Mein Instagram-Algorithmus kennt mich besser als ich mich selbst. Und der weiß, worauf ich abfahr. Reels mit der Caption “My productive 5 am morning routine” oder mit Rezepten für ein veganes, glutenfreies, zuckerfreies, fettfreies, kohlenhydratfreies, genussfreies Abendessen, Storys in denen jemand etwas über Hot Yoga erzählt, Werbung für Achtsamkeits-Kalender oder Meditationspodcasts und Feedposts, in denen Influencer:innen mir versuchen zu erklären, wie ich ein “girlboss” werden kann. Ihr merkt selbst, ich bin anfällig für alles, was mir sagt, wie ich gesünder, fitter, achtsamer, produktiver, selbstbewusster, und generell in allem besser werde.
Das riecht nach Kapitalismus, der mich fest im Schwitzkasten hält. Ich habe jetzt aber keine Lust den Karl Marx auszupacken und über Kapitalismus zu schimpfen. Worüber ich allerdings schimpfen möchte ist Selbstoptimierung, ein Trend, bei dem ich mir sicher bin, dass er zu einer Zeit groß geworden ist, als es auf einmal möglich war, auf Instagram Geld zu verdienen.
Die allerneueste Unterkategorie der Selbstoptimierung ist “That Girl”. Wer zu viel auf TikTok oder der Reel-Seite auf Instagram versumpft, kennt “That Girl”. Es geht dabei um ästhetische Videos, in denen schöne Wohnungen, Cold Brews, Skincare-Routinen, Grüne Smoothies, Yoga-Sessions in schönen Outfits und MacBooks und Kalender, die nach Produktivität schreien, aneinander geschnitten werden. “That Girl” ist die Wellness-Version des Hot Girl Summers. Jedoch geht es dabei nicht um 24/7 Party und die Auskostung des Single-Daseins, sondern viel mehr darum, seine Ziele zu erreichen, sich zu verwirklichen und “erfolgreich” zu sein. “That Girl” steht früh auf, macht ihr Bett, ist um 6 Uhr morgens schon im Fitnessstudio und sitzt um 9 an ihrem schönen Schreibtisch, von dem aus sie im besten Fall auf die New Yorker Skyline schauen kann. Sie ist ein Pinterest-Board auf zwei Beinen.
Ich muss auf eine ehrliche und etwas unsympathische Art zugeben: häufig bin ich “That Girl” – bloß ohne Wohnsitz in New York. Ich bin jemand, der sehr gut darin ist, sich im Griff zu haben. Etwas zu gut. Sich zu gut im Griff haben ist manchmal praktisch und manchmal auch einfach anstrengend. Denn wenn ich eine stressige Phase habe, es mir nicht gut geht, ich wegen welcher Umstände auch immer nicht mehr im Alltag drin bin oder einfach länger schlafen will, dann bin ich das Gegenteil von “That Girl”. Ich stehe spät auf, achte weniger darauf, dass mein Essen ausgewogen ist, mein Zimmer ist chaotisch und mein Schreibtisch ist alles, aber nicht ästhetisch. Und wenn das so ist, stresst mich das mehr, als die Sache, die es mir nicht möglich macht, diese Disziplin an den Tag zu legen.
Ich bin manchmal so tief in diesem Selbstoptimierungs-Ideal drin, dass ich, wenn ich diesen Anforderungen, die ich mir selbst auferlegt habe, nicht mehr gerecht werden kann oder will, schelte ich mich selbst. Woher das kommt, kann ich nicht genau sagen. Vielleicht irgendeine Unsicherheit, die ich versuche zu kompensieren. Sich Mühe zu geben, sein Leben im Griff zu haben und nicht zu versumpfen, ist zwar gut, hört jedoch auf, gut zu sein, sobald man es sich selbst nicht einmal mehr verzeihen kann, wenn es das ein oder andere mal nicht so gut klappt.
Die Wahrheit ist, dass nicht einmal diese Influencer:innen, die das Bild von “That Girl” zu hundert Prozent zu verkörpern scheinen, jeden Tag so leben. Sobald ich mir in Momenten der Schwäche bewusst mache, dass Social Media mehr Schein als Sein ist, wird mir klar, dass ich nicht gut genug zu mir selbst bin. Und das ist schädlicher, als einen Tag lang nicht maximal produktiv, strukturiert oder diszipliniert zu sein.
Wenn es bei “That Girl” im Kern eigentlich darum geht, Ziele zu erreichen, sich gut und gesund zu fühlen und sich zu verwirklichen, dann kann es doch nicht sein, dass das nur mit Yoga in teuren Leggins und Green Smoothies geht. Erfolgreich kann man auch sein, wenn man das Workout auf den Abend oder sogar den nächsten Tag verlegt, weil man lieber länger schlafen wollte, wenn man sich kein grünes Pulver ins Essen schüttet und hin und wieder einen Wein genießt oder Nudeln mit fetter Soße isst. Erfolgreich kann man auch sein, wenn man Erfolg anders definiert. Ist man nur erfolgreich, wenn man im Beruf alles gibt, wenn man maximal produktiv ist oder seine Fitness Goals erreicht? Auch, aber das muss nicht die einzige Art und Weise sein, wie Erfolg sich äußert. Erfolgreich kann man sein, wenn man sich gut erholt fühlt, wenn man etwas unternimmt, was einem Spaß macht oder man an einem Tag sein Lieblingsgericht essen konnte. Und das macht uns alle zu “That Girl”. Auch ohne gemachte Betten, Sixpacks, Journals und teuren Hot Yoga Kursen. Wir sind “That Girl”, wenn wir uns wirklich um unser Wohlbefinden kümmern und nicht mit Cold Brews nur so tun als ob.