Reality-TV – bildungsfern oder Bildungsfernsehen?

Love Island
Bildrechte: RTLZWEI, ITV Studios Germany

Love Island, der Bachelor, Temptation Island, die Bachelorette und seit kurzem auch Prince und Princess Charming – Ich gucke so ziemlich alle Datingshows, die Trash-TV-Deutschland zu bieten hat. Dabei war ich bis vor zwei Jahren eigentlich noch ziemlich überzeugte Gegnerin von allem, was man irgendwie unter der Sparte “Reality TV“ verbuchen kann. Zum einen, weil ich es aus feministischen Überzeugungen wahnsinnig unangenehm fand, welche Geschlechterbilder dort reproduziert werden und zum anderen, weil Kraftklub sich mit ihren Lyrics im Lied Schüsse in die Luft („solange die auf RTL noch ‘n bisschen dümmer sind als du“) auf ewig in mein Gehirn gebrannt haben.

Woher also der Sinneswandel?

Jahrelang habe ich Trash-TV vermieden, wurde dann aber während einer der unzähligen Corona-Wellen doch noch in den Bann gezogen. Was zunächst mit einzelnen Kommentiervideos einer YouTuberin anfing, wurde irgendwann zu einer latenten Trash-TV-Obsession. In emotional schwierigen Zeiten ist es einfach schön, sich mit Lappalien zu beschäftigen. Die täglich oder wöchentlich erscheinenden Datingshow-Folgen trugen mich über angespannte Phasen der Pandemie hinweg und wurden für mich wie eine Ausflucht aus der schwer zu ertragenden Weltsituation.

Mittlerweile ist der Alltagstrott trotz bestehender Pandemie zwar wieder eingekehrt, die Faszination für Reality-TV ist aber geblieben. Habe ich früher noch klammheimlich in meinem stillen Kämmerlein verfolgt, wer in der Love-Island-Villa bleibt oder eine weitere Rose bekommt, so ist Trash-TV für mich mittlerweile auch ein Anlass zum Socializen. Gemeinsam mit Freund:innen macht es eben nochmal mehr Spaß, zu spekulieren, wer weiterkommt und die Verhaltensweisen der Teilnehmer:innen zu diskutieren. Ich vertrete die (zugegebenermaßen steile) These, dass man so bei Reality-TV sogar ziemlich viel lernen kann. Es kommt nur darauf an, wie man es guckt.

Lernen mit Reality-TV

Wenn auch Trash-TV sicherlich kein klassisches Bildungsfernsehen darstellt, so finde ich doch, dass der vorauseilende schlechte Ruf den Formaten nicht immer gerecht wird. Datingshows können dazu anregen, das eigene Verhältnis zu Treue und Eifersucht zu hinterfragen oder den Wert von Freundschaften zu schätzen. Die Situationen, die in Realityshows, sicherlich auch überspitzt, dargestellt werden, finden auch in unserem Alltag statt: unaufmerksame Datingpartner:innen, Konflikte aufgrund misslungener Kommunikation und Überforderung mit Gruppendynamiken. 

Und klar, die Sendungen strotzen dabei nur so vor klischeehaften Geschlechterdarstellungen, der Romantisierung einengender Beziehungen und schädlichen Körperbildern. Teilweise kommt es von Teilnehmenden gar zu rassistischen Fehltritten oder gewalttätigem Verhalten, die von den Macher:innen der Shows nur selten adäquat eingeordnet werden. Das sollte auf keinen Fall gutgeheißen oder relativiert werden, allerdings können diese Shows auch Gesprächsöffner für Diskussionen zu genau diesen Fehlverhalten sein. Ein gewisses Hintergrundwissen in netzfeministischer Theorie ist dabei sicherlich hilfreich, aber keinesfalls Voraussetzung. Phänomene wie “Pick Me Girls” oder “toxische Maskulinität” lassen sich auch ohne das passende Vokabular gut beobachten. 

Die Sendungen müssen dabei aber nicht immer Negativ-Vorbilder sein, sondern können auch schöne Dinge aufzeigen. Beispielsweise fällt mir der Support der Love-Island-Teilnehmerinnen untereinander immer wieder positiv auf. Daneben sind mit Prince und Princess Charming seit kurzem zwei queere Datingformate Teil des RTL-Kosmos, die (fast) ohne Sexismus auskommen. Sicherlich gibt es hier auch an der ein oder anderen Stelle Verbesserungsbedarf, aber vor allem die erste und bisher einzige Princess Charming-Staffel machte vor, wie sich Datingshow und sexuelle Aufklärung verknüpfen lassen – lieben wir! 

Und nun? Reality TV in der Schule?

Noch bedarf es bei den meisten Shows einer kritischen Distanz, die sicherlich nicht alle (insbesondere nicht die jüngeren) Zuschauer:innen haben. Auch ich “zehre” heute noch von den Schönheitsidealen, die mir Castingshows wie GNTM in meiner Jugend eingetrichtert haben. Mit mittlerweile Anfang/Mitte Zwanzig habe ich einen kritischeren Blick auf das, was mir Fernsehshows vermitteln und kann mich so an einem stressigen Tag auch einfach mal berieseln lassen. Bis Trash-TV allerdings ohne Einschränkungen abgefeiert oder sogar als ernstzunehmender Bildungsinhalt empfohlen werden kann, ist es jedoch noch ein weiter Weg.  

Leonie Meyer

Leonie studiert Politik im Master und arbeitet daneben in der Redaktion eines bpb-Projekts zum Thema digitale Bildung. Für’s Canapé setzt sie sich kritisch mit sich selbst und der Netzkultur von Gen Y und Z auseinander.

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