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Feuerwehrfrau und Krankenbruder – Wie verändert der Girls‘ und Boys‘ Day die Gesellschaft?

Girls und Boys Schriftzüge in roter und blauer Farbe
Bildquelle: Pexels

Am 28. April ist der Girls’ und Boys’ Day – ein Tag, an dem Schüler:innen in typische Berufe des anderen Geschlechts schnuppern können. Die Website des Girls’Day beschreibt das Projekt so: “Am alljährlichen Aktionstag lernen Schülerinnen Berufe oder Studienfächer kennen, in denen der Frauenanteil unter 40 Prozent liegt. […] Unternehmen, Betriebe und Hochschulen in ganz Deutschland öffnen am Girls’Day ihre Türen für Schülerinnen, um ihnen Ausbildungsberufe und Studiengänge in IT, Handwerk, Naturwissenschaften und Technik vorzustellen”.

Gefördert wird das Ganze unter anderem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Solch ein  Konzept gibt es auch in entgegengesetzter Richtung am Boys’Day. Konkret kann das dann wie folgt aussehen: Mädchen gehen in KfZ-Werkstätten und Jungs zum Friseur. Klingt ja erstmal ganz cool. Aber hilft das Projekt wirklich, Geschlechterklischees bei der Berufswahl zu mildern und Interessen außerhalb von vermeintlichen Geschlechternormen zu fördern?

Dabei lohnt es sich, wenn  wir uns erst einmal  den Status quo anschauen, also wie das Geschlechterverhältnis in sogenannten typischen “Frauen-” und “Männerberufen” aktuell aussieht. Vielleicht es es ja gar nicht mehr so ungleich wie gedacht? 

Naja, leider nicht wirklich. Klar, es gibt Berufsfelder, in denen die Anteile in den letzten Jahren deutlich gleichmäßiger geworden sind. Vor allem in akademischen Feldern ist dieser Trend zu beobachten. Aber auch dort kennt man ja die altbekannten Sprüche über Maschinenbau und sie liegen nicht ganz fern der Realität. Der Frauenanteil dort liegt aktuell bei 12,1%, während z.B.der Männeranteil  bei Allgemeiner Literaturwissenschaft nur knapp über 20% beträgt. Weit entfernt von einem paritätischen 50/50. 

Bei Ausbildungsberufen sieht die Lage aber häufig noch viel dramatischer aus. Der Frauenanteil unter Elektroniker:innen liegt bei 14,3%, bei Dachdecker:innen  sogar nur bei 1,9%. Und obwohl Konservative ja gerne die Frau an den Herd stellen, machen sie nur knapp ein Viertel aller professionellen Köch:innen aus. Umgekehrt sind nur 19,4% der Erzieher:innen männlich, 4,9% der Kinderkrankenpfleger:innen und sogar nur 0,1% der Entbindungshelfer:innen – also quasi niemand. 

Die These, dass es keine typischen Berufe für Frauen oder Männer mehr gibt, ist also eindeutig widerlegt. Bleibt die Frage: Woran liegt das denn? 

Als ich als Jugendliche am Girls’ Day teilgenommen habe, war ich bei der Bundeswehr. Am Ende des Tages hatte ich zwar das Gefühl, einen besseren Einblick in den Berufsalltag bekommen zu haben, aber noch immer kein Interesse, tatsächlich später zur Bundeswehr zu gehen, vor allem nicht als klassische Soldatin. Und den Beruf als Mechatroniker:in oder Physiker:in hätte ich mir sowieso erst gar nicht genauer angeschaut – MINT, nein danke. 

Ich frage mich also, ob es wirklich reicht, Mädchen typische Männerberufe und Jungs typische Frauenberufe einfach nur näherzubringen, um sie zu motivieren, mal in andere Berufsfelder zu schnuppern. Hängt da nicht viel mehr als Unkenntnis und Klischee mit dran? 

Laut dem Girls’Day “wählt mehr als die Hälfte der Mädchen aus nur zehn verschiedenen Ausbildungsberufen im dualen System – kein einziger naturwissenschaftlich-technischer ist darunter. Damit schöpfen sie ihre Berufsmöglichkeiten nicht voll aus und den Betrieben fehlt gerade in technischen und techniknahen Bereichen qualifizierter Nachwuchs”. Meiner Meinung ist diese Erklärung viel zu vereinfacht. Denn Frauen haben zwar in Deutschland theoretisch die Möglichkeit, alle Berufe auszuüben. Aber Frauen schöpfen ihre Möglichkeiten nicht voll aus, weil es praktisch eben doch nicht ganz so einfach aussieht. Und da liegt die Verantwortung nicht bei den Frauen

Eine Studie der Pro Familia Schweiz bestätigt meine Vermutung: Frauen wählen auch deshalb typische Frauenberufe, weil sie sich erhoffen, dass sie gut mit einer späteren Familienplanung vereinbar sind. Es ist nunmal Fakt, dass Gebärende für eine gewisse Zeit im Job ausfallen. In Berufsfeldern mit einer hohen Frauenquote, ist man das gewohnt, der Wiedereinstieg wird einfacher und vor allem möglich gemacht. In vielen Berufen sieht das ganz anders aus: Einmal raus, kommt man kaum wieder rein und erst recht nicht in Teilzeit. Kein Wunder, dass junge Frauen diese Fakten – bewusst oder unbewusst – in ihre Berufswahl mit einbeziehen. Deshalb der Appell: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss endlich in allen Berufsfeldern möglich gemacht werden.

Doch es gibt noch einen weiteren Haken. Viele typische Frauenberufe bieten kaum Aufstiegschancen: Einmal Arzthelferin, bleibt man das die gesamte Karriere über. Kein Wunder also, dass überproportional viele Männer auch in Ausbildungsberufen in Führungspositionen landen. 

Zudem sind Arbeitsumfelder wie Großküchen und Werkstätten auch nicht gerade dafür bekannt, Frauen respektvoll zu behandeln. Sich ständig sexistische Witze anhören zu müssen, Blicken ausgesetzt zu sein und die eigenen Fähigkeiten und Stärke täglich unter Beweis stellen zu müssen – da hätte ich auch keine Lust drauf. 

Aber auch für Männer geht es nicht nur darum, sich einen Job auszusuchen, der möglichst männlich konnotiert ist. Es gibt genug Fälle, in denen sich männliche Erzieher oder Geburtshelfer anhören müssen, dass sie als Mann unerwünscht seien im Umgang mit dem eigenen Kind oder der schwangeren Ehefrau.

Diese Form von Vorurteilen überschreitet jegliche Grenzen von Klischees und macht das Arbeitsleben einfach nur unangenehm schwierig. Diese Fälle treten sicher nicht so häufig auf, wie Sexismus in männerdominierten Berufen – aber auch deren Macht sollte man nicht unterschätzen. Geschlechterklischees münden leider viel zu häufig in übergriffigem Verhalten. 

Zurück zur Frage, ob Girls’ und Boys’Day die Welt ein wenig verändern. Das Projekt GirlsDay brüstet sich mit steigenden Frauenanteilen in technischen Berufen: “Der Anteil weiblicher Auszubildender in technischen Berufen in Industrie und Handwerk nimmt ständig zu. Dies zeigt, dass die Modellprojekte und Kampagnen zur Erweiterung des Berufswahlspektrums von Mädchen und jungen Frauen Erfolg haben”. Natürlich gibt es keine Beweise, dass das Projekt tatsächlich einen Anteil an dieser Entwicklung hat. Vielleicht verändert sich auch einfach nur der gesellschaftliche Diskurs.

Schlussendlich denke ich mir aber: Trotz allem gut, dass es den Boys’ und Girls’Day gibt. So lernen Schüler:innen vielleicht Berufe kennen, die sie spannend finden, aber vorher noch gar nicht auf dem Schirm hatten.

Um jedoch das Geschlechterverhältnis in vielen dieser Berufe tatsächlich zu verbessern, braucht es definitiv mehr als das: Ein Ende von Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz, eine faire Chance auf einen Wiedereinstieg nach der Elternzeit, sowie die Förderung von Schüler:innen in allen Fächern, unabhängig von Geschlechterklischees. Und schlussendlich auch: Das Bewusstsein der Eltern, ihren Kindern alles zuzutrauen und sie zu motivieren, Berufe mit Aufstiegschancen zu wählen.

Denn wir haben es alle verdient, eine Karriere und finanzielle Unabhängigkeit zu erlangen. Und all diese Forderungen werden wir als Gesellschaft nicht erreichen, indem wir Schüler:innen ihre Potentiale aufzeigen. Wenn es so einfach wäre, hätten wir das Problem schon gelöst.

Alle Zahlenangaben zu den Geschlechteranteilen in Berufen stammen von den Webseiten zum Girls‘ und Boys‘ Day.

Moni Rathmann

Moni Rathmann studiert in Bonn English Studies und Komparatistik im Bachelor und arbeitet nebenher (oder vielmehr hauptsächlich) beim Campusradio mit. Bei Canapé schreibt sie Texte für die Neuland-Kolumne und liebt es, Themen zu besprechen, die unsere Generation und sie selbst höufig umtreiben. Wenn sonst noch Zeit bleibt, findet ihr sie auf Konzerten.

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