Das Jahr steckt in den letzten Atemzügen. Es sind nur noch wenige Wochen bis wieder die Sektkorken knallen, die Wunderkerzen brennen und wir uns alle um den Hals fallen und das neue Jahr willkommen heißen. Zwischen Sätzen wie “dieses Jahr ist so schnell vergangen” und “ab morgen fängt ein neuer Lebensabschnitt an” starten wir dann alle in den meist noch kälteren Januar. Die Tage kurz davor sind für mich immer wie eine Art Vakuum. Eine kleine Zeitspanne, in der ich das alte Jahr reflektieren kann und das Neue in meinem Kopf plane. In diesen Tagen liegt das kommende Jahr wie ein leeres Blatt Papier vor mir. Wie ein kleiner Neubeginn, der Raum für neue Ideen und Gedanken bereithält.
In diesem Jahr wird diese Gefühlsmischung aus nostalgischer Hoffnung erneut von dieser großen und umfassenden Krise überschattet: Corona.
Schon wieder steht eine Virus-Variante in den Startlöchern und wieder begleiten uns die vielen Entscheidungen, ob wir auf Veranstaltungen gehen, in den Urlaub fahren, wie gewohnt Weihnachten und Silvester feiern können oder eben nicht. Oft ändern sich Maßstäbe für Entscheidungen wöchentlich oder täglich. Dinge, die wir vor einer Woche noch als richtig eingestuft haben, können heute schon wieder falsch sein und umgekehrt. Kurz gesagt: Gefühlt hängen wir in einer Corona-Dauerschleife fest, die in diesem Jahr nur mit noch mehr Frust und Erschöpfung einhergeht.
Und das Klima? Eine Bundestagswahl und viele diplomatische Gespräche später scheint die Bewältigung der Klimakrise immer noch in weiter Ferne zu liegen.
Zurzeit breitet sich also mehr als sonst das Gefühl der Ungewissheit aus. Ungewissheit darüber, was kommt und was bleibt.
Für mich ist Ungewissheit ein diffuses Gefühl, eine Form des Nicht-Wissens über Situationen und Zustände, über die ich gerne mehr Wissen hätte. Beschäftigt man sich philosophisch mit der Ungewissheit, schlagen einem sofort die unterschiedlichsten Definitionen entgegen. Nach dem französischen Philosophen Dorian Astor tritt Ungewissheit dann ein, wenn wir uns diese grundsätzlichen Fragen nicht oder nur dürftig beantworten können: Was ist? Was kann ich machen? Was darf ich mir erhoffen?
Im Hinblick auf das kommende Jahr fällt mir die Beantwortung dieser Fragen schwer. Dabei ist Ungewissheit ein alltäglicher Begleiter, fast schon ein natürlicher Zustand. Schließlich haben wir nie die Gewissheit, dass bestimmte Ereignisse eintreten. So oft meinen wir zu wissen, was passiert und was uns erwartet, und dann kommt doch alles anders als geplant.
Ich glaube, dass der Wunsch nach Kontrolle in uns allen liegt. Wir wollen Dinge planen und uns auf sie einstellen können, denn ohne gegebene Strukturen, Rituale und Traditionen wissen wir oft nicht sofort wie wir uns verhalten sollen. Jeden Tag alles neu zu bewerten ist anstrengend. Und so ist es auch in der Pandemie. Es ist ermüdend, sich jeden Tag zu fragen, ob wir uns heute so verhalten können wie wir es gestern getan haben.
Mit Bezug auf die Klimakrise ist diese für mich noch abstrakter. So sind es die Entscheidungen von heute, die meine eh schon ungewisse Zukunft beeinflussen werden.
Aber gibt es nicht auch genug Gründe, die Ungewissheit zu schätzen? Dass jeder Tag anders ist und nie ganz klar ist, was passieren wird, bedeutet auch, dass alles veränderbar ist. Und irgendwie hat die abstrakte Gestalt der Zukunft auch etwas Anziehendes. Sonst würden sich Horoskope wahrscheinlich nicht mal halb so gut verkaufen. Für mich hat die Ungewissheit auch etwas Beruhigendes. Denn sie zeigt, dass jede Entscheidung von Bedeutung ist. Es macht also etwas aus, wie ich mich heute entscheide und ob ich das eine oder das andere mache.
Fest steht: Wir können der Unsicherheit nicht entkommen. Egal, wie viel wir planen oder uns Gedanken über die Zukunft machen. Ungewiss bleibt, was noch an diesem Tag, morgen, oder im kommenden Jahr passieren wird. Vielleicht müssen wir uns einfach nur wieder daran gewöhnen, dass es richtig und gut ist, Situationen und Zustände jeden Tag neu zu bewerten.