Euphorie und Zeitgeist – Generation Z und ihre vielen Gesichter: ein Plädoyer für Crop Tops und Work-Life Balance.

Gen Z: Maddy, Kat und Lexi (v.l.n.r) aus der HBO Serie Euphoria.
Maddy, Kat und Lexi (v.l.n.r) aus der HBO Serie Euphoria.

Zwei Uhr nachts. Ich scrolle durch meine „For you Page“ auf TikTok und sehe den dritten Klamotten-Haul irgendeines Mädchens. Sie hat ein Top gekauft, das dem ähnelt, das ich drei Videos vorher bereits gesehen habe. Ist das nicht das Top, das Maddy in der letzten Episode von Euphoria getragen hat? In meinem Hirn arbeitet es. Würde mir das nicht auch stehen?

Ich klicke etwas widerwillig und mit müden Augen auf den Link. Das ist ja wirklich nicht teuer! Oh wow, mit dem Code Marina20 kriege ich sogar 20% Rabatt? Hmm, aber ich brauche noch 15 Euro für den kostenlosen Versand. Da kann ich doch einfach noch die passende Hose zu kaufen. Ich muss kurz ins Bad um mir die Zähne zu putzen. Während ich stumpf in den Spiegel starre macht mein Hirn weiter unbezahlte Überstunden.

Nicht gerade eine Szene aus Euphoria, stimmt’s? Für mich eine typische Nacht unter der Woche nach einem Tag voller Arbeit, Social Media, Austausch und Konsum. Ist das die Lebensrealität meiner Generation während COVID-19? Wenn die nach uns kommenden Generationen etwas über uns lernen möchten und eine Zeitkapsel öffnen, in der je eine Prise Popkultur, Mentalität, Politik und Träume enthalten ist: Was würde ihr neben Jahrzehnte altem Muff entgegen kommen? Natürlich ist es unmöglich, all das obrige in einer Zeitkapsel zu verwahren, oder in einem Artikel wenn wir ehrlich sind, aber dennoch möchte ich es versuchen.

Angefangen bei Popkultur:

2019 geht die Serie Euphoria auf Sky online und es geht eine Welle aus Glitzer und Neonbeleuchtung durch die sozialen Medien. Die Schauspielerin Zendaya, die die drogenabhängige High-School-Schülerin Rue Bennet spielt, ist auf den Bildschirmen zu sehen. Als Rue rauscht sie durch die Höhen und Tiefen ihres Drogen Konsums und ordnet dabei ihr Umfeld als omnipräsente Erzählerin ein. Anders als in anderen proklamierten „Teenie-Serien“ wie Riverdale, tauchen keine Gangs oder mythischen Kreaturen auf, die als verzweifeltes Mittel für mehr Dynamik sorgen sollen.

Es werden viel mehr Einblicke in die Schicksalsschläge der Charaktere gegeben die sich um Sucht, Familie, Missbrauch und Selbstwertprobleme drehen. Die Show fällt auf durch ihre atmosphärische Beleuchtung, den kontemporären, melancholischen Soundtrack und besonders durch ihre Mode und Make-up Auswahl. Looks, die wenig später bereits auf TikTok und Co. nachgeschminkt, gestyled und bis ins kleinste Detail analysiert werden. Es ist kein neues Phänomen, dass Popkultur derart einschlägt und mit Schwung ihre Zielgruppe mitreißt. Allerdings ist die Serie mehr als das: es schwingt beim zugucken der Zeitgeist der sogenannten Generation Z (geboren ab 1995) mit, der natürlich überspitzt dargestellt wird, aber dennoch oft ins Schwarze trifft.

„Life imitates Art – oder anders herum?“

Euphoria zeigt eine risikofreudige Generation, die sich in neue Gebiete vorwagt und gerne experimentiert. Auch, wenn sie währenddessen oft weiterhin selbst auf der Couch liegt. Meghan Grace, Autorin von „Generation Z: A Century in the Making“, sagt: “Sie sehen die Welt ganz anders als ihre Vorgänger“. Aus dem Grund stehen die unkonventionellen Crop-Tops, Schlaghosen und das glitzernde Augen-Make-up für etwas mehr als reine Ästhetik um der Ästhetik willen. Denn der Einfluss von Mode und Make-up sollte nicht unterschätzt werden.

Auch, wenn festgefahrene Schönheitsideale und eingrenzende Mode-Fauxpas sich nicht innerhalb einer Generation in Luft auflösen, so arbeitet die Gen Z daran aktiv mit. Es ist kein Geheimnis, dass die politischen Ansichten der Boomer und der Zler oft weit auseinander klaffen. Das zeigt sich in den Wahlstatistiken im Bezug auf die politische Einstellung und auch in Fragen von sexueller Offenheit bis hin zur modischen Narrenfreiheit. Das Muster der traditionellen und heterosexuellen Familie beizubehalten, hat für die neue Generation keinen sonderlich hohen Stellenwert mehr, wie Umfragen ergeben. Dafür werden moderne Konstellationen toleranter aufgenommen und die eigene Sexualität weniger schwarzweiß wahrgenommen.

All diese Errungenschaften spiegeln sich durchaus in popkulturellen Erzeugnissen wie Euphoria wieder. Schauspielerinnen wie Barbie Ferreira, die Kat in der HBO-Serie spielt, werden aufgrund ihres Plus-Size-Körpers nicht als weniger ästhetisch dargestellt. Sängerinnen wie Lizzo, die beispielsweise „Good as Hell“ singt, zeigen sich trotz andauernder Körperkritik. In jedem Winkel, in jedem experimentellen Outfit oder ganz ohne alle Hüllen, wann und wie sie wollen.

Darüber hinaus spielen homosexuelle Paare oft nicht mehr nur die Nebenrolle in welcher sie begleiten, unterstützen und unterhalten. Die deutsche YouTube-Serie „Druck“ gilt hier als Beispiel. Sie kann mehrere Staffeln vorweisen, in denen sie sich auf die Problematik von homosexuellen Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit psychischen Krankheiten konzentriert. Diese medialen Rebellionen entspringen natürlich nicht nur der kreativen Szene, sondern haben auch politische und wirtschaftliche Hintergründe.

Who the f*** is Z?!

Guckt man sich einmal an, in welcher ökonomischen Landschaft die ca. 2,7 Milliarden Menschen der Gen Z aufgewachsen sind, so ergibt die Entwicklung der Gesinnung und politischen Einstellung recht viel Sinn. Die Generation der Millennials ist während der Großen Rezession erwachsen geworden. Im Gegensatz hierzu ist die neue Generation mit einer starken Wirtschaft und niedriger Arbeitslosigkeit aufgewachsen. COVID-19 ist die erste Krise die soziale, politische und wirtschaftliche Folgen für Gen Z und ihre Lebenssituation hat. Anstatt sich auf den Einstieg ins Studium, die Ausbildung oder einen Job einlassen zu können, stehen die meisten Zler vor allem beruflicher Unsicherheit gegenüber.

Aus diesem Grund ist es ein positiver Faktor, dass trotz der drohenden Unsicherheit „Work-Life-Balance“ ein viel diskutiertes Thema ist. Das mag daran liegen, dass beispielsweise die älteren Mitglieder der Generation Z sich besonders von ihren Vorgänger:innen unterscheiden was ihren Bildungsweg und ihre Arbeitsethik angeht. Häufig waren sie erst später erwerbstätig als Boomer es in ihren Teenie-Jahren waren. Dafür ist es oftmals so, dass sie die Schule beenden und die Mehrheit sich für die Universität als ihre Ausbildungsstätte entscheidet.

Durch die Bildung und Diversität in der Generation sind viele nicht mehr zufrieden mit einer Work-Work-Balance, die sie in entfernter Zukunft unglücklich machen könnte. Oft wird diese Einstellung als exzentrisch und zu individualistisch ausgelegt. Aber sie könnte auch dazu führen, dass sich Problematiken früherer Generationen nicht wiederholden müssen. Den Diskurs darüber haben die Zler zwar nicht ins Leben gerufen. Aber man könnte sagen, er wurde durch sie in gewisser Weise salonfähig gemacht.

Gen Z und der Sinn des Lebens

Paulo Coelho schreibt in seinem Werk „Der Alchemist“ über den jedem eigenen Sinn im Leben. Diesen gilt es rauszufinden um ein wirklich glückliches Leben führen zu können. Beziehungsweise reicht es nicht, ihn auszumachen. Die wahre Schwierigkeit besteht laut Coelho letztendlich darin, den Mut zu haben, diesen Sinn auch zu verfolgen.

Die Sängerin Lizzo, Advokaten für Körper Neutralität online.
Die Sängerin Lizzo, Advokaten für Körper Neutralität online.

Wenn das durch ein bisschen Anecken, viel Diskussion und Aufarbeitung in der Kunst geschieht, wird der Inhalt der Gen Z-Zeitkapsel ein ebenso interessanter wie glitzernder sein. Und einer, für den man sich nicht schämen muss.

Ich für meinen Teil bin darüber hinaus gespannt, was die neue Generation, in dem Fall die Genα oder Gen Alpha (geboren ab 2011) ausmachen wird und was sie mir beibringen kann. Natürlich erst, wenn ihre Tornister ihnen zu klein sind und sich die Generation Z wirklich alt fühlt.

Clara Schulz

Clara macht ihren Bachelor in Literatur und Politik, moderiert nebenbei im Radio und arbeitet bei Engagement Global in der Online Redaktion. Bei Canapé widmet sie sich allem was sich auch auf deiner Twitter Timeline finden lässt: von Pop Kulturellem Wirr-Warr bis zu Gedanken über Musik und Politik.

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