Don’t you worry, adult – eine Hommage ans Kindsein

„Ey, manchmal hab‘ ich einfach Lust, wieder Kind zu sein…“, sage ich und deute mit meinem Kopf in Richtung zweier etwa zwölfjähriger Mädels, die sich ein paar Meter von unserer bunten Picknickdecke entfernt lautstark um einen feuerroten, ferngesteuerten Flitzer zanken. „Weißt du? So richtig Lust.“

Stille. Zumindest von dir kommt nichts. Deine im metallischen Champagnerton geschminkten Lippen bleiben versiegelt. Die beiden Mädels auf dem Spielplatz hingegen drehen immer mehr auf. Als hätte man den Lautstärkeregler von Null auf volle Dröhnung hochgezogen. Sie übertönen inzwischen teilweise die Beats, die aus meiner kleinen, aber effektiven Musikbox schallen. So entsteht ein wild durchgemixter Wort-Smoothie aus Swedish House Mafias „Don’t you worry child“ und dem wütenden Wortgefecht der beiden:

Don’t you worry, don’t you worry, child…“

„Gib ihn her…“

Don’t you worry, don’t you worry now…

„Ich hatte ihn als erstes, jetzt lass schon los…“

See heaven’s got a plan for you…

Wie gebannt beobachten wir beide die Szene. Und selbst ein vorbeilaufender Jogger, gekleidet im 80ies Sportdress, blickt immer wieder sichtlich irritiert herüber.

„Auf sowas hast du echt Bock? Nich‘ dein Ernst, oder?“, fragst du mich ungläubig. „Ich bin echt so froh, dass die Zeiten vorbei sind, als ich mich mit meinem Bruder ständig fetzte…“

„Ja, aber das is‘ es doch gerade!“ werfe ich ein und richte mich auf. „Weißt du nich‘, wie ich mein‘?“

„Ne, kein Plan“, antwortest du und schenkst dir währenddessen in Seelenruhe etwas von dem mitgebrachten Aperol ein und füllst anschließend das restliche Glas – erst mit Sekt, dann mit Mineralwasser – auf. „Ich würde mich um nichts in der Welt in meine Kindheit zurückbeamen wollen. Und dann auch nochmal durch die Pubertät und den ganzen Shit? Ganz ehrlich, ne! Einmal reicht völlig!“

„Das mein‘ ich ja gar nicht…“

„Trotzdem – ich würd‘ das nich‘ mal wollen, wenn am Ende ein Date mit Channing Tatum rausspringen würde…“

Ich lache. Und, weil ich auf den Witz nicht vorbereitet war, schaffe ich es nicht mehr den Schluck Bier, den ich gerade im Mund hatte, vollständig runterzuschlucken. Stattdessen spritzt das Bier völlig unkontrolliert aus meinem Mund heraus. Wie ein unerwartet angegangener Rasensprenger. Nur, dass es eben kein Wasser ist, sondern Bier. Kein Wunder also, dass auch ein paar Spritzer auf der Picknickdecke landen.

„Man, die Decke gehört meiner Mitbewohnerin! Pass doch auf!“

„Entschuldige!“, bringe ich geradeso heraus, als ich mich wieder einigermaßen von dem Lachflash beruhigt habe. „Das musst ausgerechnet du als allergrößter Channing Tatum-Fan ever sagen!“

„Ich sag‘ doch, dass ich da absolut keinen Bock drauf hätte…“

„Okay, aber pass auf… Ich rede nicht von der Zeit, sondern von dem Feeling, das man als Kind hatte… Verstehst du?“

Ein Blick reicht und ich weiß: Du willst es verstehen, aber raffst es noch immer nicht.

„Überleg mal: Um was streiten die beiden denn?“, versuche ich es nun auf andere Weise.

„Na, um den ferngesteuerten Flitzer – um was denn auch sonst?“

„Ganz genau! Sowas sind die weltbewegenden Probleme, die man normalerweise als Kind hat… Und jetzt? Da muss ich mir permanent Gedanken machen, über Klimawandel, Politik und die ganzen anderen Probleme wie ich selbst einen Beitrag für eine bessere Welt leisten kann, und, und, und… Verstehst du? Als Kind war die Welt – wie soll ich sagen – da war einfach noch alles happy-sunshine. Zumindest in unserer Bubble…“

„Das stimmt… Und dann wirst du erwachsen – oder versuchst es zumindest wie wir – und puff, die Alles-ist-gut-Kindheits-Bubble zerplatzt! Und schon bist du absolut lost!“

„True, und deswegen hat man als Kind auch gefühlt vor nichts Angst. Wie der dort drüben“, sage ich und deute auf einen um die sieben Jahre alten Jungen, der gerade Anstalten macht, auf dem nahegelegenen Spielplatz von einem Klettergerüst zu springen. Von ganz oben. „Er wird doch nicht…“, setze ich noch an, doch es ist längst zu spät. Er ist schon abgesprungen. Vor Schreck halte ich kurzzeitig die Luft an. Bevor ich aber anfangen kann, groß darüber nachzudenken, was er sich bei dem Sprung alles brechen könnte, ist er schon wieder auf dem Boden gelandet. Auf allen vieren. Genau genommen yoga-like in der Kuh-Position. Dabei schürft er sich allerdings seine beiden Knie auf. Trotzdem rappelt er sich innerhalb kürzester Zeit wieder auf, springt siegessicher mit einer Faust in die Höhe gestreckt wieder auf und ruft: „Nochmal, nochmal! Das war toll!“ Zwei Minuten später ist er schon wieder oben auf dem Klettergerüst angelangt.

„Ich hätte mich wahrscheinlich nicht mal das erste Mal getraut, runterzuspringen“, gibst du zu. „Da wären noch mindestens drei Gläschen Aperol nötig, um mich dort hochzubekommen – mindestens!“

„Same!“, sage ich lachend. „Das meine ich eben: „Wir können noch so viel von den Kids lernen…“ Keine Ahnung, ob es das Bier ist, das da aus mir spricht oder ob ich plötzlich meine philosophische Ader angezapft habe, jedenfalls fahre ich fort: „Wir müssen uns ja nicht unbedingt in unsere Kindheit zurückbeamen, aber es wäre sicher nich‘ verkehrt, wenn wir uns alle vielleicht ein bisschen mehr unser inneres Kind behalten würden… Vor allem die kindliche Unbeschwertheit, das Sorglose und das Neugierige…“

„Da bin ich voll bei dir“, stimmst du mir zu. „Dann aber bitte unser inneres 90ies-Kind! Ich will echt nich‘ so sein wie die Kids heutzutage. So wie der da drüben…“, ergänzt du, während du unauffällig auf zwei Uhr zeigst. Dort sitzt ein etwa achtjähriger Junge, dunkelblaue Nickelbrille auf der Nase und starrt mit großen Augen wie gebannt auf sein Tablet und murmelt dabei die ganze Zeit kaum hörbar vor sich hin. Anscheinend läuft das, was sich auf seinem Bildschirm abspielt, nicht so, wie er das möchte, denn von Zeit zu Zeit haut er immer wieder wütend auf den Bildschirm ein.

„Ne, so wirklich nich‘… Boa, bin ich froh, dass es bei uns sowas noch nich‘ gab!“

„90ies-Kids for life!“, meinst du und prostest mir zu. „Cheers!“

Inzwischen ist auf dem Spielplatz wieder Ruhe eingekehrt. Halbwegs. Der Fight zwischen den beiden Mädels ist jedenfalls Geschichte. In meiner Ohrmuschel kommt hauptsächlich wieder unsere Musik an. Auch wenn nicht mehr Swedish House Mafia läuft, schwirrt in meinem Kopf immer noch dieser Song herum. Auf Repeat. Langsam lasse ich mich rückwärts zurück auf die Picknickdecke sinken, die tatsächlich ein wenig nach dem zuvor ausgeprusteten Bier riecht. Aber – I don’t care.

„Ey, manchmal hab‘ ich einfach Lust… Weißt du? So richtig Lust“, wiederhole ich.

„Ja, man. Ich weiß“, antwortest du. Und diesmal fühlst du es auch und gemeinsam singen wir leise: „Don’t you worry, don’t you worry, child…“„Warte“, unterbreche ich unsere ach so glorreiche Gesangseinlage, die man auf Instagram als einen #withmabestie-moment sharen würde. „In unserem Fall vielleicht lieber: Don’t you worry, don’t you worry, adult!

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