besten so weit weg wie möglich.

Wie ist es wohl, in einer Stadt aufzuwachsen, in der vielseitige Zukunftsaussichten bestehen? Als ich in Köln ankam, war ich von dem Lokalpatriotismus beinahe eingeschüchtert. Hier gibt es hunderte Lieder, in denen die Schönheit des Doms und die Sehnsucht nach dem Rhein besungen wird. Meine Kommiliton:innen kommen größtenteils aus dem Kölner Umland und vermissen nichts – sie leben ja bereits in der besten Stadt am Rhein. Sie würden in Interviews vermutlich nicht angeben, wo sie bald hinziehen, sondern sich stolz als „Kölsche Jung“ präsentieren.

Mir fällt es schwer, meine Heimatstadt so zu sehen, wie sie ist. Entweder schmunzle ich über die Engstirnigkeit im Schwabenland oder ärgere mich über sie. Die THE LÄND-Kampagne ist ein geeignetes Ventil für mich, diese Ambiguität zu verarbeiten. Auch wenn das mit Sicherheit nicht die Intention unseres LÄNDSvaters Kretschmann war, hat er mir doch in einem gewissen Sinne Klarheit verschafft. Ich kann durch den neuen Slogan so über mein Zuhause lächeln, dass ich mich fast ein bisschen freue, von THE LÄND angesprochen zu sein. Auch wenn ich nun in einer Großstadt lebe, begleitet mich meine Heimat. Vielleicht ist das unser Lokalpatriotismus, der in Köln beispielsweise ganz anders ausgelebt wird. Auf diese Weise kann ich Frieden schließen mit einem Bundesland, in das ich vorerst nicht zurückkehren möchte. Und wie es der Zufall so will, habe ich am 25. April, dem Gründungstag von Baden-Württemberg, Geburtstag. Dieses Jahr wird also neben mir auch das 70-jährige Bestehen von THE LÄND ausgiebig zelebriert. Es bleibt mir auch wenig anderes übrig, denn trotz jeder Ambiguität bin ich THE LÄND mit Fleisch und Blut. Daran lässt sich nichts ändern – wie meine Mitbewohnerin immer sagt: “You can take a girl out of THE LÄND but you can never take THE LÄND out of a girl.”

Lisa Skamira

Lisa ist 21 Jahre alt und studiert Deutsche Sprache und Literatur und Medienkulturwissenschaft an der Uni Köln. In ihren Canapé-Texten vereint sie gleich mehrere ihrer Leidenschaften: das Schreiben, den Feminismus und die Literatur. Ob angemessen oder nicht – für jede Situation kennt Lisa einen geeigneten Otto Waalkes-Witz.

@lisi.marie

Previous Story

„Mich nervt nur, wenn die Leute immer wieder fragen, ob ich WIRKLICH nichts essen und trinken darf.“

Next Story

Neuland: Zwischen den Welten – Von der Schwierigkeit, heimzukehren

Das neueste von Kopfsachen